Rivers and Tides
Andy Goldsworthy Working With Time
Der britische Künstler Andy Goldsworthy arbeitet mit der Natur, mit der Vergänglichkeit, und besonders gern mit Wasser. In seinen Skulpturen, die er in Fotos festhält, weil sie beabsichtigt die Tendenz haben, nicht besonders lange der Nachwelt erhalten zu bleiben, tummeln sich Schlangenlinien, die an Flußläufe erinnern. Erstmals erlaubte er einem kleinen Team, ihm bei seiner Arbeit zu begleiten und heraus kam dabei dieser wunderschöne Dokumentarfilm.
Goldsworthy, der während des ganzen Films seine Einstellung zu seiner Kunst zu verbalisieren versucht, baut Eisskulpturen, die den Mittag nicht erleben, Steinbauten und riesige Nester aus Zweigen, die von der Flut zerstört und/oder davongetragen werden. Wahrscheinlich durch das Medium Film inspiriert, wirft er auch mal Schnee in die Luft und schaut, wie der Wind damit spielt, oder schmeißt eisenhaltige, fast blutrote Lehmklumpen ins Wasser. Ich könnte noch gut zwanzig oder dreißig seiner in diesem Film dokumentierten Arbeiten zu beschreiben versuchen, aber hier zeigt es sich wieder mal, daß der Film als Medium sich nicht annähernd durch Nacherzählung fassen lässt. Und das ist auch eines der schönsten Komplimente, die man diesem Film machen kann: Man kann ihn nicht erklären, man muß ihn erfahren, ähnlich wie vielleicht »Koyaanisqatsi«, der auch von der Wechselwirkung der Bilder und der Musik lebt, ist »Rivers and Tides« aber, auch wenn er sich die ganze Zeit nur um eine Person dreht (und in Godfrey Reggios Film sieht man ja lange Zeit gar keine Menschen, und später fast nur in Zeitraffer), irgendwie viel näher an der Natur.
Denn Goldsworthy, dieser verschrobene, aber liebevolle Kauz, der sich manchmal auch einfach nur im Regen auf einen Kieselgrund legt, um sich an seinem Schattenriß zu erfreuen, mag zwar mitunter ein wenig wirr erscheinen, aber selbst eine Steinmauer, die er mit Wattebäuschchen verziert, hat einen Sinn, der sich durch seine seltsame philosophische Anschauung von Kunst spielerisch leicht erschließt.
Und die Bilder, die dieser Film zeigt, bekommt man halt so gut wie nie zu sehen, und auch meine größte Furcht beim Betrachten des Trailers, daß sich die Faszination der Bilder nicht über anderthalb Stunden halten könnte, wurde zerschlagen. Ich hätte Goldsworthy noch länger bei seiner Arbeit begleiten können.
Doch bei aller Euphorie würde mich zum Teil auch interessieren, wie dieser Film gedreht wurde, wieviele Bilder einfach nicht eingefangen werden konnten, wie oft das Filmteam versagte, wo es sich an anderer Stelle damit rühmte, den Künstler beim Scheitern zu porträtieren. Und wenn Goldsworthy an einer Stelle mal in die Kamera spricht und in etwa sagt: »Die Flut wird bald kommen, die Zeit drängt. Ich glaube, es wäre am besten, wenn ihr die Kamera mal zur Seite stellt und euch irgendwie nützlich macht«, so ist dies der vielleicht einzige Moment des Films, der die ganze Aktion auch kritisch hinterfragt. Man fühlt sich fast an das Grundproblem des Reality-TV erinnert und fragt sich, ob der Film mit solchen Konflikten vielleicht noch über die reinen Schauwerte, das Dokumentieren hinaus hätte wachsen können …