Berlinale-Wettbewerb:
Der Stellvertreter
Amen.
"Politische" Filme "bereichern" seit jeher das Angebot auf der Berlinale. Die beiden hier sind jeweils von Regisseuren, die sich mit so etwas auskennen, drehen sich um die unrühmlichste und meistbehandelte Zeit der deutschen Geschichte und benutzen auch jeweils deutsche Schauspieler (Ulrich Tukor taucht gar in beiden auf). Aber auch wenn Großteile der Filme in Deutschland spielen, wird fast nur englisch gesprochen.
"Amen." erzählt die Geschichte vom "Stellvertreter", basierend auf Hochhuths Theaterstück aus den 1960ern. Der Chemiker Kurt Gerstein soll für die NSDAP bei der "Schädlingsbekämpfung" behilflich sein. Nachdem Gerstein, dessen geistig zurückgebliebene Nichte kurz zuvor angeblich an Lungenentzündung verstorben ist, Zeuge einer Vergasung im KZ Treblinka wird, erkennt er den Umfang von Hitlers Anti-Juden-Programm und will die Sache publik machen. Doch die Kirche, die kurz zuvor noch durch Protest die "Euthanasie" an Behinderten stoppte, zeigt wenig Interesse, auf "unbestätigte Gerüchte" einzugehen. Der junge Jesuit Riccardo, dessen Vater ein Bekannter des Papstes ist, versucht Gerstein zu unterstützen …
Costa-Gavras Film ist stark von Spielbergs "Schindler's List" beeinflußt. Ulrich Mühes Darstellung als "Doktor" ist zwar eindrucksvoll, scheint aber auch nur Ralph Fiennes nachempfunden zu sein. Costa-Gavras gelungenster Inszenierungstrick ist es, das Grauen nicht direkt zu zeigen. Wenn Gerstein durch ein Guckloch in die Duschkammern schaut, sieht der Zuschauer nicht, was hinter den Blechwänden, die durch Aktionen drinnen erbeben, passiert. Ein alter Trick: Kaum ein Bild ist schrecklicher als die Vorstellung des Publikums. Später wird Gersteins Zug angehalten, weil ein anderer Zug mit "Priorität" vorbeigelassen werden muß. Der Zug ist leer, aber man ahnt, daß diese Waggons auf dem Rückweg wieder voll sein werden. Ein beklemmendes Bild voller Symbolgewalt, doch Costa-Gavras zeigt die leeren und vollen Züge (man sieht die Fracht nicht) im Folgenden leider viel zu oft. Etwa sechs bis sieben Mal kämpfen sich die Lokomotiven zu enervierender Musik durchs Bild und versuchen dem Film eine Dramatik zu verleihen, die ihm leider fehlt.
Der aussichtslose Kampf gegen die Politik der Kirche kann die Protagonisten nicht bei ihrem Bestreben aufhalten, doch den Zuschauer ermüdet der dramaturgische Stillstand. All die gelungenen Bilder, moralischen Dilemmas und grandiosen Auftritte von Mühe gehen in der Behäbigkeit der Inszenierung verloren. erst gegen Ende entwickelt der Film noch mal eine Dramatik, und an dieser Stelle gelingt es dem Regisseur wieder, durch seine konsequente Umsetzung, die Message herüberzubringen.
Ein kleines Detail, das mich noch gestört hat: Der Himmel über dem Vatikan mit einem sich wiederholenden Vogelschwarm, der offensichtlich aus dem Computer kam.
Berlinale-Wettbewerb
(außer Konkurrenz):
Taking Sides - Der Fall Furtwängler
Taking Sides
Weitaus unterhaltsamer ist István Szábos Geschichte von der Entnazifizierung. Ein Major, der im Zivilleben Versicherungsdetektiv war (Harvey Keitel), soll am berühmten Dirigenten Furtwängler ein Exempel statuieren. Wer gut Freund mit Göring und Goebbels war und zu Ehren Hitlers Geburtstag ein Ständchen gab, kann sich auch nicht damit rausreden, daß er kein Parteimitglied, aber ein angesehener Künstler war.
Furtwängler (Skarsgård) zerbricht unter den Zermürbungstaktiken des Amerikaners, selbst dessen semi-deutschen Assistenten aus Opferkreisen (Bleibtreu als emigrierter Jude, der als US-Army-Mitglied zurückkehrt, und Debütantin Birgit Minichmayr als Tochter eines verhinderten Hitler-Attentäters, dessen Familie dafür ins KZ wanderte) können die Gestapo-Methoden ihres Vorgesetzten nicht gutheißen, können ihn aber auch nicht aufhalten bei seinem Bestreben, eine unpassende Schwar-Weiß-Philosophie zur Geltung zu bringen.
Seit "Bad Lieutenant" war es nicht mehr eine solche Freude, Harvey Keitel als Bösewicht par excellence zu erleben. Seine Dialoge (Ronald Harwood, der Autor der Vorlage, schrieb auch das Drehbuch) sind rasiermesserscharf, selbst, wenn er unsachlich wird und anfängt, zu schreien, kann man sich an diesem Vollblutschauspieler nicht sattsehen. Was natürlich der Nachricht des Films entgegenlaufen sollte, aber gerade dadurch, daß Furtwängler selbst so farblos bleibt, zeigt sich, daß "Gut" und "Böse" sich auch nicht durch die Darstellung der Figuren oder vom Regisseur erzielte Sympathie-Verteilungen festlegen lassen.
Furtwänglers Orchester bestätigt alle Vorurteile gegenüber den deutschen mit angeblich weißen Westen: Sie ereifern sich in immer gleichlautenden Geschichten, so daß der Major und sein Lieutenant bereits Wetten abschließen, wann die Geschichte vom taktstock erzählt wird. Und jede frage nach dem Nachnamen der Protokollantin zieht eine Verneigung vor ihrem heldenhaften Vater nach sich.
Szábos Film entzieht sich allen Schubladen, und wenn am Schluß des Films, der das Wettbewerbsangebot der diesjährigen Berlinale abschloß, Schwarz-Weiß-Aufnahmen vom echten Furtwängler gezeigt werden, wie er vor der Partei-Prominenz dirigiert, weiß man als Zuschauer nicht mehr, ob man klatschen darf, wie es seine suspekten Vorfahren taten.
Ein Film, der das seltene Kunststück vollbringt, einen zum Nachdenken zu animieren und dabei dennoch vorzüglich unterhält.