Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

Februar 2003
Thomas Vorwerk
für satt.org

Ararat
Kanada 2002
Ararat-Plakat
Internationale Filmfestspiele Berlin

Ararat

Buch und Regie: Atom Egoyan; Kamera: Paul Sarossy, Schnitt: Susan Shipton; Musik: Mychael Danna; Darsteller: David Alpay (Raffi), Charles Aznavour (Edward Saroyan), Arsinée Khanjian (Ani), Christopher Plummer (David), Marie-Josée Croze (Celia), Eric Bogosian (Rouben), Brent Carver (Philip), Bruce Greenwood (Martin/Ussher), Elias Koteas (Ali/Jevdet Bay), Simon Abkarian (Arshile Gorky)


Atom Egoyan
Atom Egoyan

Atom Egoyans wohl bisher persönlichster Film lief bereits außer Konkurrenz 2002 in Cannes, was noch zusätzlich vereitelt, was Egoyans Posten als Jury-Präsident unmöglich macht: Daß dieser ebenso intelligente, kunstvolle und politische Film irgendwo einen Hauptpreis bekommt.

Das Drehbuch verbindet auf unnachahmliche Weise die Bemühungen vierer Generationen, den Völkermord an den Armeniern während des ersten Weltkriegs zu verarbeiten.

Der (real existierende) armenische Maler Arshile Gorky verarbeitet seine Erinnerung an seine dabei gestorbene Mutter in seinem bedeutendsten Gemälde.

Der berühmte (erfundene) armenische Regisseur Edward Saroyan dreht einen epischen Film über das Schicksal eines von den Türken umzingelten Dorfes, dessen Schicksal von der Unterzeichnung eines Schriftstücks abhängt.



Ararat (R: Atom Egoyan)


Ararat (R: Atom Egoyan)


Ararat (R: Atom Egoyan)


Ararat (R: Atom Egoyan)


Ararat (R: Atom Egoyan)

Ani ist eine Kunsthistorikerin, die sich auf Arshile Gorky spezialisiert hat (ihre Einsichten basieren auf einem existierenden wissenschaftlichen Werk), und die deshalb als Consultant bei Saroyans Film "Ararat" mitarbeitet, der auch den jungen Gorky in seine Geschichte einarbeiten soll.

Anis Sohn Raffi bekommt dadurch auch einen Job bei den Filmarbeiten und besucht auf eigene Faust die realen Orte des damaligen Geschehens, um mit seiner Videokamera seine Version der armenischen Geschichte einzufangen.

Jetzt wird es kompliziert (aber nicht im Film, nur bei der Nacherzählung): Raffi landet bei einem Zollbeamten, der kurz vorm Ruhestand ist, der bezweifelt, ob in den Filmschachteln hochempfindliches Filmmaterial ist, weil Raffis Freundin für Drogenhandel bekannt ist. Ferner ist Raffis Freundin Anis Stieftochter, die Raffis Mutter für den Tod ihres Vaters verantwortlich macht, und Ani deshalb hasst und immer wieder bei Lesungen provoziert. Der Sohn des Zollbeamten David ist schwul, und dessen Freund Ali, ein Türke, spielt beim Film im Film "Ararat" die Rolle des türkischen Bösewichts. Im Untersuchungsgespräch kommen viele Wahrheiten, aber auch unterschiedliche und sich widersprechende Versionen der Wahrheit ans Licht. Manches bleibt aber auch im Dunkeln.

Egoyan, in Kairo geboren, in Kanada lebend, ist ebenso wie seine Darsteller Eric Bogosian ("Talk Radio") und Charles Aznavour armenischer Abstammung. Sein Versuch, gleichzeitig den Völkermord an den Armenien historisch nachzuzeichnen, und die Erfahrungen und Ansichten unterschiedlicher Generationen darzustellen, ist kein Propaganda-Film, denn sogar der Standpunkt des türkischen Schauspielers Ali wird verständlich. Wie die Geschichte Details vergisst und die Gegenwart mitunter falsche Interpretationen bevorzugt, sind seine Themen. Doch dabei gerät "Ararat" nicht zu einem politischen Lehrstück, sondern zu einem Film, der trotz seiner postmodernen Struktur auch unterhält und unterschiedlichste Charaktere, Gefühle und Facetten der "Wahrheit" nahebringt.

Eine der schönsten Nachrichten im Umfeld der Pressevorführung war es, daß ein türkischer Verleiher sich bereit erklärte, den Film in der Türkei, wo man den Völkermord an den Armeniern zumeist totschweigt, herauszubringen. Das ist fast noch besser als ein Filmpreis, auch wenn es sicher Probleme geben wird. Egoyan, der bei der Realisierung dieses Projekts mehr Schwierigkeiten hatte, als er zunächst antizipierte, will seinen Film auch dort persönlich vorstellen.