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13. Juli 2019 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||
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Writer: Mark Russell; Artist: Richard Pace; Finisher »Earth Pages«: Leonard Kirk; Colorist »Earth Pages«: Andy Troy; Cover: Amanda Conner; Ahoy Comics, $ 3,99
Innerhalb von zwei Tagen entwickelte sich Mark Russell für mich zu einem wirklich interessanten Comic-Autor. Neben Wonder Twins hat er nämlich auch Second Coming geschrieben, einen Comic, der wegen der skandalträchtigen Handlung seinen Publisher verloren haben soll (man munkelt, es ginge hierbei um DC, und das würde auch sehr gut passen - dazu später noch mehr...).
Second Coming wird jetzt von Ahoy Comics publiziert, die sich so langsam zu einem meiner Favoriten entwickelt, auch, wenn ich noch einiges nachzuholen habe. Aber Comics wie Hashtag Danger oder Captain Ginger finde ich außerordentlich unterhaltsam, und durch kleine Back-ups und illustrierte Kurzgeschichten und andere Texte bekommt man bei Ahoy durchweg immer etwas mehr fürs Geld. Außerdem ist der Verlag dafür bekannt, dass er sich ganz auf das System der »seasons« stützt, durch kurze Serien (bisher glaube ich immer vier bis fünf Hefte) kann man dafür Sorge tragen, dass vorproduziert und die Hefte dann auch jeweils pünktlich erscheinen, ein Problem, dass zu viel Verdruss bei Comiclesern führt, weil man entweder lange auf die Fortsetzung warten muss oder feststellt, dass manche Hefte unter Zeitdruck mit Gastkünstlern erstellt werden. Wer derart Probleme im Detail untersuchen will, dem empfehle ich All-Star Batman and Robin the Boy Wonder von Frank Miller und Jim Lee, eine Serie die etwas unter drei Jahre für zehn Hefte brauchte und dann quasi mittendrin in der Handlung abbricht (außerdem macht die Handlung zwischendurch den Eindruck, dass Miller so gar nicht wusste, in welche Richtung es gehen sollte). Quasi die Analogie zu Joss Whedons Firefly in der Comic-Branche, nur mit dem Unterschied, dass die Qualität der beiden Werke diametral zueinandersteht.
Zurück zu Second Coming. Hier werden zunächst Teile der biblischen Geschichte wiedererzählt (schon an den ersten drei Seiten der Geschichte von Adam und Eva hätte sich viele Publisher nicht die Finger verbrennen wollen), bis dann einer der Titelhelden, Jesus, auf den Plan tritt. Sein Vater ist ziemlich enttäuscht von ihm, und erst heutzutage, als der außerirdische Superheld Sunstar (Privatname Ken (!!!), lebt zusammen mit einer Journalistin mit alliterativem Namen) sich sehnlichst ein Adoptivkind wünscht, als lediger Außerirdischer aber ganz schlechte Aussichten hat, erscheint Gottes Antlitz im Schlafzimmer von Sheila und Ken und ein Deal wird gemacht. Der gottähnliche Superheld soll dem Gottessohn mal beibringen, wie man unter den Sterblichen etwas erfolgreicher auftritt.
Kurz zurück zu DC: Eine der Geschichten, mit denen ich ins Comic-Metier einstieg, drehte sich um jene Momente, wo der Comic-Gigant kalte Füße bekam. Als Grant Morrison den Joker in Arkham Asylum quasi als Transe auftreten lassen wollte, sagte DC »Nyet!« (wurde später von Christopher Nolan und Heath Ledger im Ansatz nachgeliefert). Als Neil Gaiman eine Transgender-Figur im Sandman zum großen Fan von Bizarro machen wollte, änderte man den Namen kurzfristig in »Weirdzo« (ich hoffe, ich erinnere mich richtig) und ein draufgeklebter Schnipsel beim Lettering löste sich auch noch. DC hat aber nicht nur Angst vor Sex, auch als Rick Veitch bei seinem Run von Swamp Thing, der Swampy durch die Zeit reisen ließ, diesen auf Jesus treffen lassen wollte, wurde auch dies nicht erlaubt, Rick Veitch packte seine Sachen und die Serie erholte sich eigentlich nie wieder richtig (auch wenn man u.a. Neil Gaiman und Jamie Delano zum »Richten« einstellen wollte). In Second Coming hat man nun nackerte Paradiesvögel und Jesus, der quasi bei Superman einziehen will (keine Ahnung, ob Russell tatsächlich die Chuzpe hatte, Supie selbst in seinem Treatment einzubinden). Da verwundert der Rückzug nicht wirklich.
