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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




März 2001
Thomas Vorwerk
für satt.org
Senso
Italien 1954

Dt. Titel:
Sehnsucht

Regie:
Luchino Visconti

Regieassistenz:
Francesco Rosi und Franco Zeffirelli

Buch:
Suso Cecchi D'Amico, Giorgio Prosperi, Carlo Alianello

Lit. Vorlage:
Camillo Boito

Kamera:
G. R. Aldo

Schnitt:
Mario Serandrei

Darsteller:
Alida Valli, Farley Granger, Massimo Girotti, Heinz Moog, Rina Morelli



S E N S O

Vor zwei Monaten oder so habe ich erstmals "Gone with the Wind" gesehen, obwohl meine Mutter den Film jahrelang auf Video hatte und ich in meinem Leben mehr als einmal die Chance gehabt hätte, diesen Klassiker zu sehen. Aber irgendwie drängte es mich nicht danach, und auch nachdem ich den Film nun gesehen habe, kann ich nicht behaupten, ich hätte ihn unbedingt schon Jahre zuvor sehen müssen. Schmachtfetzen in Breitwand-Technicolor sind einfach nicht mein Ding, Bürgerkrieg und Sonnenuntergang können mir gestohlen. Frankly, my dear, I don't give a damn!

Von Visconti habe ich zuvor auch nie etwas gesehen. Unvergessen die Erzählungen meiner Klassenkameraden, bei "Tod in Venedig" gehöre schon einiges dazu, wachzubleiben, während der Kunstlehrer uns vorschwärmte, wie erotisch es sei, wie dort eine Erdbeere verspeist werde. Mit der erotischen Qualität des Verspeisens von Erdbeeren habe ich später auch meine Erfahrungen gemacht, aber den Film habe ich gestern auch wieder verpasst, weil ich zum einen diesen Beitrag fertigstellen wollte, und ich zum anderen schon vorher müde war, und ich beschloß, diesem Regisseur in Zukunft die gebührende Achtung zu schenken.

"Senso" ist "Gone with the Wind" richtig gemacht. Prunkbauten, Kriegsgemetzel, Patriotismus, Liebesleiden, aber alles so drapiert, daß es wirklich mitreißend ist.

Alida Valli (die Frau aus "The Third Man") spielt Livia, eine etwas gelangweilte Ehefrau, die ihren reichen Mann schon mal brüskiert, wenn sie dem freiheitskämpfenden Cousin beim bevorstehenden italienischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Preussen beisteht, auch wenn dieser mitunter die wackeren Uniformierten absichtlich und unnötig provoziert. so auch im Falle Franz Mahler (Farley Granger, der einen der Schurken in Hitchcocks "Rope" und den etwas farblosen Helden in "Strangers on a Train" mimte), der sich aber ungern duelliert und den Unruhestifter lieber später in Handschellen abführen lässt.

Um ihrem Cousin zu helfen, lässt sich Livia mit dem Feind ein, man unterhält sich über die unterschiedliche Einstellung der Oper gegenüber ("euch Österreichern geht´s ja nur um die Musik …"), während der Offizier ihr unablässig ins Dekolleté schielt. Dummerweise fühl sich Livia nach einem nächtlichen Spaziergang immer mehr zu dem Feind hingezogen, sie vergisst darüber ihr patriotisches wie eheliches Feingefühl, und im weiteren Verlauf des Films wird es immer schlimmer, wobei ihr fast so klar wie dem Zuschauer sein sollte, daß der Mann/Feind in ihrem Bett sie nicht annähernd so sehr liebt wie sie ihn.

Wie Farley Granger durch Dialog und Mimik klar macht, worum es ihm geht (meistens Sex und/oder Geld), ist zwar durchaus verabscheuungswürdig, aber selbst der weibliche Zuschauer wird zu seinem Komplizen, auch weil Livia so blöd ist, daß sie es einfach nicht anders verdient. Aber selbst ihr geschmachtetes "Franz! Franz!" (Grüße an Sheldon, die Wundernudel) lässt einen mitfühlen mit ihren irregeleiteten Emotionen, auch wenn ein Happy End schlichtweg unmöglich ist. Und gerade das macht diesen Film aus, denn bei "Gone with the Wind" gingen mir sowohl Scarlett als auch Rhett einfach nur auf die Nüsse, und die zwei Personen hier sind zwar noch viel extremer, aber sie laden dennoch zur Identifikation (bis zu einem gewissen Punkt) ein.

Außerdem gibt es wunderschöne lange Einstellungen sowohl in der Oper als auch in irgendwelchen Gemächern oder auf dem Schlachtfeld. Die Bediensteten sind hier nicht nur typegecastete Staffage, sondern entwickelt ein Eigenleben, der gehörnte Ehemann behält seine Würde, und die preussischen Dialoge (natürlich habe ich den Film im Original gesehen) sind schon allein den Kinobesuch wert.

Wenn das Viscontis erster Farbfilm war, will ich gar nicht spekulieren, wie gut erst die späteren waren. Verglichen damit zeigen etwa Fellini bei "Giulietta degli spiriti" oder Hitch bei bereits erwähnten "Rope" (die Papp-Skyline), daß sie noch einiges zu verbessern hatten. In diesem Zusammenhang ist es aber auch unerläßlich, zu erwähnen, daß auch Victor Fleming, der Regisseur von "Gone with the Wind", mit seinem ersten Farbfilm, dem kurz zuvor entstandenen "The Wizard of Oz", seine Meisterschaft bewiesen hatte.