Panorama
Comandante
Oliver Stone ist bekannt für seine politisch motivierten Darstellungen der amerikanischen Wirklichkeit und Geschichte wie "Platoon", "Born on the Fourth of July" oder "Nixon". Dabei nervt er manchmal durch die Unverhältnismäßigkeit seiner Mittel oder durch seine fragwürdigen Botschaften (insbesondere in "Natural Born Killers" und "JFK"). Nachdem Stones letzten Filme erfreulich entspannend waren "U-Turn", "Any given Sunday") und er zur Abwechslung mal versuchte, Geschichten zu erzählen statt seine politische Reden im Breitwandformat aufzunehmen, war ich zumindest interessiert, wie er sich bei seinem Dokumentarfilm über Fidel Castro anstellen würde.
Mit einer kleinen Crew traf er sich für drei Tage mit dem kubanischen Diktator/Führer und fragte ihn über dessen politische Geschichte ebenso aus wie über sein Liebesleben ("Ahem, darüber möchte ich nicht sprechen …") oder seine Rezeption US-amerikanischer Filme wie "Gladiator" oder "Titanic" ("I've seen it on video tape"). Stones erklärtes Ziel war es, die Person Castro zum Mittelpunkt seines Films zu machen, wobei ihn die politische Bedeutung Castros nicht immer interessieren sollte. Abgesehen davon, daß das Oliver Stone kein Mensch glaubt, ist es dann durchaus seltsam, was für blödsinnige Fragen er an den "Comandante" stellt. Selbst Thomas Gottschalk hätte vielleicht interessantere Fragen zu stellen gehabt, aber das ist gar nicht der größte Vorwurf an den Film, auch nicht die nervige Doppelübersetzung durch Castros langjährige Übersetzerin und die genauere untertitelte Übertragung seiner Worte. Nein, was den Film zu einem wirklichen Ärgernis macht, ist die für Stone typische Art und Weise der Inszenierung. Während Kameramann Rodriego Prieto offenbar den Auftrag hatte, ähnlich farbintensive Bilder wie Robby Mueller bei "Buena Vista Social Club" zu erstellen, geht die Anlehnung an dieses Vorbild sogar so weit, daß völlig unpassend der gesamte Film mit einer Musikspur übertüncht ist. Und weil es Stone offenbar nicht reichte, den Menschen Castro in seiner wirklich schmucken grünen Lederjacke zu zeigen, schneidet er ins Interview allerlei unkommentiertes Archivmaterial ein, daß die Worte des Kubaners unterstreichen und visualisieren soll. Abgesehen davon, daß das für einen Dokumentarfilm immens undokumentarisch wirkt und fast die unerträgliche Art und Weise, wie "JFK" unterschiedlichst entstandene Materialien verband, heraufbeschwört, hat man auch den Eindruck, daß Stone seinem Publikum eine typisch amerikanisch unreflektierte Unwissenheit unterstellt. Wie in einem von Oliver Stone persönlich geschriebenen Geschichtsbuch wird vieles wie in Stein gemeißelt dargestellt, was nicht nur Castro sicher anders interpretiert hätte.
Alles in allem handelt es sich bei "Comandante" um einen unaufhörlichen Bild- und Tonbrei, der viel mehr über Oliver Stone als über Fidel Castro sagt.