Suzhou River
Su zhou he
Der Film beginnt im Dunkeln, mit einem Dialog, einer
Grundsatzdiskussion wie zwischen Lola und Manni. Inhalt in etwa wie folgt:
Sie: "Wenn ich jetzt plötzlich verschwinden würde, würdest Du mich suchen wie Mardar?"
Er: "Ja."
Sie: "Für immer?"
Er: "Ja."
Sie: "Du lügst."
Aus der totalen Finsternis werden Wellen, dann eine Fahrt entlang
dem Fluß Suzhou. Ein Off-Erzähler berichtet uns von Geschichten längs des
Flußes, von den Gefühlen, die er mit dem Fluß verbindet. So auch der
Einsamkeit. Ein Mädchen soll in diesem Fluß Selbstmord begangen haben.
Wann anders hat er gesehen, wie die Leichen eines Liebespaares geborgen
worden. Dazu Bilder vom Leben entlang des Flußes, eine verwackelte Kamera,
die jeden Dogma-Film als gekünstelt erscheinen läßt, ein Schnitt-Tempo,
das einen schwindeln macht.
Nachdem der Erzähler klarmacht, daß er einem keine
Lügengeschichten über Meerjungfrauen auftischen will, erzählt er, wie er
seine Freundin Meimei kennengelernt hat. Hierbei bleibt der Erzähler
namenlos wie in "Fight Club" und gesichtslos wie im ersten Kapitel von Ira
Levins "A Kiss before Dying". Sein Job als privater Videokünstler (Waren
die Bilder vom Fluß Ergebnisse davon? Sehen wir mit seinen Augen oder mit
dem Auge seiner Kamera wie in "Peeping Tom"?) führt ihn in die "glückliche
Taverne", wo er einen Werbefilm für die dort stattfindende
Meerjungfrauen-Show aufnehmen soll. Wenn er (und somit auch wir) zum
ersten Mal die als Meerjungfrau auftretende Meimei erblickt, verliebt er
sich sofort, später steigert sich diese Liebe zur Obsession, wann immer
Meimei ihn auch nur kurz verläßt und er ihre Wiederkehr furchtsam
erwartet, so als definiere er sich nur über sie.
Nun kommen wir zurück zum Dialog am Anfang. Meimei war es, die ihn
so ausgefragt hat, und die Geschichte von Mardar erzählt uns der Erzähler
nun, als wenn er sie gerade erfindet. Wir verlassen die Erzählperspektive
der subjektiven Kamera, lernen den Motorradkurier Mardar kennen, der als
eine Fracht ein junges Mädchen durch die Gegend kutschiert, das uns so
vorkommt, als hätten wir es bereits in einer vorherigen Szene auf der
Straße gesehen.
Nach etwa zwanzig Minuten Inhaltsangabe muß ich abbrechen, weil
ich schon jetzt zuviel erzählt habe. "Su zhou he" ist ein komplexes,
zunächst kryptisch erscheinendes Spiel mit Erzählperspektiven und
-parametern. Das Spiel mit der subjektiven Kamera gelingt hier (im
Gegensatz zu "Lady in the Lake") durch die verwackelten, mitunter
unscharfen (Low Budget-?) Aufnahmen, die noch durch die Schnitttechnik
authentiziert werden. Sehr schön etwa im Gespräch mit dem Besitzer der "glücklichen Taverne": Wie bei "A bout de souffle" schneidet man direkt
in die Gesprächsfetzen des munter plaudernden, bis der Off-Kommentar den
objektiven Eindruck "Ich verstehe nur die Hälfte von seinem Gefasel" zu
einem subjektiven Eindruck macht.
Der Film ist zwar auch ein narratives Experiment, aber ein
vollends gelungenes, daß das geniale Drehbuch zu jedem Zeitpunkt mit
passenden filmischen Mitteln umsetzt. So geht der Wechsel der
Erzählperspektiven Hand in Hand mit einem Verändern der Stilmittel, der sprunghaften, fast dokumentarischen Schilderung des Stadtlebens, wie sie
an Wong Kar-Weis "Chungking Express" erinnert, folgt eine
Farbdramaturgie, die ich nicht auf Anhieb entschlüsseln konnte, obwohl sie
mir teilweise an Hitchcocks "Vertigo" angelehnt scheint. Und auch die
Musik scheint eine Mixtur aus diesen beiden Vorbildern sein, bis
haarscharf ans Bernhard Hermann-Zitat.
Ein Film, der einen bis zur letzten Minute in Atem hält, auch wenn
keinen blassen Schimmer von der Filmgeschichte oder David Bordwells
Erzähltheorien hat. In diesem Fall aber besonders. Das herausragende
Meisterwerk des Kinojahres.