LIQUID SKY(USA 1982)
-Ein Modemärchen-
„Tellergroßes Ufo landet auf dem Balkon einer jungen Frau und verspeist die ihr aufgezwungenen Liebhaber. Am Ende entschwindet sie mit dem Ufo im All. Krude Mischung aus Science fiction-Parodie, Märchen und Beschreibung des New Yorker New-Wave-Milieus.“
(Lexikon des Internationalen Spielfilms)
„Die Trends stehen auf low.“
(Barbara Vinken)
Die Großaufnahme einer entseelten, kreidebleichen Totenmaske, die Kamera weicht zurück, eine Wand, ein Penthouse, ein neonbeleuchtetes Fenster inmitten einer Großstadt - der Großstadt: NEW YORK. Ungestüm setzt LIQUID SKY ein und reißt den Zuschauer mit in die Seltsamkeit. Die Musik ist außer sich, hastig, unerhört! LIQUID SKY ist auch ein grollendes Popmusical, dessen Faszination zum großen Teil auf seinem meisterhaften Soundtrack beruht. Dann der schnelle Umschnitt: Nachtklub, Discopuls, New Wave. Die Tanzfläche wird bevölkert von jungen kostümierten Zeitgeistern, die selbstversunken den Rhythmus ausleben: Schauflattern. Zurück im Zimmer, die entgegengesetzte Kamerabewegung, der Zuschauer blickt mit/aus den Augen der Maske. Diese löst sich scheinbar von der Wand, tappt unsicher durch den Raum, betritt das Dach. Die Vorderansicht des Wolkenkratzers, dann wieder Nachtklub. Rhythmus, enthemmte Körper, Kostümball. Umschnitt: statische Stilleben. Die Maske, das Zimmer, das Hochhaus. Der furiose Vorspann ist vorbei, lets starts the show.
Ein neues Motiv, bildlich wie musikalisch. Ein Ufo schwebt zwischen den Wolkenkratzern, man kennt es aus tausend Filmen. Es landet - auf dem Dach des Penthouse, die Kamera nähert sich dem UFO, verschwindet gar in ihm. Darin: ein zuckendes, psychedelisches Etwas. Kein Spezialeffekt, bloß ein Sinnbild. Spiegel bestimmen die anschließenden Kamerafahrten und Bildeinstellungen, sie übernehmen in LIQUID SKY grundsätzliche Funktionen. Wie in Rainer Werner Fassbinders Meisterwerk »Fontane Effi Briest« ahnen sie voraus, bilden Gedanken und Geheimnisse ab, dementieren den Anschein und porträtieren gleich guten Gemälden das Dargestellte. Ein Spiegel setzt Maske und UFO in Beziehung, ein grellbunter Bildertrip beginnt. Die Kamera umschleicht die Gesichtslarve, durchleuchtet sie und wird schließlich fündig. Rote Farbexplosionen. Später erfahren wir, daß genau an dieser Stelle, dem Gehirn, das Heroin aufbewahrt wird.
Zurück im Klub. Mann spricht Frau an, der erste Dialog:
-Hey, I need some stuff.
-You got any money, babe?
Nein - und deshalb bekommt er auch nichts. Die Dealerin verschwindet, der Abgewiesene dreht sich um, schaut in das schrillbemalte, hübsche Gesicht eines blonden Paradiesvogels, die Enttäuschung des Mannsbildes entgleist in einem unverschämten Grinsen.
-Lets go to your place.
-Right now with you?
-Sure.
-Okay, lets go.
In dieser kurzen Sequenz lernten wir die drei Hauptfiguren des Films kennen: Adrian, die rücksichtlose lesbische Dealerin, die zusammen mit dem bisexuellen New-Wave-Mannequin Margaret das bereits bekannte Penthouse bewohnt, und schließlich Jimmy, das engherzige, schwule Drogenwrack, der ebenfalls als Fotomodell arbeitet.
Margaret und Jimmy werden von ein und derselben Schauspielerin grandios verkörpert: Anne Carlisle. Durch sie, die gleichfalls federführend an dem Drehbuch mitgewirkt hat und darin ihre eigene Lebensgeschichte aufarbeitet, wird das Unglaubwürdige authentisch, Schein Sein - und umgekehrt! Anne Carlisle, 1956 in Connecticut geboren, studierte an einer Kunsthochschule Malerei, produzierte experimentelle Video- und Super-8-Filme und nahm nebenher Schauspielunterricht. Zudem arbeitete sie als Mannequin für LaRocka, New Yorks erster New-Wave-Modeagentur. LIQUID SKY war Carlisles einzige bedeutende, ja legendäre Filmrolle, nach ein paar belanglosen TV- und Kinoauftritten (u. a. in »Crocodile Dundee« oder »Miami Vice«) verschwand sie Ende der 80er Jahre von den Bildflächen.
