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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




13. Juli 2019
Thomas Vorwerk
für satt.org


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Unsere Erklärseite
(aka mission statement)


Das Kürzel »T.V.O.D.« steht normalerweise natürlich für television overdose, »T.V.O.D.« ist sogar der Titel der B-Seite der allerersten Single meines Lieblingsplattenlabels Mute Records (die A-Seite, ebenfalls von »the normal« [das ist Labelgründer Daniel Miller] war »Warm Leatherette«, jener von James Graham Ballards Roman Crash inspirierte Song, den viele wohl in der Coverversion von Grace Jones kennen. Wer an dieser Stelle kurz zu youtube pilgern will, um innovativen Elektroklängen der frühen 1980er zu lauschen, ist hiermit entschuldigt).

Zurück zum Text: wenn man die Initialen TV hat, merkt man recht schnell, dass Zeitschriften wie »TV Hören und Sehen« nach einem benannt sind, und von da aus war es kein weiter Weg, für die Abkürzung »TVOD« eine neue Bedeutung zu finden, das Kürzel NCBD ist so tatsächlich ein Begriff, wird auch gern als Hashtag benutzt. Von da aus war es ein Katzensprung, zu entscheiden, dass ich jede Woche acht Comics besprechen will und deren Cover mit in mein jeweiliges Logo integrieren will (ein Friemelarbeit sondergleichen).

US-Comics wurden von den großen Distributern schon seit sehr langer Zeit (ich stieß erst Anfang der 1990er dazu) einmal die Woche verschickt. Irgendwann nach Populärwerden des Internets, wo vermutlich immer einige Dödel damit angaben, dass sie das neue Heft von Dingensbummens schon besitzen, während anderswo jemand wusste, er kriegt es wohl erst übermorgen (man muss bedenken, dass die Versendung innerhalb des Herkunftslandes USA auch nicht immer mit dem alten Post-Slogan »E plus 1« funktioniert), hat man einen festen Erstverkaufstag eingeführt, der, so erfuhr ich von meinem Comic-Dealer, tatsächlich auch mal von Diamond Publishing überprüft wird. Und somit kann man jetzt in beispielsweise Berlin, wenn nicht gerade der Zoll wieder Scherereien macht, die neuen Hefte gleichzeitig mit den Leuten in den Staaten abgreifen. Wegen der Zeitverschiebung streng genommen sogar ein paar Stunden früher. Es lebe die Globalisierung!

Ich versuche, meine acht Comics der Woche halbwegs fair über die typischen Verlage zu verteilen. Beispielsweise je zwei Marvel-, DC- und Image-Hefte und dann noch etwas von den kleineren Verlagshäusern wie Dark Horse, IDW, Ahoy usw. Ich persönlich bin auch ein großer Fan von den Comics von Drawn and Quarterly oder Fantagraphics, aber in dieser Rubrik will ich mich ganz auf Hefte konzentrieren, weil man so eine Graphic Novel oder ein tolles Werk in Schubern nicht mal eben immer in 24 Stunden durchlesen kann.

Apropos 24 Stunden: meine Zielsetzung ist es, das TVODNCBD jeweils möglichst immer recht schnell ab dem Mittwoch zu veröffentlichen, am besten spätestens am Freitagabend, damit man am Samstag noch schnell zum Shop rasen kann und sich etwas besorgt, was man vielleicht übersehen hat. Doch bei allem Bingereading bin ich seit knapp einem Jahr auch so ein Spießer mit einem regelmäßigen Job, ich kann also nicht jeden Mittwoch rechtzeitig meine Drogen beschaffen und sofort konsumieren. Und fürs darüber schreiben braucht man auch noch etwas Zeit. Und geüchteweise auch für etwas, was man das Leben nennen soll. Es kann also sein, dass es etwas länger braucht. Oder, Odin behüte!, dass TVODNCBD mal eine Woche ausfällt, weil irgend ein blöder Mist, der euch, lieben Lesern, nichts bedeutet, mir aus unerfindlichen Gründen mal wichtiger erscheint.

