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September 2003
Thomas Vorwerk
für satt.org

Empathy
USA 2003

Empathy (R: Amie Siegel)

Regie, Buch, Produzentin, Schnitt:
Amie Siegel

Kamera, Koproduzent:
Mark Rance

Musik:
Steve Ford

Darsteller:
Gigi Buffington, Dr. David Solomon

Kinostart:
11. September 2003

Empathy


Der deutschlandweit nur mit zwei Kopien startende Film aus dem diesjährigen Forumsprogramm der Berlinale läuft in Berlin nur im "Kino in der Brotfabrik". Am Freitag, den 12. September 2003, wird die Regisseurin bei der Vorführung um 20 Uhr zugegen sein, und im Gespräch vielleicht noch einige Rätsel lösen, die dieser Films über die Psychoanalyse aufgibt.

Caveat: "Empathy" gehört zu den Filmen, denen man in einer Kritik nur gerecht werden kann, wenn man riskiert, dem Zuschauer einen Teil des Spaßes der Erkundung des Films zu entreißen. Ich will versuchen, die Geheimnisse des Films langsam und behutsam auszuplaudern, wer den Film jedoch in seiner vollen Kraft erleben will, hört am besten schon an dieser Stelle auf, diese Rezension zu lesen …

In Interviews mit praktizierenden Psychoanalytikern erkundet die Regisseurin die Situation zwischen dem Therapeuten und seinem Patienten. Inwiefern ist so eine Arzt-Patient-Beziehung ehrlicher als eine andere Beziehung zwischen zwei Menschen, inwiefern ähnelt sie anderen Situationen, bei denen eine Person für Dienste einer anderen Geld bezahlt, einem Friseurbesuch oder dem bei einer Prostituierten? Ist die Situation des Analytikers nicht auch eine zutiefst voyeuristische, und ähnelt er dadurch nicht dem Kinozuschauer, vor dessen Augen sich langsam ein Narrativ entfaltet, nur daß hier derjenige, der interpretiert, zu bezahlen hat?



Empathy (R: Amie Siegel)




Empathy (R: Amie Siegel)

Der Film "Empathy" öffnet sich seinem Betrachter nur ganz langsam. Wie der Patient in einer Analyse-Situation behält er erst einiges für sich, der Film tut zunächst so, als hätte er "eine ganz normale Kindheit" gehabt, als wäre er ein herkömmlicher Dokumentarfilm, der aus Interviews besteht. Doch schon im allerersten Interview offenbart etwa die Interviewerin/Regisseurin, daß sie kein Problem damit hat, ihre Gesprächspartner zu belügen, um dem Zuschauer womöglich "tiefere" Einblicke in die Psyche des Psychiaters zu verschaffen. Später wird sie die Analytiker fragen, ob sie ihre Patienten auch mal belügen, und kaum einer wird es zugeben, genau wie die Regisseurin zu Beginn.

Dann sind wir als Zuschauer bei einer Therapiesitzung dabei, und es wird recht schnell offensichtlich, daß das Material nicht vollständig dokumentarisch ist. Schon die Ausleuchtung und Kameraführung machen klar, daß es sich um eine gespielte Szene handelt. Der Film macht uns weiterhin etwas vor, wir müssen seine Lügen durchschauen, um ihm auf den Grund zu gehen, und dadurch werden wir zum Analytiker. Die "Kindheit" des Films im freudianischen Sinne, seine Entstehungsgeschichte, erschließt sich erst langsam, im Verlauf des Films erleben wir etwa mit, wie Schauspielerinnen bei einem Casting für die Rolle der Patientin Lia gefilmt wurden, der Voyeurismus geht sogar soweit, daß wir Aufnahmen einer Überwachungskamera sehen oder unser Kameramann durch einen Türspion eine der Frauen beobachtet.

Doch "Empathy" begnügt sich nicht damit, seiner eigenen Entstehungsgeschichte auf den Grund zu gehen, in späteren "Sitzungen" baut er auch auf seiner Prämisse auf und untergräbt dabei immer stärker das Genre des Dokumentarfilms mit seiner vermeintlichen Wahrheitsdarstellung. Computeranimationen geben uns eine weitere "Realität", und die Geschichte der Psychoanalyse wird mit der der modernistischen Architektur verglichen. In dieser Form der Architektur, in der Psychoanalyse, beim Phänomen der Geburt und auch im Film "Empathy" (und seiner Geburt) verschwimmen die Grenzen zwischen innen und außen, zwischen der Wahrnehmung und Realität, teilweise wird es dem Betrachter absichtlich schwer gemacht, diese Grenzen zu erkennen. Dann taucht auch noch "unsere" Patientin Lia, deren Name als Schauspielerin wir schon in einem Interview zu erfahren geglaubt haben, in einer der Computeranimationen auf, von denen wir zuerst annehmen, es ginge allein um die Innenausstattung eines Analysezimmers, bis wir auch die Außenwelt wahrnehmen.

Und wenn es dann ganz herkömmliche Dokumentarfilmsequenzen gibt, bei denen aber unsere Hauptdarstellerin den Off-Kommentar spricht (und wir sie dabei auch in einem Aufnahmestudio beobachten), dann wird wieder eine Grenze überschritten, und im Endeffekt erkennen wir, daß wir nie eine Chance hatten, unserem Patienten (dem Film) auf den Grund zu gehen. Aber die besondere Situation des gegenseitigen Vertrauens zwischen Film und Zuschauer, das sich langsam aufbaut und eine Beziehung schafft, wie sie nur in den wenigsten Filmen zustande kommt, macht aus "Empathy" eine Therapiesitzung, für die wir gerne das verhältnismäßig geringe Entgelt entrichten. Und falls es der Regisseurin gelingen sollte, sich von den Einspielergebnissen eine schmucke Limousine zu kaufen, so sei ihr das gegönnt …