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Dezember 2001
Thomas Vorwerk
für satt.org

Suzhou River
(Su zhou he)

VR China/D 2000

Lou Ye: Suzhou River (Su zhou he)

Buch
und Regie:
Lou Ye

Kamera:
Wang Yu

Musik:
Jörg Lemberg

Darsteller:
Zhou Xhun, Jia Hongsheng, Nai An, Yao Anlian, Hua Zhongkai, Lou Ye



Suzhou River
Su zhou he



Der Film beginnt im Dunkeln, mit einem Dialog, einer Grundsatzdiskussion wie zwischen Lola und Manni. Inhalt in etwa wie folgt:
Sie: "Wenn ich jetzt plötzlich verschwinden würde, würdest Du mich suchen wie Mardar?"
Er: "Ja."
Sie: "Für immer?"
Er: "Ja."
Sie: "Du lügst."

Lou Ye: Suzhou River (Su zhou he)Aus der totalen Finsternis werden Wellen, dann eine Fahrt entlang dem Fluß Suzhou. Ein Off-Erzähler berichtet uns von Geschichten längs des Flußes, von den Gefühlen, die er mit dem Fluß verbindet. So auch der Einsamkeit. Ein Mädchen soll in diesem Fluß Selbstmord begangen haben. Wann anders hat er gesehen, wie die Leichen eines Liebespaares geborgen worden. Dazu Bilder vom Leben entlang des Flußes, eine verwackelte Kamera, die jeden Dogma-Film als gekünstelt erscheinen läßt, ein Schnitt-Tempo, das einen schwindeln macht.

Nachdem der Erzähler klarmacht, daß er einem keine Lügengeschichten über Meerjungfrauen auftischen will, erzählt er, wie er seine Freundin Meimei kennengelernt hat. Hierbei bleibt der Erzähler namenlos wie in "Fight Club" und gesichtslos wie im ersten Kapitel von Ira Levins "A Kiss before Dying". Sein Job als privater Videokünstler (Waren die Bilder vom Fluß Ergebnisse davon? Sehen wir mit seinen Augen oder mit dem Auge seiner Kamera wie in "Peeping Tom"?) führt ihn in die "glückliche Taverne", wo er einen Werbefilm für die dort stattfindende Meerjungfrauen-Show aufnehmen soll. Wenn er (und somit auch wir) zum ersten Mal die als Meerjungfrau auftretende Meimei erblickt, verliebt er sich sofort, später steigert sich diese Liebe zur Obsession, wann immer Meimei ihn auch nur kurz verläßt und er ihre Wiederkehr furchtsam erwartet, so als definiere er sich nur über sie.

Nun kommen wir zurück zum Dialog am Anfang. Meimei war es, die ihn so ausgefragt hat, und die Geschichte von Mardar erzählt uns der Erzähler nun, als wenn er sie gerade erfindet. Wir verlassen die Erzählperspektive der subjektiven Kamera, lernen den Motorradkurier Mardar kennen, der als eine Fracht ein junges Mädchen durch die Gegend kutschiert, das uns so vorkommt, als hätten wir es bereits in einer vorherigen Szene auf der Straße gesehen.

Nach etwa zwanzig Minuten Inhaltsangabe muß ich abbrechen, weil ich schon jetzt zuviel erzählt habe. "Su zhou he" ist ein komplexes, zunächst kryptisch erscheinendes Spiel mit Erzählperspektiven und -parametern. Das Spiel mit der subjektiven Kamera gelingt hier (im Gegensatz zu "Lady in the Lake") durch die verwackelten, mitunter unscharfen (Low Budget-?) Aufnahmen, die noch durch die Schnitttechnik authentiziert werden. Sehr schön etwa im Gespräch mit dem Besitzer der "glücklichen Taverne": Wie bei "A bout de souffle" schneidet man direkt in die Gesprächsfetzen des munter plaudernden, bis der Off-Kommentar den objektiven Eindruck "Ich verstehe nur die Hälfte von seinem Gefasel" zu einem subjektiven Eindruck macht.

Der Film ist zwar auch ein narratives Experiment, aber ein vollends gelungenes, daß das geniale Drehbuch zu jedem Zeitpunkt mit passenden filmischen Mitteln umsetzt. So geht der Wechsel der Erzählperspektiven Hand in Hand mit einem Verändern der Stilmittel, der sprunghaften, fast dokumentarischen Schilderung des Stadtlebens, wie sie an Wong Kar-Weis "Chungking Express" erinnert, folgt eine Farbdramaturgie, die ich nicht auf Anhieb entschlüsseln konnte, obwohl sie mir teilweise an Hitchcocks "Vertigo" angelehnt scheint. Und auch die Musik scheint eine Mixtur aus diesen beiden Vorbildern sein, bis haarscharf ans Bernhard Hermann-Zitat.

Ein Film, der einen bis zur letzten Minute in Atem hält, auch wenn keinen blassen Schimmer von der Filmgeschichte oder David Bordwells Erzähltheorien hat. In diesem Fall aber besonders. Das herausragende Meisterwerk des Kinojahres.