Im Penthouse beginnt die Balz, Margaret buhlt um Jimmys Gunst mit einem Masken- und Tempeltanz - bizarrer als der Truthahn-Tango. Doch der Umgarnte will nur eins.
-Do you know where she keeps the stuff?
Adrians Drogen. LIQUID SKY (eine poetische Bezeichnung für Heroin) ist das Porträit der desillusionierten, epikureischen Außenseitergesellschaft Anfang der 80er Jahre, in der jedes Wesen auf sich selbst zurückgeworfen ist. Das Morphinderivat fungiert als Emblem dieser Gemeinschaft der Vereinzelten. Auf Sonne folgte Reagan, die wilden 60er und wirren 70er mündeten in kühler Regungslosigkeit, Eiszeit. Drogen dienen nicht mehr der Bewußtseinserweiterung, sondern der Bewegungseinengung: das Glück im Winkel. Epikurs Lehre, daß jeder einzelne Mensch ein glückseliges Dasein führen und einen Höchstwert an Lust erzielen solle, war alles andere als eine hedonistische Ermunterung zum unbeschwert kollektiven Rausch, vielmehr forderte sie den individualistischen Rückzug ins persönlich Verborgene. Deshalb Heroin.
Überhaupt ist der Film eine einzige Allegorie, ein pointiertes Marionettentheater. Statt Menschen agieren Masken, hölzern und eigenwillig zugleich, so wie im richtigen Leben. Alles wirkt entlegen, andersartig, abnorm - das Sujet, die Schauplätze, die Dargestellten und die Musik - doch der fremde Blick gewährt Einsichten, Fäden werden sichtbar. Die Außenseiter des Films sind die Außenseiter der Gesellschaft - und also die Mehrheit. Denn hinter der Vielfalt der Lebensstile verbirgt sich doch bloß ein und dasselbe Lebensgefühl.
„I dont think its that localized - not New York, and not even the United States. I think its something thats in the air, that people all over the world feel. New wave is just a more advanced, more extreme mirror of processes that are happening to people all over the world - everyone has the same feelings.“
So Slava Tsukerman, der Regisseur. Er, der New Yorker Exilrusse, der 1972 aus der Sowjetunion verbannt wurde und nach Israel übersiedelte, dort künstlerisch nicht Fuß fassend 1976 nach New York auswanderte, ist tatsächlich ein Außerirdischer, Inhaber des fremden Blicks. Und in der Subkultur entdeckt der preisgekrönte Dokumentarfilmer ein zivilisatorisches Destillat:
„Well, you can compare LIQUID SKY to Brechts Three-Penny Opera. Brecht compared bourgeois society to the subculture of thieves and gangsters. Ive taken a more modern approach. I think people in the new wave sub-culture are performing little Brechtian performances modeled on society as they see it. And they see in it this exploitative kind of relationship, and again, they play it to a more extreme form.“
Und dieses doppelbödige Spiel zeigt wiederum LIQUID SKY - in nie gesehenen, wundersamen Bildern. Also weiter im Film.
Klub: Auftritt Adrian, das Mikrophon am Herzen, bum bum. Derweil im Penthouse streift Jimmy ein Kleid über und gesteht:
-I dont usually fuck girls.
Muß er doch gar nicht, auch Margaret hat andere Vorlieben. Ein Schluck aus dem Flachmann, Offenbarung. Jimmy will wissen, wo Adrian ihre Drogen versteckt.
-We can take just a little. She wouldnt know.
-Adrian would know. Besides I dont know where it is.
-Yes, you do.
-Fuck you.
