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PIXY

 … … … …..JOCHEN enterprises
 … … … …..Berlin 1995
 … … … …..74 Seiten, schwarzweiß
 … … … …..29,80 DM
von
Max
Andersson

 …gelesen und bejubelt
von Marc Degens

Von Schuld und Sühne
und den satanischen Versen

Alka und Angina, statt ABBA und Ace of Base

PIXY-Cover, 16kDaß Schweden mehr als wagenradgroße Knäckebrote, popige Hitparadenstürmer, eine riesige Möbelhauskette und wuchtige Automobile zu bieten hat, vermutete ich schon lange, aber daß das Land der Elche einen so wahnwitzigen Comicband wie eben PIXY hervorzubringen vermag, dies glaubte ich nicht. Wieder einmal hat mich der Berliner Kleinverlag Jochen Enterprises, der solch amerikanische Comicgiganten wie Jeff LeVine oder Chester Brown ebenso wie beinah die gesamte deutsche Zeichnerprominenz im Programm hat, eines Besseren belehrt. Und wahrlich, PIXY ist das beste Comicalbum, das ich seit Jahren gelesen habe. Es fällt schwer zu beurteilen, was an PIXY mehr beeindruckt: die voller Energie der scheinbar ins Blatt geschnitzten Schwarzweiß-Zeichnungen oder die wunderbar konstruierte, perfekt getimte Handlung samt ihren bizarren Wendungen. Fällen wir ein salomonisches Urteil: Form und Inhalt ergänzen sich bei Andersson so perfekt wie Marx und Engels oder die göttliche Trinität.

Etwa drei Jahre arbeitete Max Andersson an seinem Werk, und heute kann er getrost feststellen, daß keine einzige Stunde des Schaffensprozeßes verschenkt wurde. Daß Andersson währenddessen mit vom frühen Expressionismus beeinflußt wurde, merkt man jeder Seite an, teilweise wirkt er wie Frans Masereel auf Acid. Von den klaren, sparsam eingesetzten Linien der ersten Seite, über die (George) groszartig überfrachteten, detailversessenen Zeichnungen danach, hin zu der düster holzschnittartigen Kunstfertigkeit des Mittelteils; egal welche Darstellungsform Andersson wählte, sie ist die richtige und dazu noch perfekt umgesetzt. Es gibt wirklich wenige Zeichner, die über ein so exaktes Gespür für Linien und Flächen verfügen und gleichzeitig noch die jeweiligen abzubildenden Gefühlswelten derart adäquat umsetzen wissen (, einer der wenigen, Hugo Pratt, ist letztes Jahr gestorben). Und die Welt von PIXY ist grausam, rasend und wahnwitzig.

Es fällt schwer, den Inhalt knapp wiederzugeben, denn die Handlung ist so kompakt erzählt, dermaßen auf das Wesentliche komprimiert, daß man für eine Inhaltsangabe tatsächlich 74 Seiten bräuchte. Viele Werke, egal ob Comic oder Prosa, wirken aufgebläht, besitzen überflüssige oder langatmige Passagen, und PIXY hätte ebenfalls gut und gerne den doppelten oder dreifachen Umfang besitzen können, doch Anderssons außergewöhnliche erzählerische Meisterschaft besteht in der Raffung, in der Konzentration auf den Kern der Geschichte, in der Auslassung jeglichen Firlefanzes. Aus diesem Grund möchte ich nun nur einen kurzen Handlungseinstieg öffnen (, den Rest muß man einfach selber lesen).

Alka Seltzer und Angina Pectoris sind ein junges Liebespaar im Frühling ihrer Tage, und wie es sich für junge Liebespaare gehört, treibt es sie flink ins Bett. Noch unerfahren in der Liebe, wissen sie nicht mit den neuen Verhütungsanzügen umzugehen, obwohl sie haarklein den Anweisungen der Milchpackung folgten. So nimmt das Unglück seinen Lauf, Angina wird schwanger und läßt zwei Monate später ihr Kind abtreiben. Mittlerweile obdachlos, denn ihr damaliges Haus war mit Graffiti verseucht und mußte ermordet werden, überreicht ihnen ein ominöser Herr namens Geschwür seinen Wohnungsschlüssel - und stirbt. Glücklich, endlich eine neue Heimstatt gefunden zu haben, ziehen die beiden in die neue Wohnung. Alles scheint friedvoll und harmonisch enden zu wollen, bis sich der abgetriebene Fötus meldet und Angina telefonisch terrorisiert. Notgedrungen macht sich Alka nun auf der Suche nach Pixy, dem Abgetriebenen.

Eine schreckliche Reise beginnt, die bis zur IKEA-Pyramide führt. Nach der Lektüre von PIXY kann man Lou Reed wirklich verstehen, daß er sich, wie er in "Blue in the face" gesteht, vor den Schweden fürchtet, obwohl Max Andersson nicht so nihilistisch und zynisch ist, wie ihm dies etwa die schwedische Presse oftmals nachsagt, denn ganz am Schluß, am Ende, auf der letzten Seite bietet er uns noch einen kleinen Hoffnungsschimmer an, ein kleines Stück Zuversicht in einer Welt voller Grausamkeiten.

Wir sollten es Jochen Enterprises wirklich tausendfach danken, daß es uns diesen wunderbaren Comic, in solider Übersetzung und im Originallettering von Max Andersson, zugänglich machte. Ein,Danke' kommt jedenfalls von mir!