Berlinale-Wettbewerb:
Baader
Der Zeitraum, in dem dieser Film spielt, liegt zwar nach meiner Geburt, aber ich habe mich in meiner Vorschulzeit noch weitaus weniger als jetzt mit innenpolitischen Dingen befasst. Ich sah "Baader" als Film und nicht als geschichtliches Dokument, und so werde ich ihn auch besprechen.
Doch zuvor ein kleiner Schlenker. Neben dem Evian in Überfluß, den Pressematerialien zu den Filmen und dem Computer-Schreibzimmer ist einer der Vorteile der Berlinale-Akreditierung, daß man die Erzeugnisse ausgewählter journalistischer Mitbewerber kostenfrei mitnehmen kann. So las ich dann auch einen zweiseitigen Artikel in der "taz" zum Film und mußte feststellen, daß ich - in Ermangelung von stichfestem Vorwissen - gar nicht erst versucht habe, den Film Baader auf seine Wahrheitsliebe hin zu überprüfen. Mir war klar, es handelt sich um eine Dramatisierung der Ereignisse, und in Spielfilmen versucht man halt, sein Publikum zu unterhalten und nicht, Geschichtsprofessoren zu befriedigen. Als ich jedoch von der "dreisten Lüge" (O-Ton Regisseur) am Ende des Films las, fühlte ich mich schon etwas "überführt", denn, wenn ich mir die Zeit genommen hätte, ein wenig darüber zu reflektieren, hätte es mir eigentlich auffallen MÜSSEN, daß es nicht ganz so gewesen sein konnte wie im Film.
Doch - wie gesagt - darum ging es MIR ja auch nicht. Ich schreibe ja auch nicht für die "taz", also muß ich auch nicht vorm Abfassen dieses Artikels sämtliche Hintergründe der Geschichte Baaders kennen. Und WENN ich für die "taz" schreiben würde, so stärkte ich mein Selbstbewußtsein wieder, dann würde ich ganz sicher nicht so tun, als hätte "Zeitzeuge Daniel Cohn-Bendit" folgendes gesagt:
"Es gibt einen großen Hollywoodfilm, der zeigt, was man mit Geschichte machen kann: "Rats". Er nimmt die russische Revolution und leistet im Hollywoodformat durch die Figur der Emma Goldmann Revolutionskritik."
Ich gebe halt gar nicht erst vor, superschlau zu sein, aber gerate dadurch auch nicht in die Gefahr, mich schrecklich zu blamieren, wenn ich in einer poltisch doch stark links einzuordnenden überregionalen Tageszeitung Kommunisten (der Film ist natürlich Warren Beattys "Reds") mit krankheitsübertragenden Nagetieren verwechsle.
Endlich zum Film. Andreas Baader kommt als Autoknacker 1967 ins Zuchthaus und entwickelt sich innerhalb von fünf Jahren zu einer der treibenden Kräfte hinter der RAF. Der Film erzählt seine Geschichte. Bereits am Anfang will Baader allen "auf die Fresse hauen", am besten gleich dem Staat selbst. Er feiert sich selbst als Mann der großen Posen, hat immer den passenden Spruch auf den Lippen und kommt auch bei den Frauen gut an. Wenn allerdings jemand seine Argumentation hinterfragt oder anfängt, an seinem Plan zu zweifeln, dann wird der Störenfried rausgeschmissen, nörgelnde Frauen werden immer wieder auf ihre angeblich mangelnde Intelligenz hingewiesen. Als bekennender "Micky Maus"-Leser scheint sich Baader ausgerechnet mit dem Erzkapitalisten Dagobert Duck zu identifizieren und paraphrasiert dessen "Frauen. Zu kleines Gehirn." kurzerhand als "Votzenlogik" -» Was einen ausländischen Journalisten bei der Pressekonferenz dazu animierte, nachzufragen, ob sich dies auf Immanuel Kant bezieht … (die englischen Untertitel sprachen natürlich von "cunt logic") Aber auf das Problem der Überintellektualisierung angesichts dieses Films war ich ja schon eingegangen.
Frank Giering ("Funny Games") zeigt Baader als eine facettenreiche Figur, dem Zuschauer fällt es ebenso leicht, sich mit Baader zu identifizieren, wie sich von ihm zu distanzieren. Im Grunde genommen ist der Film nichts anderes als eine Version von "Bonnie and Clyde" oder "Butch Cassidy and the Sundance Kid", auf deutsche Verhältnisse umgemünzt, wodurch BKA-Chef Krone natürlich wie eine Mischung aus Erik Ode und dem Sheriff von Dodge City dasteht. Ein Staats-Scherge, der sich nur zu gut in die linken Terroristen hineinversetzen kann.
Für den Zuschauer stellt sich die Frage, ob er sich einfach nur unterhalten will. Durch die Schnipsel deutscher Geschichte, Bild-Zeitungs-Schlagzeilen, Tagesschau-Ausschnitte und Fahndungsfotos wird es erschwert, die zumeist nur am Rande erwähnten Todesopfer wie in einem Schwarzenegger-Film schulternzuckend zu akzeptieren. Am Anfang geht es noch um Sex, Drugs und Rock'n'Roll, selbst der Ausflug nach Jordanien ist mehr Sonnenbad als Kriegsschauplatz, doch wenn schließlich Jana Pallaske als blutjunge Karin zum Team stößt, wendet sich das Blatt in jeder Hinsicht.
Man kann sie zwar nie wirklich ernstnehmen, schon ihr erster Dialog:
"Du bist der Baader, oder?"
"Ich bin der Baader."
"Wow."
zeigt ihre naive Sicht auf die Dinge. Doch wenn sie sich dann später beschwert, daß es nicht mal Fernsehen oder ordentliche Musik zum Tanzen gibt, woraufhin Baader nur meint, es sei auch kein Ferienlager, dann dürfte jedem im Publikum klar werden, daß das böse Ende bevorsteht.
Im Grunde genommen funktioniert "Baader" ähnlich wie Sonnenallee. Unterhaltung und Eskapismus mit einem Schuß Wiedererkennungswert. Schon "Die Stille nach dem Schuß" und "Die innere Sicherheit" zeigten, daß die RAF als Hintergrund für deutsche Spielfilme viel hergibt. "Baader" gibt nicht vor, historisch zu sein, sondern unterhält, mit mitreißender Musik, einem weiten Spannungsbogen und einigen Denkanstößen. Ob man auf der Basis von Worten wie "Terrorismus" oder "RAF" mal so eine Neuschöpfung wie "Ostalgie" erfinden wird, ist fraglich, aber "Baader" kommt dieser Einstellung gefährlich nahe. Und dann muß jeder für sich entscheiden, ob man sich auf solch einen Film einlassen will oder lieber vollends eskapistische Streifen anschauen will.
So wie die Person Baader hat auch der Film "Baader" einen Reiz, dem man sich nur schwer entziehen kann. Einzig die Wiederholung der Eingangsszenen war zu lang, ein wenig mehr Langzeitgedächtnis kann man selbst politisch ungebildeten Zuschauern unterstellen.