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November 2001
Thomas Vorwerk
für satt.org

Die Klavierspielerin
(La pianiste)
Frankreich/Österreich 2001

Michael Haneke: Die Klavierspielerin

Buch
und Regie:
Michael Haneke

Lit. Vorlage:
Elfriede Jelinek

Kamera:
Christian Berger

Schnitt:
Monika Willi, Nadine Muse

Darsteller:
Isabelle Huppert (Erika Kohut), Benoît Magimel (Walter Klemmer), Annie Girardot (Erikas Mutter), Anna Sigalevitch (Anna Schober), Susanne Lothar (Frau Schober), Udo Samel (Dr. Blonskij), Cornelia Köndgen (Frau Blonskij) satt.org-Partner:
www.jump-cut.de




Die Klavierspielerin
(La pianiste)



Bisher habe ich vier Filme von Michael Haneke gesehen: "Bennys Video", "Funny Games", "Code Inconnu" und nun "Die Klavierspielerin". Alle Filme verbindet, daß ich sie außergewöhnlich finde, sie aber nicht unbedingt mit meiner Mutter, meiner Schwägerin oder den Eltern meiner (theoretischen) Freundin gemeinsam sehen möchte. Haneke versteht es wie kein anderer Regisseur, dem Zuschauer psychische Pein zu verursachen. Die Szene mit der Videocassette in "Funny Games" ist vielleicht das beste Beispiel dafür, wie hilflos man als Zuschauer in einem Haneke-Film ist, doch auch in "Die Klavierspielerin" gibt es mehr als genug solche Momente.

Doch bevor ich mich wie alle anderen Gazetten darin ereifere, den "Schnitt in die Scham", die "blutende Vulva" oder die "Selbstverstümmelung per Rasierklinge" zu thematisieren, will ich darauf hinweisen, daß "Die Klavierspielerin" zunächst einmal eine (sehr) schwarze Komödie ist, wahrscheinlich habe ich seit "Blue Velvet" nicht mehr so oft, so laut und an so unpassenden Stellen gelacht. Doch die Figuren des Jelinek-Romans erscheinen zumindest mir ziemlich irreal und karikaturenhaft, ihre Neigungen sind von meinem normalen bis kaum existenten Sexualleben derart weit entfernt, daß ich mir wie einst bei Frank Booth den Luxus erlaubte, über die Pein, die sie sich gegenseitig zufügen zu lachen. Mir war natürlich klar, daß mir das lachen früher oder später wie der Klavierspielerin im Halse stecken bleibt, aber ich finde es merkwürdig, daß die Medien über einige unangenehme (aber meisterhafte) Szenen völlig den Humor verloren zu haben scheinen.

Sicher gibt es qualitativ hochstehendere Formen des Humors als die am Boden zerstörte Musikstudentin, die gerade ihre Aufnahmeprüfung nicht bestanden hat oder Mutter Kohuts Ruf "Essen ist fertig" zu unpassender Zeit, aber wie stilsicher (ja, ich meine "stilsicher", kommt immer auf den Stil an …) Haneke diese Momente inszeniert, beweist einmal mehr, daß er einer der wichtigsten Regisseure unserer Zeit ist, auch wenn seine Vorliebe für morbide Themen nicht jederfraus Sache ist.

Wo ich mich schon geoutet habe, solche seltsamen Filme zu mögen, will ich auch eine der für mich bemerkenswerten Szenen schildern. Nicht die mit der Rasierklinge, die mich als a) Mann, der b) "Un chien andalou" und c) diverse Horrorfilme gesehen hat, nicht annähernd so schockieren konnte wie die Berichterstatter des breiten Volkes, sondern jene, in der unsere sadomasochistische Klavierlehrerin in einer Pornokabine an einem Papiertaschentuch schnuppert, das der letzte Besucher hinterlassen hat. Nachdem Haneke lange auf diesem Anblick verharrt, schneidet er dann zu einer der (laut Leuten, die was von Musik zu verstehen vorgeben) bemerkenswerten Schubertinterpretationen. Zunächst erst auf der Tonspur, dann sehen wir auch die Klavierstunde. Dieser Übergang vom Schmuddelkino zur Hohekunst zeigt meines Erachtens Hanekes Talent und seinen Mut, doch da diesen Gedankengang nur die allerwenigsten Menschen nachvollziehen können, wird er wohl auch in Zukunft das "enfant terrible" des Kinos des deutschsprachigen Raums bleiben. Aber verglichen mit Filmen wie "Baise-Moi", "Intimacy" oder "Romance" ist Haneke mindestens zwei Klassen besser, und wenn man dann noch sieht, was für Leistungen er noch aus Klasseschauspielerinnen wie Juliette Binoche oder Isabelle Huppert herauskitzeln kann, kann es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis er allgemein anerkannt wird.