Jimmy durchsucht die Schränke, zerwühlt Schubladen, vergebens. Das Ufo registriert jede Bewegung. Jimmy wütet, wirft ein Glas gegen die Wand, kippt einen Schrank um, Margaret hat genug, ein Handgemenge, Kampf. Sie siegt, schmeißt ihn raus. Unterdessen singt Adrian, die schwarze Botin, ihre Verse:
Me … me and my … me and my … me and my rhythm box … me and my rhythm box … are you jealous, folks? are you jealous, folks? … my rhythm box is sweet … never forgets the beat … it never eats … it never shits … it never sleeps … it only beats … its always high … so am I … do you wanna know why? … it … it is … preprogrammed … so what … so what … so what … who of your friends is not? … who of your friends is not? whos not?
In der Zwischenzeit haben sich Margaret und Jimmy wieder vertragen, die Arbeit ruft: Modenschau. Back to the club. Dort erfahren sie, daß am nächsten Abend gemeinsame Fotoaufnahmen für das »Midnight Magazine« anstehen. Tatort: das Dach des Penthouse. Der zeitliche Rahmen des Films ist gesteckt: 24 Stunden sind ein Tag.
LIQUID SKY ist ein ungemein statisches Werk, ich kenne allein einen Spielfilm, der noch schwerer und versunkener in sich ruht: Helge Schneiders tragische Kömodie oder komödiantische Tragödie »PRAXIS Doktor Hasenbein«. Beide Werke sind hermetische Menschfabeln, die durch ihre radikal entstellte Darstellung verstören, ja sogar abschrecken; beide wirken ebenfalls auch eher wie für die Bühne als für die Leinwand erschaffen. LIQUID SKY, dessen Produktion weniger als eine halbe Millionen Dollar kostete, erfüllt sogar die auf Aristoteles zurückgehende dramaturgische Einheitsgestaltung von Handlung, Zeit und Ort. Die Sprache ist knapp und karg, derb und verschandelt, gerade dadurch aber auch poetisch sentenzenhaft. Alltagslyrik in Prosa im besten Sinne des Wortes.
Es folgt das verzagte monologische Zwiegespräch eines Junkies, ein Seitenstrang wird ausgelegt, der später eingeholt wird, so wie alle Fäden am Ende des Films wieder zusammengeführt werden. Wo? Auf dem Dach des Penthouse natürlich. Zum happy end, einem theatralischen Massaker shakespeareschen Ausmasses.
Doch erst einmal fashion show. Die Menschen vergletschern zu geschlechts- und alterslosen Schaufensterpuppen, die Mode des New Wave erwacht zum Leben. Ein Stoff- und Maskenreigen zügelloser und blasierter als in den kühnsten Comicträumen eines Enki Bilal. Der Schein des Materials ist die Form ist die Aussage, möchte man Vilém Flusser ergänzen. Auch die Visionen des spanischen Modemachers Paco Rabanne werden wieder Wirklichkeit, Kollektionen mutieren zu Manifesten, Kleider zu Waffen - allerdings zu aussagelosen Kampfschriften und stumpfen Waffen. Die Mode des New Wave, die ebenfalls wie die des Punks auf den Straßen der Großstädte entstand, entlarvt Kategorien wie Geschlecht, Klasse und Alter als willkürliche und daher bedeutungslose Zuschreibungen. Die Punkbewegung aber, die die etablierten Ideale auf den Kopf stellte und mit dem „Choc der Häßlichkeit“ provozierte, hatte noch ein Feindbild: das Establishment. Anders die Maskerade des New Wave, sie enthüllt allein die leere Hülle hinter der Hülle, ihre Travestie richtet sich in erster Linie gegen sich selbst. Seht her, hier ist nichts!
Doch Geschlechtszuweisungen sind anscheinend noch schwerer zu lösen als Preisetiketten von einer CD-Hülle. Der New Wave entwickelte sich später zu einem hohlen, selbstgefälligen Spiel der Mittelklasse: Boy George, New Romantics, Thomas Anders.
Doppelgeschlechtlichkeit wurde schick, aber hinter den weibischen Haaren der Knaben und der weggebürsteten Fraulichkeit der Mädels verbargen sich doch nur die alten sexistischen und rassistischen Kategorien: Ich Tarzan, Du Jane, Ziel Baumhaus.
LIQUID SKY hingegen zeigt den häßlichen Tierpark: das Camp der Vampire. Margaret wird mehrfach vergewaltigt, Adrian fickt einen Toten, jede dargebotene Hand ist eine schlagende. Die Erlösung kommt aus dem Weltall, eine trostlose Hoffnung. Und eine märchenhafte zugleich. Tsukerman:
„Its better to deliver a message about reality in a fairy tale form, using modern fantasy symbols.“
Erinnern wir uns: das Filmmärchen entlarvt bloß das Märchen hinter dem Märchen!
