Unbreakable
Ein rekonstruiertes Zwiegespräch zwischen Thomas Vorwerk und Andreas Platthaus.
Andreas: Du schreibst, Dir sei in "Unbreakable" die violette Kleidung von Samuel L. Jackson auf die Nerven gegangen, aber das Ende [Hier vielleicht mal der erste einer Reihe von SPOILERn. Wer noch vorhat, diesen Film zu sehen, sollte diesen Artikel nicht lesen.] habe Dich überrascht. Nimm es mir nicht übel, aber einen besseren Beweis für die erstaunliche Qualität des Films gibt es doch gar nicht. Wieso sind denn weder Du noch ich auf den Gedanken gekommen, daß wir es mit einem [Also jetzt mal ehrlich Leute, wenn ihr das nächste Wort seht, ist der Film für euch gestorben. Und wer jetzt nur wegen des fettgedruckten seinen Blick auf diesen Zeilen ruhen lässt, tut sich damit keinen Gefallen. "SPOILER" heißt wegschauen, oder sich nachher zumindest nicht beschweren, wenn man nicht wegschauen kann.] Superschurken zu tun haben, obwohl alle Indizien da waren (viel sichtbarer als in "The Sixth Sense")? Die schreiende Farbe. jokergemäß, das triste Schicksal, der Fanatismus und natürlich vor allem die Symbiose mit dem Heros.
Thomas: Sicher, sicher, ich weiß es schon zu schätzen, daß der Film selbst alle kurzzeitigen Zweifel sofort wieder zu zerstreuen weiß. So habe ich zum Beispiel bei der kameratechnisch grandios umgesetzten Szene im Zug auch (WIRKLICH!) sofort deswegen aufgemerkt, weil der Zug immer schneller wurde, was für mich ein Zeichen dafür war, daß es nicht ein Unfall wegen menschlichem oder technischen Versagen war, sondern ein [Ich hatte es glaube ich schon mal angedeutet, daß ihr lieber weiterblättern solltet, wenn ihr euch den Film nicht mit diversen SPOILERn verderben wollt.] Akt der Sabotage war. Aber keine zwei Minuten nach diesem Gedanken hatte ich ihn bereits wieder verdrängt, so nahm mich der Film gefangen. Auch der gläserne Stock, die offensichtliche Paranoia Jacksons, die Titel gleich zu Anfang des Films, die auf eine Comichaftigkeit deuteten, nichts konnte mich auf die Schlußwendung vorbereiten.
Andreas: Gute Güte, wir haben doch die dekonstruktive Phase der Superheldencomics in den achtziger Jahren verfolgt und offensichtlich trotzdem nichts von Moore, Miller oder Gaiman gelernt. Sondern wir sind bei Starlin stehengeblieben, bei der Effekthascherei. Für die Subtilität eines andeutenden Plots sind wir verloren.
Thomas: Es tut mir leid, Andreas, aber hier muß ich Dir das Wort im Munde umdrehen, denn diese "Effekthascherei" ist es, die ich dem Film ankreide. Warum muß ein Sohn den Vater, den er liebt, mit einer Pistole bedrohen, um herauszubekommen, ob er verletzlich ist? Spätestens, nachdem die Handfeuerwaffe dem Jüngling entrissen war, hätte Herr Willis einfach eine Stecknadel nehmen müssen und mit einem kleinen Stich entweder den einen oder den anderen Zustand beweisen können. Warum muß er zur Feststellung seiner Stärke bombastische Gewichte über seinem Brsustkorb türmen, während weit und breit keine Hilfe in der Nähe ist? Nur aus einem Grund: Um Spannung zu erzeugen, die völlig entgegengesetzt einer nur halbwegs logischen Motivation der Handelnden ist. Sicher, die Motivation eines Comic-Helden, sein Leben einzusetzen, um wie die Marvel-Helden zwar Leben zu retten, aber Gefahr oder gar Schmäh zu ernten, ist selbst für den moralisch hochwertigsten Leser manchmal an den Haaren herbeigezogen, aber hier geht es noch gar nicht um das Streiten für die Gerechtigkeit, sondern um die bloße Feststellung der Verwundbarkeit und Stärke. Und dafür setzt dieser Superheld, der es nicht wahr haben will, sein Leben aufs Spiel. Das Leugnen seiner Fähigkeiten ist ihm wichtiger als sein körperliches Wohl? Tut mir leid, das nehme ich ihm nicht ab. Und auch die "Liebe zum Comic", die Du Shyamalan hoch anrechnest, bezweifle ich. Ist Dir etwa aufgefallen, daß man in einer Szene Jackson inmitten seiner Comic-Originale sieht, und zwei der Originale sich wie ein Ei dem anderen ähneln? Sicher, es mag dafür eine Erklärung geben, aber ich unterstelle dem Regisseur einfach, daß er an der falschen Stelle gespart hat und es für ihn nichts unwichtigeres gab als die Ausstellungsstücke in Jacksons Galerie. Mal ganz abgesehen davon, daß ausgerechnet der Comic-Leser sich als der [Könnt ihr schon wieder nicht den Blick abhalten, ihr neugierigen Personen. Here there be SPOILERs!!!] paranoide Mörder erweist. "Comics will rot your brain", ist sowas Liebe zum Medium? Nein ein blödes Vorurteil, das vom Regisseur unterstützt wird, ein Klischee, wie es nur Leute unterstützen würden, die nie die geringfügige, aber nichtsdestotrotz existierende Subtilität selbst eines Starlin-Comics erfahren haben.
