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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Juli 2001
Thomas Vorwerk
für satt.org


Rosetta
B/F 1999

Buch
und Regie:
Luc & Jean-Pierre Dardenne

Kamera:
Alain Marcoen

Darsteller:
Emilie Dequenne, Fabrizio Rongione, Anne Yernoux, Olivier Gourmet



In letzter Zeit scheine ich eine extreme Vorliebe für nüchterne bis ernüchternde Alltagsbeschreibungen junger Frauen zu entwickeln. Filme wie “Swetlana”, “Die innere Sicherheit”, die letzten zwei Egoyans, und irgendwie passen auch “Boys don't cry” und “Dancer in the Dark” in diese ganz besondere Schublade. Allesamt Filme, die einem Großteil der Menschheit vielleicht gar keinen Spaß machen würden, die mich in ihrer Traurigkeit aber verzaubern.

Rosetta wohnt mit ihrer alkoholsüchtigen Mutter in einer Wohnwagensiedlung. Sie ist offensichtlich damit überfordert, sich um die Probleme und Schwächen ihrer Mutter zu kümmern und gleichzeitig ihr Leben aufzubauen. Der Film beginnt mit Rosettas Kündigung wegen “Ablauf der Probezeit”, aber Rosetta kämpft um ihre Arbeit, sie würde sich an ihren Arbeitsplatz festketten, wenn es ihr helfen würde, aber ihr wütender Kampf um Normalität wirft sie nur noch mehr aus der Bahn.

Rosetta würde fast alles für Arbeit tun, aber sie hat auch ihren Stolz. Insbesondere, was ihre Mutter angeht, die für eine Flasche Korn oder einen Mieterlaß so ziemlich alles mit sich machen läßt. Zu einem Zeitpunkt des Films schaut es so aus, als würde Rosetta doch nochmal ein normales Leben führen können, aber sie mag es selbst nicht glauben. um sich an diesen Gedanken zu gewöhnen, muß sie den Satz durchdeklinieren: “Du führst ein normales Leben. Ich führe ein normales Leben.” Doch so einfach macht es der Film seiner Titelheldin nicht. Wie gesagt, Rosetta kämpft für ihre Arbeit, mit ähnlich trotziger Einfalt wie Selma, und es wird immer schlimmer, wie bei “Boys don't cry”. Der letzte Kampf, den der Film zeigt, ist in seiner Konsequenz erschreckend, das Thema des Stolz wird überstrapaziert, man will dieser Frau helfen, die in Klamotten rumläuft, in denen Julia Hummer in “Die innere Sicherheit” nicht tot übern Zaun hängen würde, man erkennt in diesem so alltäglichen Gesicht so viele Empfindungen, daß man sie nicht aufzuführen vermag, aber vor allem sieht man einen Menschen, und das ist etwas, was man heutzutage in Filmen viel zu selten zu sehen bekommt. Film und Hauptdarstellerin wurden 1999 in Cannes ausgezeichnet, der Leiter der Jury war David Cronenberg, und dieser Film und diese Auszeichnung lassen Cronenberg in meiner Wertschätzung mehr steigen als jeder Film, den er je drehte.

Genug der übertriebenen Lobhudelei. Anschauen!