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Juni 2003
Thomas Vorwerk
für satt.org

Giraffen
Girafot

Israel 2001

Buch
und Regie:
Tzahi Grad

Kamera:
Giora Bich

Schnitt:
Joel Alexis, Shimon Spektor

Darsteller:
Tinkerbell (Abigail), Meital Dohan (Efrat), Liat Glick (Dafna), Micha Selektar (Avner Fooks), Gal Zeid (Danny), Elisheva Michaeli (Ms Zamir)

Giraffen
Girafot


Zur Eingangssequenz dieses Films gibt es eine Parallele im aktuellen Filmprogramm, auch wenn offensichtlich ist, daß keiner dieser Filme den anderen beeinflußt hat:

Eine rasante nächtliche Verfolgungsjagd, mit Waffengewalt wird einer jungen Frau in einem mehrstöckigen Haus nachgestellt, schließlich flieht/springt/fällt sie in den sicheren Tod. Giraffen (Girafot) (R: Tzahi Grad)

Doch wie bei "The Matrix Reloaded" muß man sich hier vorsehen, was die Realitätsebenen angeht, und auch hier sieht das Drehbuch noch eine zweite Chance vor. Und am eklatantesten: Hier sind die Spezialeffekte noch schlechter, und bei "Girafot" war dies der Grund, warum der Film lange Zeit für mich nicht "funktionierte" (Bei "TMR" gab es dafür weitaus mehr Gründe …), denn auch wenn es sich bei "Girafot" um den Erstlingsfilm des bisher nur als Schauspieler tätigen Tzahi Grad handelt, konnte ich es mir einfach nicht erklären, wie man es dermaßen offensichtlich machen konnte, daß hier eine Stuntwoman an einem Seil (sehr gut an ihrem Fuß zu erkennen) aus dem zweiten Stock springt, während die Kamera ihr qüalend langsam folgt, um dann den Blick auf eine bereits plakativ auf dem Boden verteilte "Gefallene" zu werfen.

Der Film beginnt dann neu, und wir können verfolgen, wie es dazu kommen konnte, daß die Frau mit den blauen Schuhen (genau erkennen konnten wir sie bisher nicht) in diese Lage kam.

Und nun erzählt der Film eine ganz andere Geschichte, über Zufälle, Beziehungen und Missgeschicke: Drei junge Frauen wohnen im selben Haus in Tel Aviv und üben kreative Jobs aus. Nein, streng genommen stimmt das noch nicht, denn zu diesem Zeitpunkt des Films ist Efrat noch als Sekretärin tätig. Sie ist aufgeregt, denn sie hat ein Blind Date mit dem Rechtsanwalt Avner. Noch im Treppenhaus fragt sie ihre Nachbarin Dafna, wie sie ihr Haar tragen soll. Dafna hat auch eine Verabredung: Für eine kleine Rolle soll die Schauspielerin abgeholt werden. Doch schließlich kommt es so, daß die Journalistin Abigail zu den Dreharbeiten gebracht wird, während Dafna sich darüber wundert, daß ihr Chaffeur (der Rechtsanwalt) sich seltsam benimmt, und Efrat irrt unabgeholt durch die Stadt, bis sie im Wagen eines älteren Taxifahrers landet, der dann auf mysteriöse Weise stirbt.

Der Tod des Taxifahrers ist die zweite "Action"-Szene des Films und auch hier gibt es inszenatorische Schwächen, die aber dadurch begründet werden, daß Efrat selbst nicht genau weiß, was eigentlich passiert: Der Taxifahrer war kurz ausgestiegen, Efrat schläft ein und wird durch das energische Klingeln eines Schlüsselbundes vor ihrem Gesicht geweckt. Der Taxifahrer bittet sie loszufahren und steigt währenddessen hinten ein. Doch bevor Efrat losfahren kann, taucht am Fahrerfenster ein schrecklicher Mann mit noch schrecklicheren Zähnen auf, der sie auch noch mit einem Messer verletzt. Efrat fährt los, zunächst fälschlicherweise im Rückwärtsgang, dann nach vorne, und schließlich ist der Messer-Mann wieder verschwunden (war er überhaupt dagewesen?) und sie steltt fest, daß sie zweimal über den Taxifahrer gefahren ist, was insbesondere durch die (selten blöden) Reifenspuren auf seiner weißen Hose visualisiert wird.

Nun habe ich die beiden nicht völlig gelungenen Szenen des Films detailliert beschrieben, doch der Rest des Films ist durchaus ansprechend, darstellerisch und inszenatorisch subtil bis gewieft, und mit einem verdammt gut konstruierten Drehbuch:

Efrat flieht und taucht auf dem Lande unter, wo sie ihre Berufung als Künstlerin entdeckt. Das "Mädchen auf der Flucht" wird ihr Markenzeichen, ihr Künstlername ist "Eve", aber sie ist eine anonoyme Künstlerin, die sich von ihrer älteren Vermieterin Ms Zamir vertreten lässt. Dafna ist inzwischen mit dem Rechtsanwalt zusammen und versteht sich auch gut mit Abigail, die schließlich dafür sorgt, daß Efrat "ihren" Rechtsanwalt doch noch kennenlernt, zwar rein geschäftlich, denn Efrat ist nicht zufrieden mit ihrer Lage, doch interessanterweise ist auch dieses Treffen eine Art "Blind Date" …

Fünf Hauptfiguren (ein Polizist, der den Mord an dem Taxifahrer klären soll, gehört auch noch dazu) werden vom Buch in eine Art Reigen geschickt, der sich immer mehr verengt und verdichtet, bis wir schließlich wieder bei der Verfolgungsjagd vom Anfang sind. Doch wer hier wen verfolgt, wer die blauen Schuhe trägt, werde ich natürlich nicht verraten.

Insbesondere die drei weiblichen Darstellerinnen überzeugen, aber am interessantesten ist es, mitanzuschauen, wie sich die Handlung entwickelt, wie sich unsere fünf Hauptfiguren immer wieder über den Weg laufen und dabei ihre Rollen verändern. "Girafot" hat Elemente eines Kriminalfilms, doch wichtiger sind die Frauenfreundschaften (nicht umsonst sieht man mal "Thelma and Louise" im Fernsehen laufen …) und die drei starken Frauen, die keineswegs austauschbar sind, wie uns das Drehbuch am Anfang glauben machen will, sondern die ganz eigenwillig auf ihre Situationen reagieren und dadurch dem Film seine Dynamik geben.