Es gibt (mindestens) drei gute Gründe, warum man dem "ersten Kapitel" der
Hannibal Lecter Trilogie, dem Film "Roter Drache" nach dem Roman von Thomas
Harris skeptisch gegenüber sein kann:
- "Roter Drache" wurde bereits 1986 verfilmt, und zwar von Michael Mann
(Heat, Ali, The Insider) unter dem Titel "Manhunter" (der seltsamerweise
auch manchmal als "Blutmond" oder "Roter Drache" im Fernsehen läuft).
Und diese Verfilmung gilt als sehr gelungen.
-
Der Regisseur der Neuverfilmung ist Brett Ratner, zu seinen Filmen zählen
die beiden (bzw. demnächst drei) "Rush Hour"-Teile sowie "Family Man" und
"Money Talks" - und das sind nicht wirklich Referenzen für einen guten Film.
- "Hannibal", der letzte verfilmte Teil der Trilogie, war ein absolutes
Desaster - tolle Bilder (Regie: Ridley Scott), sehr dünne Story und vor
allem ein miserabel schauspielender Anthony Hopkins, der vielleicht einen
interessanten Psychophaten gespielt hat, aber nicht den Dr. Lecter, den wir
aus dem "Schweigen der Lämmer" kennen.
Doch genug der Unkenrufe, alle Skepsis ist unangebracht, "Roter Drache" ist
ein sehr, sehr guter Film.
1980 schaffte es Ermittler Will Graham (Edward Norton), Dr. Hannibal Lecter
(Anthony Hopkins) zu überführen - wobei er beinah mit seinem Leben hätte
bezahlen müssen. Danach quittierte er den Dienst und lebt seitdem mit seiner
Familie zurückgezogen - bis seine ehemaliger Chef Jack Crawford (Harvey
Keitel) auftaucht, und ihn zur Mitarbeit an einem schwierigen Fall bittet:
Ein die "Zahnfee"(Ralph Fiennes) genannter Mörder hat bereits zwei Familien
auf dem Gewissen und wird vermutlich beim nächsten Vollmond wieder
zuschlagen - und das ist schon in drei Wochen. Graham sagt zu, doch der
Fall ist schwieriger als angenommen. Er braucht Hilfe - von einem alten
Freund …
Der Film beginnt mit einem wunderschönen Konzert, bei dem Dr. Lecter
scheinbar friedlich im Publikum sitzt - um danach seinen Gästen ein ganz
besonderes Mahl zu liefern.
Hopkins hat sich die Kritik an "Hannibal" offenbar zu Herzen genommen und
spielt wieder so, wie man ihn aus dem Schweigen kennt - ruhig, lauernd, ohne
eine Bewegung der Augenlieder. Natürlich hat man die Rolle von Lecter
ausgebaut (im Buch taucht er nur drei oder viermal auf), was dem Film aber
sehr gut tut, denn nun lauert ständig die Gefahr durch Lecter.
Auch wenn viele meinen mögen, die Haupthandlung des Filmes sei die
Aufklärung des Mordes und Lecter nur schmückendes Beiwerk, so muß ich dem
widersprechen: Genau genommen geht es nur um Graham und Lecter und ihr
Verhältnis. Lecter sinnt auf Rache, und macht sich die Tatsache, daß Graham
seine Hilfe braucht, zum grausamen Instrument: Er hetzt die "Zahnfee" auf
Grahams Familie, zwar erfolglos, doch Graham kehrt am Ende der Polizei
wieder den Rücken zu (vermutlich endgültig).
Auch schon die dynamische Titelsequenz weiß zu begeistern: Anhand von
unzähligen Zeitungsausschnitten wird man über die Vorgänge seit der
Verhaftung Lecters informiert. Eine nicht ganz neue Idee, Kenneth Branagh
benutzte sie auch in "Schatten der Vergangenheit", doch hier ist sie weitaus
besser gemacht.
Parallel zur Untersuchung von Graham und Crawford sieht man die ganze Story
aus der Sicht des Mörders. Hier überrascht mich Ralph Fiennes sehr, bisher
hatte ich ihm (offenbar zu Unrecht) wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Er
spielt den verrückten Killer - dem "Roten Drachen" - sehr intensiv,
besonders die Sequenz, in der er versucht , nicht zu morden, ist sehr gut
gespielt.
Um den Film richtig zu würdigen, muß ein Vergleich mit dem "alten" Film
und dem Buch her: "Roter Drache" ist nahezu eine 1:1 Umsetzung des Buches
- "Manhunter" ist hingegen stark reduziert. Darin liegt auch der Vorteil
der Neuverfilmung: Die psychologische Tiefe, die das Buch hat, wurde
konsequent umgesetzt - "Manhunter" hingegen war doch eher auf die
Kriminalhandlung reduziert. Vor allem der Showdown entspricht dem Buch, in
"Manhunter" war er eher simpel gestaltet. (Ganz ehrlich, nach dem Anlesen
des Buches und dem Kinobesuch halte ich "Manhunter" nun eher für eine
mißglückte Umsetzung des Buches).
