In elf Filmen von je 11 Minuten, 9 Sekunden „und einem Bild“ Dauer setzen sich unterschiedlichste Regisseure aus Europa, Asien, Afrika und Nordamerika mit dem letztjährigen Attentat auf das World Trade Center auseinander. Die meisten Beiträge sind durchaus gelungen, alle sind interessant.
Nicht nur geht es um Politik, Religion und Geldgier, auch um Hoffnung und Liebe, und statt überbordendem Hurra-Patriotismus und Heuchelei, wie man es etwa aus den US-amerikanischen Comic-Anthologien zum Thema kennt, wird hier Amerika meist kritisch dargestellt, aber nun einige Einzelimpressionen …
Samira Makhmalbaf ("Schwarze Tafeln") zeigt uns eine afghanische Lehrerin, die im iranischen Exil versucht, ihren halbwüchsigen Schülern, die selbst mit dem Begriff „Turm“ wenig anfangen können, die Dimensionen des Ereignisses und die drohende Gefahr klarzumachen. Ihre Schweigeminute scheitert, weil die Schüler sich liebr darüber streiten, ob Gott Menschen zerstören würde, nur damit er neue erschaffen kann. Und daß der Vater eines Schulkameraden beim Bergen einer Leiche in den Brunnen fiel und sich ein Bein brach, ist für die Kleinen sehr viel spektakulärer.
Der Franzose Claude Lelouch zeigt uns eine taubstumme Französin in New York, die ihrem Lover am Morgen des 11. 9. 01 einen Abschiedsbrief schreibt, während jener zum World Trade Center unterwegs ist. Diese Episode ist größtenteils den Sinneserfahrungen der Frau nachempfunden, die nur eine Chance für ihre Liebe sieht, wenn ein Wunder geschieht …
Samira Makhmalbaf, Afghanistan
Amos Gitai, Tel Aviv
Idrissa
Ouedraogo, Burkina Faso
Ken
Loach, Chilene in London
claude lelouch, taubstumme
französin in new york
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Dem Ägypter Youssef Chahine mache ich weder seine fragwürdige politische Aussage oder seine Geistergeschichte zum Vorwurf, sondern seine selbstverliebte Eigendarstellung.
Danis Tanovic aus Bosnien-Herzegovina ("No Man's Land") ist einer derjenigen Regisseure, die Parallelen zu andern Daten sehen, hierbei aber nicht einem 11. September, sondern dem 11. Juli 1995. Zum Gedenken der Ereignisse in ihrer Heimatstadt Srebrenica wollen die Frauen wie jeden Monat demonstrieren gehen, als sie vom Anschlag erfahren …
In Burkina Faso (Idrissa Ouedraogo) entdeckt ein Junge, dessen Mutter nicht die nötige medizinische Versorgung bekommt, Osama Bin Laden auf dem Marktplatz, und überredet seine vier Schulfreunde, gemeinsam die 250 Millionen Dollar Kopfgeld zu verdienen. Eine wirklich witzige Geschichte, die das Augenmerk auf andere Probleme lenkt.
Ähnliches probiert auch Ken Loach, der einen in London lebenden Chilenen an die amerikanischen Hinterbliebenen der Opfer einen Brief schreiben lässt. Hierbei ist insbesondere interessant, wie Loach die Rede von George W. Bush jr. in einen Kontext zum Chile-Putsch 1973 (der nur ein Beispiel unter vielen für Amerika als Agressor ist) setzt (auch an einem Dienstag, den 11. September).
Der Mexikaner Alejandro Gonzáles Inárritu ("Amores Perros") verzichtet in seinen elf Minuten fast gänzlich auf Bilder. Zunächst wird die schwarze Leinwand nur spärlich von Nachrichtenbildern der aus den Türmen springenden Menschen unterbrochen, gegen Ende gibt es dann eine Steigerung. Ein formal interessantes Experiment, das durch die Geräusche und musikalische Untermalung eine bemerkenswerte Dynamik erreicht, und mit dem Schlußsatz mehr sagt als eine Stunde CNN.
Amos Gitaï ("Kadosh") zeigt in einer beeindruckenden Plansequenz, wie ein Bombenanschlag in Tel Aviv vom Schatten der bedeutenderen Ereignisse in New York verschluckt wird, was insbesondere eine Reporterin, die in der Nähe einen Flohmarkt dokumentierte, und die nun ihre große Chance wittert, verzweifeln läßt. Wie der vorherige Film ein interessanter Hinweis auf die zweifelhafte Rolle der Medien.
Mira Nair ("Monsoon Wedding") berichtet von der (auf einer wahren Begebenheit basierenden) Geschichte einer aus Pakistan stammenden Familie, deren Sohn seit dem Anschlag verschwunden ist, was sie ins Visier der Terroristenfahndung bringt. Trotz einiger tiefsitzender Spitzen einer der versöhnlichsten Beiträge, was die Kritik an der amerikanischen Öffentlichkeit angeht.
Sean Penn ("The Pledge"), der das zweifelhafte Vergnügen hat, als einziger US-Bürger einen Film beizutragen, überrascht durch die ebenso symbolisch-poetische wie politisch unkorrekte Geschichte eines Witwers (Ernest Borgine), der im Schatten der Twin Towers neue Hoffnung und fast gleichzeitig ernüchternde Einsicht erfährt. Viel schönere Bilder kann man aus diesem Ereignis wohl nicht abstrahieren, doch nicht jeder Zuschauer wird sich an den Farben und dem Einsatz von filmischen Mitteln erfreuen …
Der japanische Altmeister Shohei Imamura ("Black Rain") lässt sich bis zum letzten Satz Zeit, eine greifbare Parallele zum Ausgangspunkt zu ziehen. Er zeigt einen Soldat, der sich nach seiner Rückkehr aus dem zweiten Weltkrieg wie eine Schlange gebärdet. Das einzige Lob, das ihm dieses Verhalten einbringt, ist der Kommentar seiner Schwiegermutter: „Er kriecht schon ziemlich gut".
Keiner der Filme will mehr als nur eine Facette des Ereignisses reflektieren, und es ist wohltuend, daß hier keine Helden hochstilisiert und Opfer beweint werden, sondern das Leben weitergeht. Und inwiefern die Nation der damaligen Opfer sich inzwischen schon wieder anderweitig in die Schlagzeilen bringt, hat sicher einige der Regisseure beeinflußt.