Lovely Rita
Unter den Abschluß-/Debütfilmen aus dem deutschsprachigen Raum, die sich wie um die Probleme junger Menschen drehen, haben die etwas kurz geratenen mitunter einen schweren Stand. "Mein Stern" war das letzte Beispiel für einen kaum beachteten Film, der aber ebenso wie der vergleichsweise noch unbekanntere "Swetlana" einfach mehr Beachtung verdient als die mitunter schon zu sehr gehypeten Filme um Daniel Brühl und Vanessa Jopp, die einfach ein anderes, "oberflächlicheres" Bild vermitteln.
"Lovely Rita" lebt auch von der Alltagsbeobachtung. Zwar darf die 15-jährige Titelheldin in der Kleiderauswahl mehr Geschmack zeigen als in "Die innere Sicherheit", doch gerade ihre allzu menschlichen Fehler wie der absurd dick aufgetragene Lidschatten oder die Schweißflecken unter den Armen rücken sie in die Nähe von "Rosetta", die ähnliche Probleme zu bewältigen versuchte (und ihr schon rein physisch ähnelt).
Auch wenn Rita nicht die Geldprobleme mit den ähnlich starken Heldinnen der letztgenannten Filme teilt, so haben sie doch einiges gemein: Die Suche nach Beachtung und Zärtlichkeit, die zumeist scheiternden Versuche, aus ihrer festgefahrenen kleinen Welt zu entfliehen. Letzteres wird hier nicht so tragisch wie in "Rosetta" dargestellt, aber wenn Rita beispielsweise den jüngeren, kränklichen Nachbarssohn Fexi aus dem Krankenhaus entführt, um mit ihm "durchzubrennen", ist schnell klar, daß dessen Gesundheitszustand sich rapide verschlechtert und Rita offenbar die Folgen ihres Tuns nicht mehr einzuschätzen vermag. Doch alle Ausbruchsversuche, das schon pathologische Schuleschwänzen und der immergleiche, frustrierte Gesichtsausdruck wird von Ritas Eltern nur mit Stubenarrets und Kommentaren wie "Das machste aber nimmer, gell? Schau, nu gib mir a Busserl" kompensiert.
Und auch die anderen Figuren in diesem Film leiden unter ihrer Umwelt. Fexi ist eh der kleine tragische Held, ein trotziger, ausdrucksstark gespielter schüchterner Junge, der von seiner Mutter und einer Sauerstoffmaske in seine Grenzen gewiesen wird. Aber selbst Ritas kleine Nichte soll für den Großvater, der mehr an seinen Schießübungen im Keller interessiert ist, ein Gedicht aufsagen und scheitert bereits an dessen kaum wahrgenommener Nichtbeachtung.
Ritas Ausweg ist eine langsame, stetige Flucht aus der Normalität, vielleicht auch der Realität. Doch wenn selbst das unverdrossene Schuleschwänzen mit immer waghalsigeren Entschuldigungen und die Sexabenteuer mit noch minderjährigeren Nachbarssöhnen und Busfahrern nicht beachtet werden (im Gegensatz zum nicht heruntergeklappten Klodeckel), hat sie dann überhaupt eine Chance, beachtet zu werden? Der Film spart diese endgültige Antwort mit einem sehr offenen, aber konsequenten Ende aus. Die sich selbsteinschaltende Wohnzimmerlampe scheint mehr Reaktion zu zeigen als Ritas gesamte Umwelt.
Schon das Herkunftsland Österreich lädt natürlich Vergleiche zu Michael Haneke ein, doch auch, wenn ich diesen zu den momentan weltweit fähigsten Regisseuren zählen würde, zeichnet "Lovely Rita" etwas aus, was man in den Filmen Hanekes einfach nicht findet: menschliche Wärme und die Möglichkeit für den Betrachter, sich sich bis zum Schluß in den alltagsnahen Figuren, ihren Gesten und Dialogen wiederzufinden, auch wenn man manche der von Rita eingeschlagenen Wege nicht gehen würde. Wo Haneke das Extrem sucht, findet die in Berlin wohnende Regisseurin Jessica Hausner den Alltag. Und der hat bekanntlich auch seine Abgründe.
Zu erwähnen ist noch die farbkräftige (Kostüme, Hintergründe, Schwarzlicht in der Disco) Videokamera von Martin Gschlacht mit den stilprägenden Zooms.