Mulholland Drive
Ich habe nach wie vor kein Problem damit, daß ich in meiner Rezension zu "Lost Highway" den ganzen Film relativ platt als "traumhaft" abgetan habe, während später Legionen von Interpretatoren weitaus mehr Erfolg damit hatten, die narrativen Elemente des Films auseinanderzuklamüsern.
"Mulholland Drive" ist so etwas wie "Lost Highway2" oder die Version 2.0 des Films, und somit werde ich gar nicht erst versuchen, den Inhalt des Films zu erzählen, weil es mindestens zwei (vielleicht aber auch vier) Erzählebenen gibt, die zueinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig bedingen oder ausschließen und dabei durchaus auch wieder ein traumhaftes Element ins Spiel bringen. Schon ein Blick auf die Stabangaben verrät mehr, als ich in dieser Rezension verraten möchte.
Die ersten zwei Stunden des Films sind schon sehr verwirrend, aber erst am Schluß wird man als Zuschauer wirklich gefordert und kann sich später tagelang mit anderen Leuten über die Identitäten diverser Personen streiten, die gleiche oder unterschiedliche Haarfarben, Berufe, Namen oder Beine haben. Was ja schon wieder stark an "Lost Highway" erinnert, auch ohne daß ich den "Clou" des Films verrate, so ich überhaupt in der Lage wäre, zu behaupten, ich hätte ihn ergründet.
Kommen wir also zu oberflächlicheren Betrachtungen. Nach "The Straight Story" kommt Lynch geradewegs zu seinen Manierismen und atmosphärisch dichten Verwirrspielen zurück und man fühlt sich in einem Ausmaß an Details seiner Filmographie erinnert, daß selbst die Coen Brüder nicht mithalten können. Man soll mich nicht falsch verstehen, "Mulholland Drive" ist sicher als Film interessanter als die letzten Fingerübungen der Coens, doch man fragt sich nicht selten, warum in diesem Film immer wieder "Residues" auftauchen, die anderen Filmen Lynchs entstammen. Wir haben Telefonate und Gedächtnisstörungen, einen verwirrte nackte Frau, die Samt mag und aussieht wie Isabella Rosselini, einen Autounfall und Blut im Haar, schmutzige Teufelsfratzen und alte Leute, die offensichtlich auch nicht mehr alle Correga Tabs im Glas haben, doch vor allem gibt es (jetzt neu!) das Hollywood-Element, das Lynch noch nicht bis zum Erbrechen beackert hat.
Dadurch bekommt der Film natürlich eine zusätzliche Illusionsebene, die auch ausreichend problematisiert wird, wenn man einer musikalischen Revue folgen darf, die sich damit rühmt, Voll-Playback zu benutzen, und immer wieder damit spielt, die Illusion zu durchbrechen oder um eine weitere Ebene zu bereichern. So auch der Film, der mittendrin Dialoge als Schnipsel aus ungedrehten Filmen offenbart und somit jede Suche nach einer Realität im Film ad absurdum führt.
Auch findet man im Film diverse Hinweise auf die Traumdeutung laut Freud (insbesondere unzählige "Verschiebungen"), bis hin zum letzten Wort des Films, "Silencio", das an Hamlets letzten Satz "Der Rest ist Schweigen" erinnert. Aber glücklicherweise geht es in Mulholland Drive nicht auch noch um ödipale Situationen, mal abgesehen von alternden Schauspielern, die ihre Macht ausnutzen (eine weitere, sehr schöne Szene, die den Illusionscharakter des Films gut verdeutlicht).
Erwähnenswert auch die unruhige Kameraführung, die insbesondere in der ersten Diner-Szene ein Gefühl des Unheimlichen verströmt, das schließlich auch weitergeführt wird, wenn man um diverse Ecken lugt, bis schließlich einige Zuschauer wirklich Probleme haben, ihre Körperfunktionen unter Kontrolle zu behalten. Man weiß spätestens seit "Psycho", daß solche kleinen Schocks dafür sorgen, daß der Zuschauer sich später nie mehr wirklich entspannen wird, was auch hier vorzüglich klappt.