Pinocchio
Die Schwäche dieses Films, die man vielleicht auch als Stärke interpretieren könnte, ist allgemein bekannt: Die ungehörige Holzpuppe wird vom 50jährigen Roberto Benigni gespielt. Ist Benigni nach seinem Oscar für "La vita e bella" nun endgültig größenwahnsinnig geworden? Er schrieb, produzierte und inszenierte den Film, spielte die Titelrolle und singt zum Abspann auch noch einen selbstkomponierten Song, und somit steht und fällt der Film natürlich mit diesem überdrehten Tausendsassa. Ich persönlich brauchte als Zuschauer etwa fünfzehn Minuten, bis ich mich damit abgefunden/daran gewöhnt hatte, daß Pinocchio nicht nur um einiges älter als normal aussieht, sondern sein Status als Holzpuppe sich auch fast ausschließlich über sein Bajazzokostüm definierte.
Erst vor einigen Jahren bewies man uns ja, daß man eine Holzpuppe mithilfe moderner Computertechnologie auf der Leinwand zum Leben erwecken kann. Benigni jedoch wählt einen seltsamen Mittelweg zwischen Hi-Tech und Fantasie. Da gibt es einerseits Computermäuse, die weiße Kutschen ziehen oder einen riesigen Haifisch, der Spielbergs "Bruce" kümmerlich erscheinen lässt, und gleich zu Beginn des Films können wir miterleben, wie Pinocchio bereits vor seiner "Geburt", noch als ungestalter Holzstamm, den ganzen Ort auf den Kopf stellt, wenn er scheinbar unkontrolliert (aber per Mausklick auf die Reise geschickt) durch die Gassen springt und die Tomaten auf dem Gemüsewagen mit den Nasen einiger Gesetzeshütern auf Tuchfühlung bringt. Wenn Gepetto aber diesen Holzstamm dann bearbeitet, sieht man das Werkstück aufgrund der sehr beschränkten Kameraeinstellungen nie, nur der Tischler erlebt, wie der zu allem Übel auch noch sprechenden Stamm zum bereits mit seinem Blümchen-Bajazzo bekleideten Benigni wird. Dieser hat es aber zugegebenermaßen auch drauf wie kaum ein zweiter, sich wie ein unbelehrbarer Holzkopf und Esel zu benehmen. Anarchisch und wie auf Ecstasy springt er seinem Vater davon und schon bald landen erneut Tomaten in den Gesichtern der Gendarmen.
Zwei weitere Beispiel für den Mittelweg zwischen "alles zeigen" und "nichts zeigen" sind der Pudel Medoro, der nur eine pudelmäßige Frisur und am Rechner veränderte Nasenlöcher hat … und natürlich die sprechende Grille. Ein ganz gewöhnlicher (aber hervorragend agierender) Schauspieler bekommt zwei Fühler auf die Glatze und sieht somit natürlich nicht annähernd wie eine Grille aus. Da er aber durch CGI-Tricks genausoklein ist wie ein Insekt, ebensoweit spingen kann und auch seine Umwelt auf ihn "reagiert" (besonders schön bei der Szene im Wald, wo die umherspringende Grille allenthalben Äste in Bewegung bringt), kann er als Grille sehr viel mehr überzeugen als beispielsweise Julia Roberts als Tinker Bell in "Hook", die man fast ausschließlich in "Groß"aufnahmen sah.
Der "erfolgreichster italienischer Film aller Zeiten" hält sich teilweise sehr genau an die literarische Vorlage, den 1881/82 erstmals als Fortsetzung erschienenen Kinderbuchklassiker "Le avventura de Pinocchio" von Carlo Collodi. Zwar werden auch bei Benigni keine Gliedmaßen und Ohren abgebissen, und die Grille klebt nicht zerquetscht an der Wand, aber im Gegensatz etwa zur von mir innig geliebten Disney-Version gibt es hier immerhin auch mal eine Sterbeszene. Für ein kindliches Publikum (frei ab 6) ist der Film manchmal etwas starker Tobak, aber diese Stellen stammen allesamt aus dem Buch. Der Riesenhai ist schon ziemlich greulich und auch die vier dunklen Kaninchen, die bereits mit ihrem Sarg auf den seine Medizin verschmähenden Pinocchio lauern, könnten das nächste Osterfest zu einem Alptraum umfunktionieren.
Wer weder den italienischen Komiker noch die Geschichte von dem hölzernen Lausbuben mag, hat auch keinen Grund, ins Kino zu gehen. Fans der Holzpuppe, die auch Benigni mögen, werden hingegen definitiv zufriedengestellt, stellenweise sogar verzaubert.