Robert Blanchet:
Blockbuster
Ästhetik, Ökonomie und Geschichte des postklassischen Hollywoodkinos
Kaum zu glauben, aber wahr! Bei diesem Buch mit dem reißerischen Titel handelt es sich nicht um einen weiteren halbgaren Versuch, über einen kleinsten gemeinsamen Nenner Filminteressierte aller Couleur von ihrem Ersparten zu trennen, sondern um einen ernstzunehmenden wissenschaftlichen Rundumschlag, der filmwissenschaftliche, publizistische und sogar technologische Fragen fachmännisch erörtert.
Der Untertitel "Ästhetik, Ökonomie und Geschichte des Postklassischen Hollywoodkinos" klingt auch schon viel akademischer, und spätestens bei der Inhaltsangabe kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, es vielleicht mit einer Doktorarbeit zu tun zu haben. Doch der Autor, ein Wiener Medienwissenschaftler, weiß trotz aller fundierten und akkurat zusammengetragenen Informationen auch noch mit seinem Text zu unterhalten und bietet für jeden Geschmack etwas.
So erklärt er im ersten Teil "Ästhetik" besser, als ich es je erfahren habe, was es mit den neoformalistischen Begriffen Syuzhet, Fabula und Style auf sich hat, mit denen David Bordwell theoriescheue Filmwissenschaftler seit Jahrzehnten quält. Blanchet untersucht, ob die narrativen Prinzipien des klassischen Hollywoodkinos auch heute noch gelten, und bedient sich dabei Filmbeispielen wie "Twister", die gerade den Puristen unter uns klarmachen, das selbst die weniger subtilen/talentierten Geschichtenerzähler immer wieder unbewußt zu den alten Strukturen zurückfinden.
Im zweiten Teil "Ökonomie" erfahren wir, auf welche Weise die Filmbonzen und Schlipsträger à la Griffin Mill Projekte aushecken, wie das amerikanische Distributionssystem funktioniert und wer eigentlich wieviel vom Geld für das Kinoticket bekommt. Oder wie lange es vom Kinostart zur "Free-TV"-Ausstrahlung dauert. Interessant auch, wie es dazu kam, daß es heutzutage immer weniger Filme mittlerer Produktionskosten gibt, wie sie etwa in den 80ern "die Butter auf dem Brot" [eigene Formulierung] des Filmfreundes ausmachten.
Im dritten und umfangreichsten Teil "Geschichte" schließlich wird nicht nur die Historie der Blockbuster von den berühmt-berüchtigten "Paramount Decrees" über "The Sound of Music" und "Easy Rider", die Klassiker des New Hollywood wie "Jaws" bis hin zu den heutigen Bruckheimer-Produktionen oder "Harry Potter" vorgeführt, sondern auch die Entwicklung technologischer Neuerungen wie CGI oder Dolby Surround nachgezeichnet, und schließlich erörtert Blanchet sogar den Trend zur Selbstreferentialität und die "Postmoderne light" [eigene Formulierung], wie man sie aus intertextuellen Filmen wie denen von Baz Luhrmann kennt.
Besonders positiv fällt auf, daß im Text überdurchschnittlich wenige Fehler den Lesefluß stören (zwischendurch gibt es mal einen lektoralen Hänger und das Inhaltsverzeichnis muß jemand geschrieben haben, der nicht zählen kann, aber das verzeihe ich gern) und daß der Autor offensichtlich das seltene Talent besitzt, auch einen großen Themenkomplex umfassend und geordnet abzuhandeln, ohne daß die abschreckende "2.1.1.3"-Struktur des Werkes bei der Lektüre die erwarteten Ermüdungserscheinungen auftreten lässt. Ganz im Gegenteil, "Blockbuster" ist das überzeugendste und anregendste Werk (auch in Bezug auf eigene wissenschaftliche Arbeiten), das ich in diesem Jahrtausend bisher gelesen habe (das entzückende Ballhaus-Interview-Buch nicht mitgezählt).