Obwohl "Birth of a Nation" der mir am wenigsten zusagendste (und mit 190 Minuten längste) Film Griffiths war, den ich je sah, ging ich gleich am nächsten Tag wieder ins selbe Kino und begutachtete auch noch dessen "Broken Blossoms", von dem ich wirklich nichts außer dem Titel wusste, woraus ich auf eine nicht übermässig heitere Liebesgeschichte schloß. Und richtig, der Film wurde seinerzeit, wie ich später erfuhr, beinahe von irgendeinem Produzentenkaspar zurückgehalten, weil jener messerscharf erkannte, dass ja nahezu jeder in dem Film stirbt, was durchaus "unkommerziell" erachtet wurde. Doch Griffith holte sich die Rechte, den Film selbst in die Theater zu bringen und feierte damit seinen wohl größten Erfolg, sowohl bei der Kritik, als auch beim Publikum. Und auch mich mag der Film, entstanden vor der Geburt sämtlicher mir bekannter noch lebender Verwandter, in seinen Bann ziehen.
Meine Affinität zu tragischen Stoffen habe ich erst jüngst wieder in dieser Postille propagiert, zur Zeit tue ich mich auch noch an den "Tales from Shakespeare" gütlich, jener 1804 erschienenen Kurzversion von zwanzig Stücken des Barden, die die Schriftsteller-Geschwister Charles und Mary Lamb Kindern zugänglich machen wollten. Da passiert es schon mal, dass man innnerhalb von 24 Stunden hintereinander die Schicksale von Hamlet, Julia, Macbeth und Romeo, um in alphabetischer Reihenfolge nur einige der bekannteren Titelhelden aufzuzählen, nacherzählt bekommt. Und auch bei "Broken Blossoms" kommt wenig vordergründige Freude auf.
Lucy (Lillian Gish), die malträtierte minderjährige Tochter eines Preisboxers (Donald Crisp), der etwa so sympathisch wie Al Bundy bei Vollmond aussieht, schleppt sich, nachdem sie mal wieder von des Vaters Peitsche kosten durfte, durch die Gassen des Londoner Limehouse, um auf der Schwelle eines chinesischen Ladenbesitzers (wobei diese Wortwahl keinerlei Begüterung dieser Person ausdrücken soll) zusammenzubrechen. Der herzensgute Chinaman (Richard Barthelmess) pflegt sie gesund wie eine eingegangene Blume, lässt sich von ihrer überwältigenden Schönheit nicht in Versuchung führen und am Ende sind trotzdem alle tot, wegen Rassenhass, Eifersucht, Wut, Rache und ähnlichen Dummdreistigkeiten.
Die "Broken Blossoms" des Titels sind ein gelungenes Bild der unwiederbringlichen, zerstörten Schönheit, ich denke an Zuzus Petals, eine (zufällig auch im Film) heruntergefallene Vase und daran, dass ich Griffith noch 24 Stunden zuvor für seine Ku-Klux-Kavallerie, die die schwarzen Bösewichte in die Schranken wies, als Rassisten verdammte, um ihn nun als wohl ersten Filmpoeten hochleben zu lassen. Nie wieder wird eine verschüttete Kelle Suppe so tragisch sein, ein Lächeln so erzwungen sein, Liebe und Gutherzigkeit so rein (und doch unheilbringend) erscheinen wie in diesem Film.