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Juni 2003
Thomas Vorwerk
für satt.org

September
D 2003

September (R: Max Färberböck)

Regie:
Max Färberböck

Buch:
Max Färberböck, John von Düffel, Sarah Khan, Matthias Pacht, Moritz Rinke, Maria Scheibelhofer

Kamera:
Carl Koschnick

Schnitt:
Ewa J. Lind, Dario Marianelli

Darsteller:
Nina Proll (Lena), Catharina Schuchmann (Julia Scholz), Justus von Dohnányi (Philipp Scholz), Jörg Schüttauf (Helmer), Moritz Rinke (Felix Baumberger), Sólveig Arnarsdóttir (Susanne), Stefanie Stappenbeck (Natascha), René Ifrah (Ashraf), Anja Kling (Sandra)

Kinostart:
26. Juni 2003

September




September (R: Max Färberböck)



September (R: Max Färberböck)

Nachdem Max Färberböck bei "Aimee und Jaguar" eine ungewöhnliche, aber alltägliche Liebesgeschichte vor einem historischen Hintergrund beschrieb, machte er sich kurz nach den Anschlägen auf das World Trade Center daran, einen Film darüber zu drehen, wie dieses Ereignis das Leben einiger Personen veränderte. Der Regisseur gibt hierzu an, daß das Ganze von vornherein als Experiment geplant war, daß er durch mehrere, zumeist literarische Autoren, dem entgegen wirken wollte, daß das Ergebnis zu glatt oder filmisch aufbereitet erscheinen könne. Statt eines konventionell-dramaturgischen Konzepts mit der üblichen Harmonisierung solle der Film das Chaos abbilden, in dem wir uns damals alle befanden.

Dies ist teilweise auch gelungen, doch sicher nicht in der Art, wie es beabsichtigt war. Die ersten Minuten des Films ziehen den Zuschauer durch ein grelles filmisches Desaster, bei dem man eigentlich jederzeit mit dem Donnerknall, der einem das Trommelfell durchsticht, oder dem Lichtblitz, der einem die Pupillen verbrennt, rechnet.

Stattdessen sieht man einige der Bilder, die wir alle kennen, und die Reaktionen der vier Filmpaare (die neunte Hauptfigur ist eine Nachrichtensprecherin). Helmer wundert sich, daß seine Geschäftsverabredung nicht kommt, Julia versucht, den Kindergeburtstag zu retten, und Ashraf freut sich, daß sein Pizzadienst aufgrund des Verharrens Tausender vor den Bildschirmen Rekordumsätze macht.

Danach sollen sich die Geschichten eigentlich unabhängig voneinander entwickeln, doch es ist schon recht auffällig, wie die Männer immer in die Täterrollen gedrängt werden, sich mehr für Umsätze, Schlagzeilen oder Heldentaten als um Emotionen kümmern und man eine ähnliche Zukunft schon bei deren unverstandenen Söhnen befürchten muss. Die Frauen hingegen sind ganz Gefühl, in der Opferrolle oder damit beschäftigt, das normale Leben aufrecht zu erhalten. Drei der vier Männer sind einfach unerträglich, der vierte, ein Journalist, der ebenfalls den Bezug zur Realität verloren hat, ist immerhin noch amüsant, wie er das Büro seines Redakteurs aufmischt oder nach Inspiration durch seine sexuell vernachlässigte Muse neue Geistesblitze auf dem Papier bündelt, nur um sie dann nach ihrer Meinung zu fragen und zu erfahren, daß sie seine Zeilen zu "ejakulativ" findet.

Es wäre interessant, herauszufinden, inwieweit Moritz Rinke, der den Journalisten spielt, sich diese Rolle selbst auf den Leib geschrieben hat ("Sie Germanist!" … "Sie Bündnispartner!"), denn er gehört auch zu den sechs Autoren, die aus unterschiedlichen Gründen für das Projekt geeignet zu sein schienen: John von Düffel promovierte über Erkenntnistheorie, Sarah Khan ist Filmkritikerin und Tochter eines pakistanischen Teppichhändlers, und von Matthias Pacht überzeugte mich schon "Mein Bruder der Vampir" nicht besonders. Und all dies merkt man dem Film auch an, doch die Schuld liegt nicht bei den Autoren, sondern beim Regisseur, der bei der Suche nach dem "Chaos" offensichtlich übersah, daß unzählige Regisseure beim Episodenfilm "11'09''01 - September 11" durchaus in der Lage waren, in 11 Minuten wichtigeres als Färberböck zu sagen, sie sich aber vor allem nicht in einem Brei der filmischen Überwältigungsversuche verloren, der seine "Neues aus Uhlenbusch"-Musik abwechselnd mit Hubschrauber-Geräuschen und Basarmusik unterlegt und dabei glaubt, etwas Multikulturelles erschaffen zu haben. (Dieser Kommentar beschränkt sich nicht auf den Soundtrack, sondern fasst den gesamten Film gut zusammen.)