Vorerst ist TVODNCBD ein mutiges Experiment, ich habe keinerlei Ansatzpunkte, wie lange ich diesen zusätzlichen Stress geregelt bekomme, und ob ich überhaupt das Gefühl habe, es interessiert irgendwen (ja, ihr habt richtig gelesen, das war ein versteckter Hinweis zu liken, sharen und retweeten!).

Wer meine Filmkritiken kennt, weiß, dass ich an jedes Werk unterschiedlich herangehe. Mal schreibe ich viel über den Inhalt, mal rege ich mich über Kleinigkeiten auf, ich habe auch schon mal eine ganze Bond-Rezension nur Bond-Girl Gemma Arterton gewidmet, weil sie mit Abstand das Aufregendste am Film war. Entsprechend werde ich auch in TVODNCBD nicht zu jedem Künstler die gesamte Laufbahn recherchieren, sondern stütze mich eher auf mein angesammeltes Halbwissen. Wer meine Vergleiche des Artworks mit anderen Zeichnern sieht, wird erkennen, dass ich mit den Comics der 1980er und 90er in das Metier hineingewachsen bin, wer mal nicht weiß, wer Debbie Drechsler, June Brigman oder Mike Dringenberg sind, dem kann ich nur raten, die modernen technologischen Möglichkeiten zu nutzen. Eine der nervigsten Grundbedingungen meiner Erfahrungen als bezahlter Journalist (von diesem Traum habe ich mich größtenteils verabschiedet) war es, bei jedem neuen Woody-Allen-Film irgendwelchen 14jährigen zu erklären, wer das ist. Wobei ich keinerlei Probleme mit 14jährigen habe, es waren einfach die Vorgaben mancher Auftraggeber, das Niveau der Leser knapp unter der Grasnarbe anzusiedeln. Entsprechend werde ich auch nicht jede Woche neu erklären, dass Peter Parker mal von einer radioaktiven Spinne gebissen wurde. Auch, wenn ich mir sicher bin, dass vielleicht die Hälfte der Menschheit darüber nicht umfassend informiert wurde.

So, genug geschwafelt, hier noch ein paar Bonus-Kritiken, die ich nicht rechtzeitig fertigbekommen habe, als Belohnung dafür, dass ihr euch diese Seite angeschaut habt.


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  Second Coming #1

Second Coming #1 (of 4)

Writer: Mark Russell; Artist: Richard Pace; Finisher »Earth Pages«: Leonard Kirk; Colorist »Earth Pages«: Andy Troy; Cover: Amanda Conner; Ahoy Comics, $ 3,99

Innerhalb von zwei Tagen entwickelte sich Mark Russell für mich zu einem wirklich interessanten Comic-Autor. Neben Wonder Twins hat er nämlich auch Second Coming geschrieben, einen Comic, der wegen der skandalträchtigen Handlung seinen Publisher verloren haben soll (man munkelt, es ginge hierbei um DC, und das würde auch sehr gut passen - dazu später noch mehr...).

Second Coming wird jetzt von Ahoy Comics publiziert, die sich so langsam zu einem meiner Favoriten entwickelt, auch, wenn ich noch einiges nachzuholen habe. Aber Comics wie Hashtag Danger oder Captain Ginger finde ich außerordentlich unterhaltsam, und durch kleine Back-ups und illustrierte Kurzgeschichten und andere Texte bekommt man bei Ahoy durchweg immer etwas mehr fürs Geld. Außerdem ist der Verlag dafür bekannt, dass er sich ganz auf das System der »seasons« stützt, durch kurze Serien (bisher glaube ich immer vier bis fünf Hefte) kann man dafür Sorge tragen, dass vorproduziert und die Hefte dann auch jeweils pünktlich erscheinen, ein Problem, dass zu viel Verdruss bei Comiclesern führt, weil man entweder lange auf die Fortsetzung warten muss oder feststellt, dass manche Hefte unter Zeitdruck mit Gastkünstlern erstellt werden. Wer derart Probleme im Detail untersuchen will, dem empfehle ich All-Star Batman and Robin the Boy Wonder von Frank Miller und Jim Lee, eine Serie die etwas unter drei Jahre für zehn Hefte brauchte und dann quasi mittendrin in der Handlung abbricht (außerdem macht die Handlung zwischendurch den Eindruck, dass Miller so gar nicht wusste, in welche Richtung es gehen sollte). Quasi die Analogie zu Joss Whedons Firefly in der Comic-Branche, nur mit dem Unterschied, dass die Qualität der beiden Werke diametral zueinandersteht.

