WEBCUTS
Mit den Augen eines Türstehers oder:
Wie doch noch alles gut wurde.
Am 30.08.2001 fand das erste Mal das Internet Film Fest WEBCUTS statt. Als Mitveranstalter und Handlanger kam ich so gegen 18.00 Uhr die Rungestraße auf dem Weg zur c-base (der außerirdische Kern Berlins und seine Basis) entlang. Nicole, c-base-member, neeneenee-creative und sowieso ganz schön tief verstrickt ins Ganze, Nicole also lief mir über den Weg. Sie klebte gerade ganz subversiv WEBCUTS-Plakate, was ihr später auch noch einen netten Schwatz mit dem zuständigen Schutzmann, ABV oder wie immer das heute heißt, einbrachte. Es ginge bald los, sagte Nicole und alle wären schon da und so und ich nahm die Beine in die Hand.
Die Crew von TV-Berlin interviewte gerade Ela und Eckhard und versuchte mit der einen 25-Watt-Lampe, die ihnen ihr Sender zugebilligt hatte, den 180m_ Raum optimal auszuleuchten, was einigermaßen mißlang. Aber darauf kam es ja nicht an, content ist wichtig. Und so erzählten die beiden area42-Häuptlinge, wie es dazu kam und daß ja immer nur Text im Internet auch langweilig wäre und daß jetzt die Filme originär und frisch aus dem Netzt über die Leinwand auf die Netzhaut projiziert würden.
Dem stand eigentlich nichts im Weg. Außer, daß eine halbe Stunde vor Einlaß kein Strom da war und mangels Stereokabel keine Verbindung zwischen Verstärker und Soundanlage hergestellt werden konnte. Da hat man mir Autoschlüssel in die Hand gedrückt und ich bin mit dem Hausmeister im Skoda schnell ins Elektronikkaufhaus und zurückgefahren. Naja, das war schon mal gar nicht schlecht, denn jetzt hatten wir ein Monokabel und wir mußten nur noch ein einziges Mal zum Kaufhaus fahren. Unterwegs ertappten wir dann Nicole bei ihrem Techtelmechtel mit dem Polizisten, der von ihr zehntausend Mark fürs Plakatekleben haben wollte und das Tatwerkzeug (Klebeband) beschlagnahmte. Aber dann hatten wir, weil zweimal Mono gleich Stereo macht, alles am Start.
Eine halbe Stunde vor Beginn drängelten sich schon Leute vor dem Eingang. Weil der Tom und ich offenbar am besten dazu geeignet schienen, waren wir für diesen Abend die Türsteher. Wir hielten also die Massen in Schach, bis der Startschuß kam. Und innerhalb kürzester Zeit war der Laden voll. Die Ansprache von Eckhard und Hausmeister ging an uns Türstehern leider geräuschlos vorüber, weil wohl die Mikrofone nicht zur Hand waren. Zwei Wörter, gefolgt von einer Welle des Applauses, konnte wir verstehen: "Film ab!"
Den Anfang machte "Agraphia", ein Experimentalfilm von Matt Anderson aus den USA, der die WEBCUTS-Jury, bestehend aus kompetenten Mitgliedern verschiedener Computer- und Kunstinstitutionen, dermaßen beeindruckte, daß sie ihm den ersten Preis verlieh. Gefolgt wurde der Sieger von "Anamorph", einem beklemmenden Promotionvideo beängstigender Qualität mit einem atemberaubenden Soundtrack. Dieser Film, von James Baker, ebenfalls USA, man ahnt es vielleicht, war für mich das absolute Highlight. Allerdings konnten Türsteher Tom und ich die Filme immer nur abwechselnd durch einen Türspalt verfolgen, weil einer ja immer den Eingang im Auge behalten mußte. Entschädigt wurden wir mit der offiziellen WEBCUTS-CD-ROM, auf der wir nun ganz bequem und tausendmal alle einundzwanzig Filme zu Hause ansehen können. Nebenbei: mit etwas Glück sind Restexemplare dieses einmaligen Zeitdokumentes vom ersten WEBCUTS Film Fest für den blödsinnig geringen Selbstkostenpreis von DM 10,- über
www.webcuts.org zu beziehen.
Die Filme, ausnahmslos sehr originell, wurden vom Publikum mit all der Bandbreite menschlicher Regungen verfolgt. Der Zweitplazierte, "Desert H2Ouse" von Joseph Kosinski auch aus den USA, zeigte dem mit offenen Mündern dasitzenden Publikum, den verblüffenden Grad der Nachahmung und Künstlichkeit zugleich, der mit Computern heute möglich ist.
Die beunruhigende und bewegende Geschichte einer versuchten Roboterliebe, die die polnische 3D-Animation "Mantis" von Grzegorz Jonkajtys zeigte, wurde mit dem dritten Preis und starkem Publikumsbeifall honoriert.
Über den extrem lustigen Weihnachtsfilm "Ornaments" von Aaron James Erimez aus den USA und dem, in Bild und Ton zauberhaft perfekt zusammenspielenden, Seepferdchen-Promotion-Video (Spinalcord.com, USA/Deutschland)
von Andrea Dionisio und Mike Helmle, der auch anwesend war, kam es zum letzten Film des Abends. "Video Computer System" aus Brasilien, gemacht von
Carlos Bêla, Guilherme Marcondes, Mateus Santos und Mario Sader, strapazierte in seiner pixeligen Reise durch frühe C64-Computerspiele die Zwerchfelle der Anwesenden aufs Extremste. Mit einer unheimlich coolen Adaption einer "The Matrix" Szene gewann der Film schließlich die Herzen des Publikums. Auch dafür gab es einen Preis.
Die Preise waren dank der Sponsoren mit, für Privatpersonen fast unerschwinglichen, Softwarepaketen verbunden. WEBCUTS wurde also auch hier seines, von vielen Besuchern als professionell beschriebenen, Anspruches gerecht. Türsteher Tom und ich hatten in unserer Funktion schließlich auch die Ehre, die meisten Gäste nach der Party wieder gehen zu sehen und konnten dabei feststellen, daß jeder auf seine Art von Film, Event und Location beeindruckt war.
Hinterher saßen wir Profis als Macher, Veranstalter, Gäste und Türsteher bei Bier und einer zünftigen Sportzigarette beisammen, genossen den Erfolg und das Abfallen der Spannung. Eins ist wohl klar: beim nächsten Mal gibt's richtige Türsteher, denn WEBCUTS 2001 war erst der Anfang …