Der Film hat eindeutig den "Geist" von Jonathan Demmes "Das Schweigen der
Lämmer" - vermutlich hauptsächlich daher, daß in beiden Fällen Ted Tally das
Drehbuch geschrieben hat (und für "Hannibal" nicht). Beide Filme sind
kongeniale Umsetzungen der Bücher (wobei "Hannibal" natürlich auch eine
miserable Vorlage ist).
Im ganzen Film gibt es Hommagen an Demmes Meisterwerk: Seien es nur die
Schriften (die den Ort der Handlung angeben, z.B. "FBI Hauptquartier,
Washington DC"), die genau so gestaltet sind (weiße, unterstrichene
Schrift); die Szene, in der Graham zu Lecters Zelle geht, ist sogar
identisch mit der im "Schweigen", wenn Clarice auf die Zelle zuschreitet
(subjektive Kamera, die sich dem Stuhl vor Lecters Zelle nähert); im Büro
Lecters (vor der Verhaftung) finden sich aufgespießte Käfer (die später im
"Schweigen" eine Rolle spielen werden). Auch sind die Bilder in Lecters
Zelle die gleichen (soweit ich das erkennen konnte).
Auch die Tatsache, daß neben Hopkins noch zwei Darsteller in beiden Filmen
die gleiche Rollen spielen, nämlich Anthony Heald als Dr. Chilton
(Gefängnisdirektor) und Frankie Faison als Barney (Gefängniswächter, eine
Minirolle) verstärken natürlich das Gefühl, etwas vertrautes zu sehen.
Schade, daß nicht wieder Scott Glenn die Rolle des Jack Crawford übernommen
hat, ich halte ihn für einen weitaus besseren Schauspieler als den
langweilige Harvey Keitel.
Trotz meiner Euphorie gibt es doch zwei Punkte, die ich bemängeln muß: Die
Musik von Danny Elfmann (Tim Burtons Haus- und Hofkomponist) ist vor allem
in der ersten Stunde zu effektheischerisch, das war die Musik von Howard
Shore damals nicht. Danny Elfmann ist mit Sicherheit der ungeeigenteste
Komponist, dem man sich hätte aussuchen können, da hat die Arbeit mit Tim
Burton doch deutliche, negative Spuren hinterlassen.
Auch mit der Wahl des Hauptdarstellers Edward Norton bin ich nicht völlig
glücklich: Sicherlich spielt der zweifach Oscar-nominierte gut, doch an
manchen Stellen finde ich, daß "Manhunter" William Petersen (momentan
populär als Hauptdarsteller der Serie "C.S.I.") einfach besser ist, vor
allem wenn es darum geht, die innere Verzweiflung zu zeigen. Doch wenn
Norton "gegen" Hopkins spielt, verblaßt Petersen wieder. Allerdings sind
solche Beobachtungen natürlich stark subjektiv. Allerdings muß man auch
zugegeben, daß Norton mit seinen blondierten Haaren doch irgendwie seltsam
aussieht, warum man das gemacht hat, ist mir völlig schleierhaft.
Am Ende des Filmes wird noch galant zum "Schweigen der Lämmer" übergeleitet:
Lecter sitzt in seiner Zelle, Dr. Chilton meint "Da ist eine junge Frau,
die sie sprechen möchte. Ich werde sagen, daß sie kein Interesse haben."
Daraufhin grinst Lecter diabolisch, offenbar hat er Vergnügen am
Zugrunde richten von Menschen gefunden: "Wie heißt sie denn?" Und Abblende.
Auch wenn dieser Film keine so schönen Zitate beinhaltet wie "Bereit, wenn
sie es sind" oder "Die Welt ist interessanter mit ihnen darin" ist er doch
einer der besten Filme dieses Jahres. Produziert wird er übrigens von Dino
De Laurentiis, der auch "Manhunter" produzierte.
Fazit: Dem Film das Prädikat "genial" zu geben, traue ich mich nicht ganz.
Auf jeden Fall ist er ein absolut würdiger Wegbereiter für das "Schweigen
der Lämmer", der Geist und Genialität des Romanes eindrucksvoll umsetzt und
"Manhunter" um Längen schlägt.
(Ach ja: Für Fehlersuchende gibt es auch etwas, an einer Stelle kann man
nämlich kurz ein Mikro über Edward Nortons Kopf baumeln sehen.)