Heaven Deutschland/USA 2001
Regie: Tom Tykwer
Buch: Krzysztof Kieslowski, Krzysztof Piesiewicz
Kamera: Frank Griebe
Schnitt: Mathilde Bonnefoy
Musik: Arvo Pärt, Tom Tykwer
Darsteller: Cate Blanchett (Philippa), Giovanni Ribisi (Filippo), Remo Girone (Vater), Stefanie Rocca (Regina), Alessandro Sperduti (Ariel), Mattia Sbragia (Maggiore Pini), Stefano Santospago (Vendice)
Kinostart: 21. Februar 2002
Weitere Informationen: www.berlinale.de
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Heaven
Bevor Tom Tykwer ein fremdes Drehbuch verfilmt, muß schon einiges passieren. Und stimmen. Im Nachlaß des leider zu früh verstorbenen Krzysztof Kieslowski fand er jedoch ein Script, das in seltsamer Weise viele der Themen anspricht, die Tykwer auch in seinen eigenen Büchern immer wieder beschäftigen: Schuld, Versöhnung, die Kraft der Liebe … und natürlich die seltsame Chronologie des Zufalls. Wenn zu Beginn des Films eine Uhr tickt, muß man natürlich an "Lola rennt denken", Frank Griebes Kamera ist wie immer sehr präsent, aber vor allem hervorragend, und nach den verschneiten Bergen, Berlin und Wuppertal ist Turin ein geeigneter Hintergrund für die Bilderkraft dieses eingespielten Teams.
Doch der Spielort ist auch typisch Kieslowski, denn am Ende des Films erfährt
man, daß "Heaven" der erste Teil einer Trilogie ist. Titel: "Heaven, Hell
and Purgatory". Offenbar wollte das polnische Drehbuch-Gespann Italien ähnlich
ausleuchten wie zuvor Frankreich mit den "Trois coleurs"-Filmen. Und italienische
und religiöse Themen durchziehen den Film. Wenn man mal die schwebend ätherische
Kameraführung außer acht läßt, ist es auffällig, daß
auch in der Erzählung die Aufwärtsbewegung gen Himmel eine wichtige
Bedeutung hat. Etwa wenn ein Vater mit seinen zwei kleinen Töchtern den Fahrstuhl
eines Fabrikkonzern benutzt. Nur Unschuldige kommen in den Himmel.
Philippa (Cate Blanchett), eine Englischlehrerin, erfuhr eher zufällig durch
ihren Mann, daß Vendice, der Chef des Industriekonzerns, der Kopf eines
Rauschgiftkartells ist. Nachdem nicht nur ihr Mann, sondern auch mehrere ihrer
Schüler an den Folgen der Sucht starben (netterweise bekamen sie einen Rabatt
vom Jugendfreund des Ehemanns), will sie eine im Nachlaß ihres Mannes entdeckte
Bombe benutzen, um den für die Öffentlichkeit rechtschaffend erscheinenden
Industriellen zu töten. So zumindest ihre Version, nach dem mißglückten
Anschlag, der vier falsche Opfer fordert, versucht die Polizei, die sie verhört,
die "wahren", politischen Motive ihrer Tat zu ergründen, und seltsamerweise
gibt es weder Aufzeichnungen von ihren Anrufen im Polizeipräsidium, wo sie
den Offiziellen anriet, den Drogenzar zu verhaften, noch findet man in ihrer Wohnung
Kopien ähnlicher Briefe an die Carabinieri, die ihre Story stützen sollen.
Nur der junge Dolmetscher Filippo (Giovanni Ribisi) schenkt ihrer Geschichte Glauben. Was aber auch damit zusammen hängen kann, daß er sich in die Gefangene verliebt hat. Und er auch von seinem Bruder, der Schüler bei ihr war, nur die besten Dinge über sie erfährt. Filippo, ein unscheinbares Bürschchen, dem wahrscheinlich jeder unterstellt, er habe seinen Job nur dadurch bekommen, daß sein Vater mal Polizeichef war, entwickelt einen perfiden Plan, um die Schuldige (und Geständige) zu retten. Er steckt ihr ein kleines Diktiergerät zu, doch ihre Zelle wird natürlich abgehört, und einige Polizeioberste, die auch ganz gut am Rauschgiftgeschäft verdienen, sehen ihre Chance, die unliebsame Geschichtenerzählerin bei einem Fluchtversuch ganz praktisch loszuwerden.
Doch da zeigt sich Filippos wahres Talent (Danny Ocean wäre stolz auf ihn), und die Lovestory kann beginnen. Das ungleiche Paar erinnert zunächst an "Ein kurzer Film über die Liebe": Ein unerfahrener Milchbubi und eine zu allem entschlossene Frau. Nicht nur die Schuldfrage wirft einen Schatten auf die junge und zunächst etwas einseitige Beziehung, auch hat Philippa vor allem einen Wunsch: Endlich den Mann zu töten, der daran Schuld ist, daß sie ihr Gewissen mit vier Unschuldigen belastet hat.
Einiges am Plot ist etwas konstruiert, doch wer Tom Tykwer mag, kann sich an derlei kaum stören. Und die Liebesgeschichte zwischen den zwei ungleichen Figuren, die schließlich doch immer mehr verbindet funktioniert um einiges besser als "Der Krieger und die Kaiserin". Cate Blanchett zeigt einige beachtliche Leistungen, Ribisi kann zunächst in seiner Unscheinbarkeit kaum glänzen, doch die Chemie zwischen den Darstellern, die erst vor kurzem in "The Gift" nahezu vertauschte Rollen spielten, trägt den Film wie eine Kraft, die gen Himmel strebt.
Wie einige Hitchcockfilme (und "Der Krieger und die Kaiserin") zerfällt "Heaven" in zwei Teile, nach dem Thriller-Teil folgt die Liebesgeschichte eines Paares auf der Flucht, und abermals sind die Bilder, die Griebe und Tykwer uns von der Toscana zeigen, ein Erlebnis, das weit über das "Nice-Shot-Syndrom" der Postkartenmotive hinausgeht. Dieses Italien ist noch himmlischer als die zuvorigen Spielorte der Filme von Tykwer und Kieslowski, und da der einzige Schwachpunkt des Films einige Punkte im Drehbuch eines zu früh verstorbenen großen Genies und Wegebereiter des ganz-europäischen Films liegen, sieht man darüber hinweg und fragt sich, wer alles für diesen Film in den Olymp aufsteigen darf, so er nicht schon dort verweilt.
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