Andreas: Klischees? Ja, aber sicher: der Comic-Kunsthändler, die Berührung mit den Schuldigen, der Beruf von Bruce Willis …
Thomas: Der Zeitungsausschnitt nebst Phantomzeichnung, obwohl das schon wieder nett war …
Andreas: …der Gegensatz von Zerbrechlichkeit und Unverletzlichkeit. Aber wie brillant ist das alles eingesetzt, alles läuft nur auf die zehn Sekunden Film hinaus, in denen die Wahrheit enthüllt wird. Und wie wundervoll spielt Willis, dieser große Könner, das Entsetzen angesichts der skrupellosen Suche nach Erlösung.
Thomas: Naja, jetzt übertreib´s mal nicht …
Andreas: Wie gräßlich ist der Sturz auf der U-Bahn-Treppe inszeniert …
Thomas: Sicher, sicher, einige Szenen sind schon atemberaubend, auch die Sache mit dem Swimming-Pool. Derlei eindrucksvoll hat Zemeckis die Angst vorm Ertrinken, die ja eines der Hauptmotive in "What lies beneath" war, nicht mal anzudeuten vermocht …
Andreas: Und wie kann man es einem Regisseur zum Vorwurf machen, daß er seinen ersten Erfolg variiert? Zwei meiner Favoriten, vielleicht in meiner Sicht die größten Regisseure überhaupt, Melville und Hitchcock, haben über Jahrzehnte nichts anderes getan. Nun tut es einer eben binnen eines Jahres. Schön, wenn es solche Folgen zeitigt.
Thomas: Okay, okay, ich habe auch nie gesagt, daß "Unbreakable" ein schlechter Film ist, ich finde nur "The Sixth Sense" sehr viel besser. Dort dreht die Enthüllung am Schluß, den ganzen Film noch mal um, hier hatte ich eher den Eindruck, daß die Schlußpointe den Film seiner Basis entraubt, bis zu dem Zeitpunkt war der Film ein Rätsel, daß einen atemlos hielt, danach war die Luft raus und retrospektiv bleibt nur ein zugegenermaßen sehr gelungener Superhelden-Comic-Film. Meines Erachtens verhält sich "Unbreakable" zu "The Sixth Sense", um bei Deinen Vorlieben zu bleiben, wie "Marnie" zu "Vertigo" oder "Frenzy" zu "Psycho". Nichtsdestotrotz sind "Marnie" und "Frenzy" große Filme, und ich möchte auch "Unbreakable" nicht missen, aber es gibt innerhalb des Films einfach zu vieles was man (meinetwegen NOCH) besser hätte machen können. Bist Du mit diesem Schlußplädoyer zufrieden?
Andreas (eigentlich Thomas mit verstellter Stimme): Wie kann ich zufrieden damit sein, daß Du meinen Brief in Wortfetzen zerreißt, mir das Wort im Munde umdrehst, fast jedes meiner Argumente abschwächst, ohne mir eine Chance zu geben, Dir zu zeigen, wo Deine Argumentation hinkt, wo Du mit Blindheit geschlagen bist oder wo Du schlichtweg Blödsinn quasselst?
Thomas (hört sich ein bißchen wie Andreas mit verstellter Stimme an, ist aber nur Thomas, der so klingen will): Na gut, einigen wir uns darauf, daß "Unbreakable" den Kinobesuch wert ist, und daß man als Comic-Fan einiges mehr daran zu diskutieren haben wird als als Normalsterblicher. Und daß der Film wahrscheinlich der mit Abstand beste und atmosphärisch dichteste Superhelden-Comic-Film ist, der nicht auf einer Vorlage basiert. Und auch unter denen, die eine Vorlage haben, gut 98% Prozent ganz schlecht aussehen lässt.
Andreas (aus dem Zusammenhang gerissen zitiert): So mag es weitergehen.