Dancer in the Dark
Ein Film von Lars von Trier
Schon bei der Ouvertüre, dem unbebilderten, mehrminütigen Symphoniestück zu Beginn, erkennen auch schon bald die Lümmel in der letzten Bank daß dies ein besonderer Film ist. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal mit derart hohen Erwartungen an einen Film herangegangen bin und nicht enttäuscht wurde. In mancherlei Beziehung wurden sie sogar übertroffen. So gehörte ich auch zu jenen, die sich im Vorfeld fragten, wie es wohl möglich sein soll, ein Meldodram, das in seiner realistischen Nüchternheit manchmal an die Dekalog-Filme von Kieslowski erinnert, noch dazu aufgenommen im mitunter harten Video-Stil, den man von von Trier seit Breaking the Waves und Riget kennt, der
aber inzwischen zum Inbegriff der Dogma-Filme wurde, wie man einen derartigen Film mit Musical-Elementen verbinden könne. Sicher, All that Jazz oder Les parapluis de Cherbourgh sind auch nicht automatisch dasselbe wie der hier in einer Laienspielgruppe nachinszenierte "The Sound of Music", aber ich befürchtete schon irgendwie, daß die so unterschiedlichen Teile den Film entweder zerreißen könnten oder daß das Gleichgewicht zwischen aussichtlosem Fabrik-Alltag und farbenfroher Tanznummer nicht gehalten werden könnte. Doch mitnichten, bis zuletzt, wenn die Träumereien Selmas schließlich auch für ihre Umwelt hörbar werden, gelingt es dem Dänen, die Balance zu halten. "This is a musical, and there is always someone to catch me", diese Textzeile lässt sich also auch auf den experimentierfreudigen Regisseur übertragen.
Und etwas zu den Schauspielern. Es spricht sicher für einen Film, wenn man trotz hochkarätiger Besetzungsliste irgendwann nicht mehr darauf wartet, in welcher Rolle zum Beispiel der manchmal unvermeidliche Sean Connery oder Gene Hackman auftaucht. Bei Joel Grey etwa dachte ich tatsächlich darüber nach, ob es diesen mysteriösen "Aldritch Novi" womöglich tatsächlich gäbe, und ob er so aussehe. Spätestens als Grey dann sang, entdeckte ich natürlich meinen Fehler.
Peter Stormare oder David Morse, bisher auf Bösewichte oder vierte Hauptrollen in unbekannten Filmen abonniert, überzeugen mit neuen Facetten und (im letzteren Fall) einer sensiblen Charakterstudie, wenn auch ihr Gesang nicht mit dem Hauptdarstellerin mithalten kann. Und natürlich hat auch Björk die Erwartungen übertroffen. Nicht nur mit der Hornbrille ausgerüstet, auch ohne gelingt es ihr, die Verzweiflung der tschechischen Fabrikarbeiterin einzufangen, ohne daß ein gelegentliches Lächeln die
Illusion gleich wieder zerstören konnte. Nur in den Musical-Einlagen war sie natürlich ganz der Superstar, mit dem dann das restliche Ensemble nur unter Höchstleistung mithalten kann.
Alles in allem kann ich an diesem Film einfach unzählige magische Momente erinnern, aber kaum störende Details. Selbst Selmas seltsame Einstellung gegenüber ihrem Sohn erklärt sich später als notwendig und Catherine Deneuves wenig realistische Verzweiflungstat am Ende kann ich auch verzeihen. Und daß hier die Geschworenen auch gleich das Strafmaß proklamieren, ist im nachhinein auch irgendwie ein nettes Detail. Naja, ich glaube ich schau mir den Film Anfang nächster Woche nochmal im Original an.