Ich persönlich bin vor Jahrzehnten aus der Kirche ausgetreten, gönne jedem seinen Glauben, finde aber, dass die Welt ohne Religion und Nationalismus ein weitaus freundlicherer Platz zum Leben wäre. Mir hat Second Coming viel Spaß bereitet, ich würde den Comic als Mischung aus Garth Ennis' Preacher (ohne die Gewalt) und einem Buddy-Film wie The Rookie beschreiben (nur halt mit einem Superheld).
Interessant ist auch, dass das Artwork von Richard Pace in den »biblischen« Passagen wirkt wie von John Ridgway oder Michael Zulli (womit wir wieder direkt bei den Anekdoten aus der DC-Geschichte wären), während er geinkt und fremdkoloriert so richtig slick aussieht.
© 2019 Mark Russell and Richard Pace
Mark Russell wurde unter anderem Blasphemie vorgeworfen (wie der Herrgott als halbgelangweilte couch potato die Geschicke der Menschheit betrachtet, entspricht nicht unbedingt der Vorstellung typischer Gläubiger), aber Russell interpretiert dieses Wort in einem kurzen Nachwort als die Fähigkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Und dass der unvoreingenommene Leser sich diese nun auch bilden will, ist natürlich eine tolle Werbeunterstützung, selbst wenn Russell jetzt vielleicht auch ein paar Drohbriefe bekommt oder Fundamentalisten vor seiner Haustür demonstrieren.
Wer Humor mag und nicht zu verbohrt in seinem Glauben ist, wird Second Coming lieben. Mein liebster Gag ist übrigens die Art von Verbrechen, bei der Kay & Jay (mein persönlicher Spitzname) erstmals gemeinsam die mafiösen Strukturen aufbrechen wollen. Wie gesagt, Mark Russell hat einige wirklich tolle Ideen - und zieht sie auch durch.
Writer: Peter Milligan; Artist: Michael Allred; Colorist: Laura Allred; Letterer: Nate Piekos of Blambot Studios; Marvel Comics; $ 4,99
Peter Milligan ist auch so ein Autor, bei dem ich die ganz frühen Gehversuche beobachtet habe, etwa die Serie Skreemer (pre-Vertigo), ehe er dann mit Shade the Changing Man zu einer der wichtigsten Figuren der dritten britischen Welle der US-Comics wurde (Seite an Seite etwa mit Mark Millar).
Zusammen mit Madman-Schöpfer Michael Allred schuf er ein Mutanten-Team, dass vor allem durch die hohe Sterblichkeitsrate seiner Mitglieder berühmt wurde. Und die Tendenz von Marvel Comics, seine Superhelden-Teams mit anderen Aufgaben zu betreuen (siehe Peter Davids X-Factor), weiterführte (man wollte vor allem berühmt werden - und das zu Zeiten, als noch nicht jede Zwölfjährige einen eigenen Instagram-Account hatte). Und nebenbei Comicgeschichte schrieb (niemand vermisst die comics code authority).
Abgesehen von ein paar Auftritten von Doop hörte man von den X-Statix nicht mehr so viel, was nicht zuletzt auch damit zusammenhing, dass viele Mitglieder in den letzten Heften abtraten. Wie man auf dem Cover des neuen Heftes sehen kann (übrigens die Vorbereitungsphase einer neuen Serie im nächsten Jahr), scheinen selbst einige Tote wieder auferstanden.
Zum Teil wird der Generationswechsel mit Nachfahren der »alten« (für Marvel-Verhältnisse sehr jungen) Helden von Milligan parodisiert, nur an einem Beispiel (und die junge Frau will ums Verrecken keine Superheldin werden) thematisiert er es aber auch.
© Marvel Comics
Ich habe so ein kleines Problem damit, wie man die frühere Entscheidung, sich gegen die (veröffentlichungstechnische) Unsterblichkeit von Superhelden aufzulehnen, jetzt im Nachhinein wieder entgegenstellt, aber Milligan macht das schon ganz clever, das »all the same, but different«-Mantra, das die großen publishing houses heutzutage prägt, wird karikiert, aber gleichzeitig befolgt. Oder, wie Fußballtrainer sagen sollen: never change a winning team!
Man merkt, dass Milligan und Allred ihr Team vermisst haben, weiß aber auch, dass die beiden mit dem monatlichen Trott (so die neue Serie nicht nur eine Miniserie werden soll) schon so ihre weniger schönen Erfahrungen gemacht haben (evtl. Allred noch stärker als Milligan).
Alte wie neue Fans der quirkyness der beiden werden aber gut bedient. Eine einzige, aber wichtige Einschränkung: als Giant werden in der Comic-Branche seit vielen Jahren dicke Bände mit 80 Seiten bezeichnet. Verglichen damit ist dieses Heft eher so L, allenfalls XL, aber nicht wirklich »Giant-Size« (33 Comic-Seiten, wenn ich mich nicht verzählt habe - Second Coming #1 und Reaver #1 haben 30 bzw. 31 Seiten - machen aber kein großes Aufhebens davon).
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