Zurück zu Second Coming. Hier werden zunächst Teile der biblischen Geschichte wiedererzählt (schon an den ersten drei Seiten der Geschichte von Adam und Eva hätte sich viele Publisher nicht die Finger verbrennen wollen), bis dann einer der Titelhelden, Jesus, auf den Plan tritt. Sein Vater ist ziemlich enttäuscht von ihm, und erst heutzutage, als der außerirdische Superheld Sunstar (Privatname Ken (!!!), lebt zusammen mit einer Journalistin mit alliterativem Namen) sich sehnlichst ein Adoptivkind wünscht, als lediger Außerirdischer aber ganz schlechte Aussichten hat, erscheint Gottes Antlitz im Schlafzimmer von Sheila und Ken und ein Deal wird gemacht. Der gottähnliche Superheld soll dem Gottessohn mal beibringen, wie man unter den Sterblichen etwas erfolgreicher auftritt.

Kurz zurück zu DC: Eine der Geschichten, mit denen ich ins Comic-Metier einstieg, drehte sich um jene Momente, wo der Comic-Gigant kalte Füße bekam. Als Grant Morrison den Joker in Arkham Asylum quasi als Transe auftreten lassen wollte, sagte DC »Nyet!« (wurde später von Christopher Nolan und Heath Ledger im Ansatz nachgeliefert). Als Neil Gaiman eine Transgender-Figur im Sandman zum großen Fan von Bizarro machen wollte, änderte man den Namen kurzfristig in »Weirdzo« (ich hoffe, ich erinnere mich richtig) und ein draufgeklebter Schnipsel beim Lettering löste sich auch noch. DC hat aber nicht nur Angst vor Sex, auch als Rick Veitch bei seinem Run von Swamp Thing, der Swampy durch die Zeit reisen ließ, diesen auf Jesus treffen lassen wollte, wurde auch dies nicht erlaubt, Rick Veitch packte seine Sachen und die Serie erholte sich eigentlich nie wieder richtig (auch wenn man u.a. Neil Gaiman und Jamie Delano zum »Richten« einstellen wollte). In Second Coming hat man nun nackerte Paradiesvögel und Jesus, der quasi bei Superman einziehen will (keine Ahnung, ob Russell tatsächlich die Chuzpe hatte, Supie selbst in seinem Treatment einzubinden). Da verwundert der Rückzug nicht wirklich.

Ich persönlich bin vor Jahrzehnten aus der Kirche ausgetreten, gönne jedem seinen Glauben, finde aber, dass die Welt ohne Religion und Nationalismus ein weitaus freundlicherer Platz zum Leben wäre. Mir hat Second Coming viel Spaß bereitet, ich würde den Comic als Mischung aus Garth Ennis' Preacher (ohne die Gewalt) und einem Buddy-Film wie The Rookie beschreiben (nur halt mit einem Superheld).

Interessant ist auch, dass das Artwork von Richard Pace in den »biblischen« Passagen wirkt wie von John Ridgway oder Michael Zulli (womit wir wieder direkt bei den Anekdoten aus der DC-Geschichte wären), während er geinkt und fremdkoloriert so richtig slick aussieht.

Second Coming #1

© 2019 Mark Russell and Richard Pace

Mark Russell wurde unter anderem Blasphemie vorgeworfen (wie der Herrgott als halbgelangweilte couch potato die Geschicke der Menschheit betrachtet, entspricht nicht unbedingt der Vorstellung typischer Gläubiger), aber Russell interpretiert dieses Wort in einem kurzen Nachwort als die Fähigkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden. Und dass der unvoreingenommene Leser sich diese nun auch bilden will, ist natürlich eine tolle Werbeunterstützung, selbst wenn Russell jetzt vielleicht auch ein paar Drohbriefe bekommt oder Fundamentalisten vor seiner Haustür demonstrieren.

