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September 2003
Benjamin Happel
für satt.org

Secretary
USA 2002

Secretary (R: Steven Shainberg)

Regie:
Steven Shainberg

Buch:
Erin Cressida Wilson, Steven Shainberg

Lit. Vorlage:
Mary Gaitskill

Kamera:
Steven Fierberg

Schnitt:
Pam Wise

Musik:
Angelo Badalamenti

Kostüme:
Majorie Bowers

Darsteller:
James Spader (E. Edward Grey), Maggie Gyllenhaal (Lee Holloway), Jeremy Davies (Peter), Lesley Ann Warren (Joan Holloway), Stephen McHattie (Burt Holloway), Patrick Bauchau (Dr. Twardon), Jessica Tuck (Tricia O'Connor), Oz Perkins (Jonathan), Amy Locane (Lee's Sister)

Kinostart:
25. September 2003

Secretary


Die durchschnittliche romantic comedy endet mit dem Kuss. Nicht die Liebe der Protagonisten zueinander bildet die eigentliche Geschichte, sondern der Weg dorthin. Die Schwierigkeiten, die es aus dem Weg zu räumen, die Hindernisse, die es zu überkommen gilt, sind ins Bild gesetzt, nicht die folgende erfüllte Liebe.



Secretary (R: Steven Shainberg)

Secretary (R: Steven Shainberg)

Secretary (R: Steven Shainberg)

Secretary (R: Steven Shainberg)


Secretary folgt dieser Regel, und auch der Rest des Films tut sein bestes, den Gesetzen des Genres zu gehorchen - nur dass in Steven Shainbergs Filmwelt alles ein wenig anders ist als gewohnt. Die Welt der Liebenden ist ein wenig brüchiger, als die Hochglanzoberfläche der fließbandproduzierten Liebesgeschichten es je zu sein vermag, die Welt von Lee Holloway (Maggie Gyllenhaal) und E. Edward Grey (James Spader) besteht nicht aus weichen Plüschsofas und wohligen Pelzmänteln, sondern aus dem genauen Gegenteil: Schmerz ist es, der die Helden verbindet, die Masochistin Lee findet in dem sadistischen Edward ihr perfect match.

Nach einem ungerechtfertigt von Familie und Ärzten als Selbstmordversuch eingestuften mißglückten Akt der Selbstverletzung ("ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte, immerhin mache ich das seit der achten Klasse") wird Lee psychiatrisch behandelt. Dass man nichts von dieser Behandlung sieht, sondern erst nach deren Ende in Lees Leben tritt, ist symptomatisch für die durchwegs sympathische Herangehensweise des Regisseurs (Drehbuch: Erin Cressida Wilson): die Psyche der Protagonistin wird nicht zum zu heilenden Problem, das nur durch den verständnisvoll liebenden Mann in Form eines Arztes oder Liebhabers gelöst werden kann, sondern die Begierden der Heldin, das Verlangen nach Schmerz und Verletzung werden als Normalfall akzeptiert, die Geschichte der erwachenden Liebe wird trotz sadistischer Lust und masochistischer Befriedigung mit genau der Unbefangenheit erzählt, die das Genre verlangt.

Lee schafft nach ihrer Therapie den Einstieg ins Berufsleben mit einer Stelle als Sekretärin bei Edward Grey, und jener ist genau der Chef zum Verlieben, der in einer gängigen Produktion vermutlich dazu beigetragen hätte, dass Lee ihren liebevoll-mädchenhaft gestalteten Kasten voller Utensilien zur Selbstverletzung reuig von einer Brücke geworfen hätte, um sich folglich von der liebenden Wärme des Patriarchen und Ernährers belehren zu lassen, wie schön das Leben ohne Schmerz doch sein kann. Nicht so in Secretary: zwar gibt es ihn auch hier, den Wurf der Folterinstrumente von der Brücke, aber nicht, weil irgendjemand von irgendetwas geheilt werden muß, sondern weil mit ihrem Vorgesetzten jemanden gefunden wurde, dessen sadistische Lust Lees Träume weit besser erfüllen kann als jeder masturbatorische Schnitt in den Oberschenkel.

Eine Mausefalle drapiert Lee hinter einem Sessel, und dabei rutscht ihr Rock so weit hoch, dass er den Blick freigibt auf ihre Beine. Dies ist jene genretypische Szene, in welcher der lüsterne Blick des Mannes auf das Objekt der Begierde inszeniert werden muß, und erneut beugt sich Secretary dem Gesetz des Genres. Nicht allerdings die Beine der Heldin sind es, die den männlichen Blick fesseln, sondern die fein säuberlich aufgereihten Pflaster in geometrischer Exaktheit, durch die jede einzelne Wunde im Körper verdeckt wird. Die Haut wird zur Oberfläche, in die mit dem Schmerz die Gewissheit der eigenen Existenz eingetragen wird, und das Genre bietet in diesem Film seinem Regisseur eben jenes: eine Oberfläche, auf der er sich lustvoll abarbeiten kann, nicht ohne mit zahlreichen Schnitten und Narben auf die Künstlichkeit jeder Genrekonstruktion zu verweisen.

Die Charaktere sind liebevoll gezeichnet und in ihrer Schüchternheit, ihrer - nicht nur körperlichen - Verletzlichkeit niemals der Lächerlichkeit preisgegeben. Man lacht ob der Situation, nicht ob der Charaktere, man schmunzelt über all die Allgemeingültigkeit dieser scheinbar so exotischen Beziehung, die sich zwischen den wunderbar zueinander passenden Gestalten entwickelt. Insbesondere Maggie Gyllenhaal füllt ihre Rolle der schüchternen, leidenden, verliebten Sekretärin mit großartiger Präsenz.

In Secretary funktioniert alles: die Schauspieler, das Drehbuch und die parodistische Umformung des Genres, die zugleich blendend unterhält und sich niemals arrogant über die Grenzen der romantic comedy hinwegsetzt, sondern jene lustvoll dehnt. Den letzten Schliff verleiht dem Films sicher die betörende Musik von Angelo Badalamenti, dessen Arbeit mit Lynch und Jeunet/Caro ihn geradezu dazu prädestiniert, diesen Film musikalisch zu begleiten, der es schafft, so viel unter der Oberfläche zu entdecken, und die verletzenden Öffnungen dieser Oberfläche dabei so lustvoll mit zu inszenieren.