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September 2001
Thomas Vorwerk
für satt.org
"Liebe ist kälter als der Tod"
"Der amerikanische Soldat"

BR Deutschland 1969/1970

Buch
und Regie:
Rainer Werner Fassbinder

Kamera:
Dietrich Lohmann

Schnitt:
"Franz Walsch"/Thea Eymèsz

Musik:
Peer Raben
unter Mitwirkung von Holger Münze in "Kälter",
Song "So much Tenderness" in "Soldat" von Raben und Fassbinder, gesungen von Günther Kaufmann

Weitere Stabangaben zu
"Kälter":

Regie-Assistent (an manchen Tagen):
Martin Müller

Darsteller:
Ulli Lommel (Bruno), Hanna Schygulla (Joanna), Rainer Werner Fassbinder (Franz Walsch), Hans Hirschmüller (Peter), Katrin Schaake (Dame im Zug), Irm Hermann (Sonnenbrillenverkäuferin), Monika Stadler (Mädchen)

"Soldat":

Darsteller:
Karl Scheydt (Ricky), Elga Sorbas (Rosa), Jan George (Jan), Margarethe von Trotta (Zimmermädchen), Hark Bohm (Doc), Ingrid Caven (Sängerin), Kurt Raab (Rickys Bruder), Rainer Werner Fassbinder (Franz), Katrin Schaake (Magdalena Fuller), Ulli Lommel (Zigeuner), Irm Hermann (Hure)



Rainer Werner Fassbinder:
Liebe ist kälter als der Tod
& Der amerikanische Soldat




Das frühe Werk Fassbinders hat für den Betrachter, der zumindest Teile der 70er Jahre aktiv miterlebt hat, einen hohen Nostalgiewert. Florida Boy Orange und Karamalz auf Omnibussen, Fleischsalat mit Mayonaise für DM 1,19 und Autos, wie man sie kaum für möglich halten kann. Und natürlich Frauen der 70er, als ich sowas noch nicht zu schätzen wußte, die sofort spuren, sich nicht beschweren, wenn wildfremde Männer sie gewaltsam küssen (sondern eher freiwillig die Kleider ablegen), die auf Zuruf "Halt‘s Maul!" oder "Verpiß Dich!" selbiges tun, ohne lange zu diskutieren. Naja, vielleicht ist dieser Teil nicht hundertprozentig historisch verbürgt, aber lasst mir doch meine kleinen Freuden …

Aber auch die Art und Weise, wie Fassbinder drehte, ist nostalgisch. In "Liebe ist kälter als der Tod" sind die Anleihen bei "A bout de souffle" unübersehbar, Ulli Lommel ist "Le Samurai", aber auch die Amerikanisierung etwa eines Münchner Motorradpolizisten, der mühsam "Oh Boy" herausbricht, nachdem er niedergeschossen wurde, ist liebenswert witzig, aber schon haarscharf am Rande der Lächerlichkeit.

In den beiden Filmen wimmelt es von Leuten mit seltsamen Namen. In "Kälter", der unter anderem Jean-Marie Straub, Eric Rohmer und Claude Chabrol gewidmet ist, heißt die Hauptfigur Bruno Straub und eine Kellnerin (Monika Stadler?), die später erschossen wird, hieß, wie wir beim Polizeiverhör erfahren, Erika Rohmer, also Rohmer jetzt besonders deutsch ausgesprochen. Ob der Herr, der auf der Müllhalde entsorgt wurde, jedoch Klaus Chabrol hieß, wie mein Sitznachbar Christian unkte, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.

In "Soldat", wo Margarethe von Trotta als gefügige Zimmerkellnerin die Geschichte eines dritten, sehr bekannten Fassbinder-Films in Kurzform rezitiert, während man sich auf dem Bett, an dem sie lehnt, zu verlustieren beginnt, erfährt man auch einen Namen erst später. Das dritte Mordopfer des Killers namens Rosa von Praunheim wird nicht von Holger Mischwitzky gespielt, der diesen Namen seit spätestens 1967 übernommen hatte, sondern von Elga Sorbas, die die bereits indirekt erwähnte Geliebte des Killers ist. Aber auch Magdalena Fuller erinnert an Sam Fuller, und neben von Trotta spielt auch Hark Bohm mit, dessen schauspielerisches Talent immens war. Danny De Vito lehnt seine Interpretation des "Martini" in "One flew over the Cuckoo‘s Nest" bis ins Detail an Bohms Charakterstudie an. Nie wieder wird es jemand vollbringen, den Sinn eines Kartenspiels derart zu verpeilen, und gebannt auf die Abbildungen der "schönen Frauen" zu starren, während gerade mal wieder um 5000 DM erhöht wird.

Doch noch schamloser als Milos Forman stahl Quentin Tarantino bei diesem Film. Wenn sich Bridget Fonda in "Jackie Brown" gelangweilt Telefongesprächen annimmt, dann haben wir das von "Rosa" schon ein Vierteljahrhundert vorher gesehen.

Nicht alles stimmt bei diesen frühen Perlen. Daß Tote immer weich fallen und danach noch lange atmen, das Bewußtlose aufpassen, ihre Hand nicht in der Autotür eingequetscht zu bekommen, und daß die Schußwechsel mindestens so wenig überzeugend wie bei Godard inszeniert werden, mag zum Teil auch Absicht gewesen sein, daß manche Handlungsstränge undurchsichtig wie seit "The Big Sleep" nicht mehr sind, mag auch manch einer verteidigen, aber all dies, all die Continuity-Fehler, verzeiht man spätestens bei der gloriosen Schlußszene von "Der amerikanische Soldat": Inzestuöse, homosexuelle Nekrophilie in Zeitlupe zum Ballett überhöht, wer derlei inszenieren kann, macht auch nicht unabsichtlich Fehler.

Übrigens: Die Soundtracks beider Filme würde ich gerne besitzen, James Last-Easy Listening meets Early Synthie-Pop mit einem Hauch von Nick Cave.