Wer Humor mag und nicht zu verbohrt in seinem Glauben ist, wird Second Coming lieben. Mein liebster Gag ist übrigens die Art von Verbrechen, bei der Kay & Jay (mein persönlicher Spitzname) erstmals gemeinsam die mafiösen Strukturen aufbrechen wollen. Wie gesagt, Mark Russell hat einige wirklich tolle Ideen - und zieht sie auch durch.


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  Giant-Size X-Statix #1

Giant-Size X-Statix
#1 (one-shot)

Writer: Peter Milligan; Artist: Michael Allred; Colorist: Laura Allred; Letterer: Nate Piekos of Blambot Studios; Marvel Comics; $ 4,99

Peter Milligan ist auch so ein Autor, bei dem ich die ganz frühen Gehversuche beobachtet habe, etwa die Serie Skreemer (pre-Vertigo), ehe er dann mit Shade the Changing Man zu einer der wichtigsten Figuren der dritten britischen Welle der US-Comics wurde (Seite an Seite etwa mit Mark Millar).

Zusammen mit Madman-Schöpfer Michael Allred schuf er ein Mutanten-Team, dass vor allem durch die hohe Sterblichkeitsrate seiner Mitglieder berühmt wurde. Und die Tendenz von Marvel Comics, seine Superhelden-Teams mit anderen Aufgaben zu betreuen (siehe Peter Davids X-Factor), weiterführte (man wollte vor allem berühmt werden - und das zu Zeiten, als noch nicht jede Zwölfjährige einen eigenen Instagram-Account hatte). Und nebenbei Comicgeschichte schrieb (niemand vermisst die comics code authority).

Abgesehen von ein paar Auftritten von Doop hörte man von den X-Statix nicht mehr so viel, was nicht zuletzt auch damit zusammenhing, dass viele Mitglieder in den letzten Heften abtraten. Wie man auf dem Cover des neuen Heftes sehen kann (übrigens die Vorbereitungsphase einer neuen Serie im nächsten Jahr), scheinen selbst einige Tote wieder auferstanden.

Zum Teil wird der Generationswechsel mit Nachfahren der »alten« (für Marvel-Verhältnisse sehr jungen) Helden von Milligan parodisiert, nur an einem Beispiel (und die junge Frau will ums Verrecken keine Superheldin werden) thematisiert er es aber auch.

Giant-Size X-Statix #1

© Marvel Comics

Ich habe so ein kleines Problem damit, wie man die frühere Entscheidung, sich gegen die (veröffentlichungstechnische) Unsterblichkeit von Superhelden aufzulehnen, jetzt im Nachhinein wieder entgegenstellt, aber Milligan macht das schon ganz clever, das »all the same, but different«-Mantra, das die großen publishing houses heutzutage prägt, wird karikiert, aber gleichzeitig befolgt. Oder, wie Fußballtrainer sagen sollen: never change a winning team!

Man merkt, dass Milligan und Allred ihr Team vermisst haben, weiß aber auch, dass die beiden mit dem monatlichen Trott (so die neue Serie nicht nur eine Miniserie werden soll) schon so ihre weniger schönen Erfahrungen gemacht haben (evtl. Allred noch stärker als Milligan).

Alte wie neue Fans der quirkyness der beiden werden aber gut bedient. Eine einzige, aber wichtige Einschränkung: als Giant werden in der Comic-Branche seit vielen Jahren dicke Bände mit 80 Seiten bezeichnet. Verglichen damit ist dieses Heft eher so L, allenfalls XL, aber nicht wirklich »Giant-Size« (33 Comic-Seiten, wenn ich mich nicht verzählt habe - Second Coming #1 und Reaver #1 haben 30 bzw. 31 Seiten - machen aber kein großes Aufhebens davon).