Bis hierhin - und nicht weiter. Die soeben nacherzählten ersten Minuten von LIQUID SKY zählen zweifelsfrei zu den eigenwilligsten und verstörendsten Bildern der Filmgeschichte. Und sie verlangen unmittelbar eine Antwort: Ablehnung oder Zustimmung, JA oder NEIN! Entweder verläßt man seinen Sitzplatz sofort - oder nie mehr. Ein dilettierender Gothic-Dichter, dem ich vor ein paar Jahren LIQUID SKY aufs Auge drückte, wollte beispielsweise bereits nach den Anfangsminuten den gesamten Film dramatisieren.
GottseiDank konnten ein Freund und ich ihn rasch von diesem Vorhaben abbringen. Stattdessen beglückt er das Publikum nun mit zahl- und einfallslosen Coverversionen seiner Lieblingslieder. Erstaunlicherweise einigermaßen erfolgreich!
In der Tat ist LIQUID SKY das, was Klaus Theweleit einen „Geschichtsspeicher“ nennt. Ein künstlerisches populäres Werk, in dem nicht nur die Lebensgefühle der Produzenten und der Entstehungszeit aufgezeichnet sind, sondern das gleichfalls während der Aufführung die persönlichen Gefühlsströme der Zuschauer abspeichert. Diese mögen einen später noch so befremden, dennoch sind sie ein für allemal in dem Werk gesichert - ganz gleich ob man LIQUID SKY nun 1983, 1993 oder 2003 sah.
Um Verwechslungen vorzubeugen: Ein „Geschichtsspeicher“ erreicht nicht automatisch Kultstatus, wie umgekehrt auch nicht jeder Kultfilm einen „Geschichtsspeicher“ darstellt. Verbindet man beispielsweise mit »Pulp Fiction« wirklich mehr als einen ultracoolen Film? (Von So-waren-die-Machwerken wie »Velvet Goldmine« oder »Punk« mal ganz abgesehen.)
Früher war alles viel früher, mein Kind, o tempora! o mores! Eine Freundin (Jahrgang: jung) klagte vor einiger Zeit darüber, daß die 80er Jahre filmische Novitäten wie LIQUID SKY hervorbrachten - und heute nur noch »Trainspotting« hinten rauskommt. Eine Teilerklärung hierfür lieferte sie selbst: Heutzutage lockt die spaßige Oberfläche (Drogen, mehr Drogen, Musik, Mode, Sex) wieder als erstrebenswertes Ziel, als Ausgleich zum schlechtbezahlten McJob oder öden/anstrengenden Broterwerb, realisierbar am Wochenende und in der kargen Freizeit - für Mischkarrieristen, Zwangsbohemisten, Bastelidentitäten. Doch früher war er für viele/einige/manche regelrechter Alltag. Jene waren/haben sich so an die Außenflächen gepresst, daß sie selbst Bestandteil der Oberfläche wurden - und das Loch, das für sie dahinter gut sichtbar aufklaffte, war gähnend. Unsere gegenwärtig gern so genannte Spaßgesellschaft ist dies gerade deshalb, weil sie so wenig zum Lachen hat. Wir wollen wieder Teil einer Oberfläche sein.
Ein letztes: Ich kenne kaum einen Film, der so viele vernichtende Urteile erntete wie LIQUID SKY, er gilt als der schlechteste (Science Fiction-)Film aller Zeiten - und in gewisser Weise ist er das auch. Gleichzeitig stellt er für etliche Personen das Leinwanderlebnis schlechthin dar. Zahlreiche der hierzulande entlegensten Clubs zollen ihm durch ihren Namen Tribut, seine Spuren in der Popwelt sind spärlich, aber eindrucksvoll. Projektnamen, Albentitel, Referenzen. Auf »Sozialpark« etwa, dem sagenumwobenen und wirklich epochalen Tonträger der deutschen Ausnahmeband Milch, (der bedauerlicherweise der verworrenen, wenig kundenfreundlichen Politik des Majorlabels Motor zum Opfer fiel,) gibt es ein Stück, das markante Samples des LIQUID SKY-Soundtracks mit den Kommandos einer Aerobiclehrerin verbindet: Eine kluge und konsequente Weiterführung der ursprünglichen Gedanken. Es lebe der Hort!
Danke, Christian!