Musikfilm:
Texas
Eine der entscheidenden Fragen wird bereits in den ersten zehn Filmminuten geklärt. Die Band kommt aus Sydney nach London geflogen, wo sie in den Pinewood Studios gemeinsam jammen will, um sich für die Aufnahme ihres neuen Albums warm zu machen. Ein Mitarbeiter der Fahrbereitschaft wartet mit einem Zettel mit der Aufschrift
TOFOG am Flughafen und während er gemeinsam mit den Musikern zum Wagen läuft, fragt ihn eines der Bandmitglieder, ob er denn wüsste, wofür die Abkürzung überhaupt stehe. Verlegen weicht der Fahrer den Blicken des Fragers und der Kamera aus und murmelt nur, dass es irgendetwas mit Grunts, also mit Grunzen zu tun habe. "
30 Odd Foot Of Grunts" ergänzt sein Gegenüber lachend und schon geht die Fahrt los in das Hotel, in dem der Schauspieler Russell Crowe abgestiegen ist.
Selbiger ist nämlich nicht nur Oscar-Preisträger, sondern zugleich Sänger und Gitarist bei
TOFOG. Warum muss dieser Schauspieler nun unbedingt singen, könnte man sich fragen und genau darauf versucht die Dokumentation, eine möglichst überzeugende Antwort zu liefern. Es ist eben nicht so, dass Crowe sich nur ein paar Musiker zusammengecastet hat, um einen persönlichen Spleen auszuleben, auch wenn sich eben dieser Gedanke ständig aufdrängt. "Crowes Band in Austin" titelt eine texanische Lokalpostille. Und in Großaufnahme wird der Sänger gezeigt, wie er in einem Radiointerview erklärt, dass man hier eigentlich nur die neue CD vollsingen wolle, nun aber auch noch ein Konzert gebe. Geschickt verwebt der Regisseur Studioszenen und Liveausschnitte miteinander, aber der Bühnenspot ist nur in Ausnahmefällen mal auf jemand anderen als den Gladiator-Darsteller gerichtet. Die Kamera fängt immer wieder kurze Statements der Musiker ein, lediglich Crowe kommt nie zu Wort. Unfreiwillig wird das enorme Ungleichgewicht in der Bandhierarchie entlarvt. Stellenweise ist es so, als ob seine Kapellen-Kollegen ihren Sänger mit der selben Ehrfurcht behandeln, wie die Fans, die immer mal wieder zu Wort kommen. Dabei bemüht sich Crowe sichtlich, sich ganz normal in das Gefüge einzupassen. Nicht immer gelingt dieser Balanceakt — stellenweise hört man ihn kaum etwas anderes als das F-Wort und diverse griffige Umschreibungen für sein Genital in das Mikrophon plappern.
Doch alte Musikvideos und Promofotos belegen, dass sich zumindest ein Teil der Band (inklusive Crowe) bereits in den Achtzigern zusammengefunden hat. Lustige Stylingversuche im Stile Limahls oder The Cures zaubern nicht nur eingefleischten Fans ein wehmütiges Lächeln an vergangene Zeiten auf die Lippen. Und so dürfen sich die TOFOGs denn nun, wo die Kredibilitätsfragen geklärt sind, auch wie eine richtige Rockband aufführen und allerlei Unsinn machen und sich auf die Bühne geworfene BHs anziehen. Natürlich nur über die eigenen Klamotten, es handelt sich ja nicht um einen Tuntenball.
Aber BHs fliegen schließlich reichlich. Eine der Fortysomething-
Kegelschwestern, die in der Reihe hinter mir saßen und nach eigener Aussage bereits die ganze Woche durch die Berlinale-Landschaft gepilgert waren, um ihrem Idol möglichst nahe zu sein, brachte es selbstkritisch auf den Punkt: "98 Prozent der Konzertbesucher sind doch sowieso nur Frauen." Die paar Männer, flüsterte sie etwas leiser, kämen doch ohnehin nur zum Aufpassen mit.
Es ist eben eines der vielen ungeklärten Geheimnisse des RocknRoll, warum kreuzbrave und anständige Mütter plötzlich zappelig werden, wenn ungepflegte, fluchende Männer im Rampenlicht herumtoben. Natürlich kann man als Mann bei Crowes Anblick im Tanktop nur neidisch werden. Auch seine markante Stimme klingt wohltuend, nur bin ich mir nicht abschließend sicher, ob der Musikwelt ohne TOFOGs Countryrock wirklich viel fehlen würde.
Auch gibt es in "Texas" genug Momente, in denen die Musiker verzweifelt und hilflos wirken. Dann schauen sie wie Boygroup-Twens ins Publikum und wünschen sich sichtlich mehr Heterogenität. Als Crowe auf der Bühne die traurige Geschichte eines neunjährigen Jungen erzählt, der vom rechten Weg abgekommen ist und sich auf der Straße herumtreibt, mutiert die Erzählung zum Kasperletheater. Ungeachtet der Ernsthaftigkeit des Songs kreischen die Damen in den ersten Reihen Textzeilen im Wechselspiel mit dem Sänger, so wie DJ Ötzi, wenn er mal wieder im Ballermann "Hey Baby" zum Mitsingen dirigiert.
Und während sich die Stimmung so dem Höhepunkt nähert, sind es eben nicht alten, dicken oder runzligen Fans, die mit den Musikern abwechselnd in Schuss-Gegenschuss-Sequenzen gezeigt werden, sondern ausnahmslos gutgebaute Gesichtsschönheiten. Die Anderen fängt die Kamera lediglich dabei ein, wie sie draußen warten und durch die Absperrung linsen, um vielleicht einen Blick auf ihren Star zu erhaschen. Durch diese Szenenauswahl reflektiert der Film — wahrscheinlich wieder unfreiwillig — höchst kritisch die gängigen Hollywood-Regeln: die Ästhetik hat Vorrang und muss ausgewogen bleiben, nur das Aussehen zählt und Schatten haben draußen zu bleiben und nicht auf Russell Crowes Ansehen zu fallen.
Am Ende resümiert eine Schrifteinblendung den Livegig: 124 Grad (Fahrenheit) und eine durchschnittliche Konzertdauer von 2 Stunden und 18 Minuten. Die Credits fließen, die Band zieht sich zurück in den Backstagebereich und alle umarmen sich. Allein Crowe sitzt etwas abseits und trinkt einsam sein Dosenbier. Aber vielleicht denkt er auch nur an seinen nächsten Film.