Nach dem Öffnen der DVD Liebe - kälter als der Tod wird der aufgeregte Fassbinderfan mit gleich drei Filmen von und über den Regisseur konfrontiert: Neben seinem ersten Langspielfilm Liebe ist kälter als der Tod harren auch Fassbinders noch früherer Kurzfilm Der Stadtstreicher sowie Juliane Lorenz' 1998 im Panorama der Berlinale gezeigte Dokumentation Life, Love & Celluloid ihrer Sichtung.
Der Hauptfilm Liebe ist kälter als der Tod lässt noch wenig spüren von Fassbinders späterer Faszination für das melodramatische Hollywoodkino des Douglas Sirk, wie er es im Händler der vier Jahreszeiten oder Angst essen Seele auf zelebrieren würde. Viel stärker noch weht der Geist des amerikanischen Gangsterfilms, vermischt mit der Handschrift europäischer Autorenfilmer durch das Werk, und es ist sicher kein Zufall, dass Fassbinder seinen Erstling Rohmer, Chabrol und Straub widmete. Letzterer steuerte sogar eine ganze Szene zum Film bei, eine Kamerafahrt durchs nächtliche München. Die Szene trägt einerseits eindeutig Straubs Handschrift (man erinnere sich nur an die endlos lang scheinenden Fahrten in Straubs viel späterem Trop tot, trop tard), andererseits lieferte sie auch offensichtlich Inspiration für Fassbinder und seinen Kameramann Dietrich Lohmann - die Kamerafahrt durch einen Münchener Supermarkt gehört zu den visuell aufregendsten Szenen des Filmes. Wer sich übrigens fragt, wer die beiden Personen sind, denen Fassbinder seinen Film noch widmet -"Linio et Cuncho" sind Figuren aus dem Italowestern Quien Sabe? von Damiano Damiani.
Die elliptische Erzählweise voller Lücken und Brüche in Narration und Montage, die auch Kälter als der Tod, wie der Film bei seiner Uraufführung auf der Berlinale 1969 betitelt war, auszeichnete, tritt in Der Stadtstreicher noch deutlicher zu Tage. Fassbinder erzählt von einem Obdachlosen, der eine Pistole findet und mit dieser als einzigem Besitz durch ein surreales München zieht, pendelnd zwischen Hoffnung und Selbstmordgedanken. Wenn man rückblickend den visuellen Einfallsreichtum des Films bestaunt, scheint es unverständlich, dass Fassbinder mehrmals an der Hochschule für Film und Fernsehen in München abgelehnt wurde, auch wenn im Nachhinein diese Ablehnung vermutlich das Beste war, das dem Filmemacher passieren konnte, da er auf diese Weise das Kino selbst als einzige Autorität, als einzigen Lehrmeister über sich hatte.
Neben zwei so beeindruckenden Werken hat es der dritte im Bunde, Juliane Lorenz Dokumentation, schwer. Lorenz war zum Zeitpunkt von Fassbinders Tod seine Lebensgefährtin und leitet seit 1992 die Rainer Werner Fassbinder Foundation, die auch die DVD-Reihe herausgibt, zu der Liebe - kälter als der Tod gehört.
Lorenz Film Life, Love & Celluloid beginnt, wie so viele Filme über Fassbinder, beschwert vom erdrückenden Geflecht an Mythen, die sich inzwischen um den Filmemacher ranken. Und genau wie die meisten dieser anderen Filme begegnet auch Life, Love & Celluloid diesem Gewicht mit der Entscheidung, erzählen zu lassen. Menschen aus Fassbinders Umwelt kommen zu Wort, und Menschen, die Fassbinder nur retrospektiv über sein Werk kennen lernen.
Das Schöne an Lorenz erster Regiearbeit ist, wie sich der Film unmerklich aus Fassbinders Klauen befreit: Die Stimme Fassbinders, die noch zu Anfang schwer aus dem Off das zu sehende Bild belastete, wird immer mehr zu reinem Beiwerk, da Lorenz den Mut hat, sich mit der Zeit weniger mit Fassbinder und seinem Leben, denn vielmehr mit genau dem zu beschäftigen, was auch Fassbinders Themen waren: mit der Vergangenheitsbewältigung der Deutschen, mit dem Kino an sich und mit der Schauspielerei.
Diese großen Themen des großen Regisseurs verknüpft sie miteinander, ohne Fassbinder zum Übervater werden zu lassen. Und ganz nebenbei erfährt der Zuschauer Anekdoten, die er in einem Film mit diesem Sujet wohl am wenigsten erwartet hätte: dass beispielsweise angeblich in den Archiven des Museum of Modern Art eine Version von Riefenstahls Triumph des Willens schlummert, die von Bunuel persönlich umgeschnitten und gekürzt wurde. Oder man sieht Hanna Schygulla auf der Bühne einen ihrer Chansons vortragen, in den sie die Titel beinahe aller Fassbinder-Filme einflicht.
Life, Love & Celluloid ist ein angenehmer Film, der es gerade durch seine Leichtigkeit, seine mit der Zeit wachsende Distanz zu Fassbinder schafft, neben dessen beiden Filmen auf dieser DVD zu bestehen, und einen weiteren wichtigen Anteil an diesem Erfolg hat sicherlich auch die Kameraarbeit von Elfi Mikesch. Mikeschs Bilder von New York, Los Angeles und Berlin wirken wie ein entferntes Echo der Kamerafahrten Straubs und Lohmanns in Liebe - kälter als der Tod und unterlegen malerisch Lorenzs Dokumentation.
Abschließend sei noch ein Wort über die weiteren Extras der DVD verloren: Neben den obligatorischen, ausblendbaren englischen Untertiteln gibt es einige Kurzbiographien, die allerdings jedem halbwegs versierten Fassbinder-Freund wenig Neues zu bieten haben, einige seltsam verzerrt wiedergegebene Filmstandbilder und ein Werkverzeichnis, in dem zu 14 von Fassbinders Filmen Trailer, Szenen oder Plakate angesehen werden können. An diesem Werkverzeichnis lässt sich auch abschließend die einzige Kritik an dieser DVD anbringen, da leider aus unerfindlichen Gründen zu drei Trailern der Ton verloren gegangen zu sein scheint.
Trotz dieser kleinen Mängel bleibt diese DVD eine Anschaffung, ohne deren Gesellschaft keine Videosammlung ihr Dasein fristen sollte.