Stille Liebe
Für Morgan Freeman muß es eine riesige Bestätigung gewesen sein, als er die Rolle Gottes in "Bruce Almighty" oder die von Red in "Shawshank Redemption" (im Buch ein Ire) ergattern konnte. Doch während es immer wieder von Interesse ist, darüber nachzudenken, ob Afro-Amerikaner auch Rollen spielen könnten, die sich nicht über ihre Hautfarbe definieren, erscheint es mir, als ob sich niemand darum kümmert, was eigentlich aus Marlee Matlin geworden ist.
Die Gewinnerin des Oscars für die beste Hauptrolle im Jahre 1987 spielte in "Children of a Lesser God" eine Gehörlose. Man mag sich fragen, was daran besonders sein soll: Audrey Hepburn spielte auch schon eine Blinde und sogar Tom Cruise mal einen Rollstuhlfahrer. Doch Marlee Matlin ist wirklich Gehörlos, und natürlich stellt sich ihr dadurch ein Problem, das jenes der schwarzen Schauspieler ziemlich popelig aussehen lässt: Was soll sie anderes spielen als Gehörlose, und wie viele Filme, in denen ein Gehörloser eine Rolle spielt, dürften wohl so im Jahr entstehen?
Während jeder Hans und Franz sich blind stellen oder in einen Rollstuhl setzen kann, ist es weitaus schwieriger, Gehörlosigkeit von einem wie auch immer talentierten Schauspieler darstellen zu lassen. Die Gebärdensprache übersteigt sicher die übliche Vorbereitung für eine Rolle, und so greifen Regisseure, die sich in den Kopf gesetzt haben, einen Stoff über Gehörlosigkeit zu verfilmen, am liebsten auf "echte" Gehörlose zurück.
Bei "Stille Liebe" geht es um die Liebe zwischen zwei Gehörlosen, wobei erschwerend dazu kommt, daß sie eine Nonne ist und er ein aus Litauen stammender Taschendieb. Kann zwei derart verschiedene Menschen die gemeinsame Behinderung und die daraus resultierende Sicht auf die Welt verbinden? Im Kino allemal.
Der Zürcher Regisseur Christoph Schaub, der sich zumeist mit Dokumentarfilmen einen Namen machte, erzählt hier die Geschichte einer Liebe und der Entdeckung der Welt. Durch die Gehörlose Antonia, die größtenteils in einem Kloster aufwuchs, wodurch ihr gleich in zweifacher Hinsicht bestimmte Bereiche des für uns normalen Leben verschlossen blieben. Zwar hilft Antonia in einer Aufnahmestelle für Obdachlose, doch selbst dort will ihr Chef, der eigentlich freundliche Fritz, nicht dauernd irgendwelche "Fuchteleien" entschlüsseln oder Tafeln lesen. Er lässt sie lieber putzen, die internationale Gebärde dafür kann er sich zusammenreimen …
Doch Antonia lässt sich nicht unterbuttern, entweder darf sie auch kochen, oder sie will dort nicht mehr arbeiten. Mithilfe der Oberin setzt sie sich durch, und der erste Kommentar zu einem von ihr kredenzten Menü ("Ist gut heute") zeigt, daß sich auch ihr Türen öffnen können, wenn sie nur den Mut aufbringt, sie zu durchschreiten.
Wenn sie auf ihrem Fahrrad zum Bahnhof fährt, und ihre Haube im Wind flattert, wird klar, daß diese Frau viel mehr sein könnte als nur eine Nonne, die auch noch eine Behinderung hat, und durch Mikas, einem Taugenichts und Tagedieb, erfährt sie eine Initiation, die nicht immer glücklich verläuft …
Die beiden Hauptdarsteller erwecken den Film durch ihre Blicke und Gesten zum Leben, und daß sie nicht nur sich selbst spielen, zeigt sich ähnlich wie damals bei der preisgekrönten Marlee Matlin. Emmanuelle Laborit ist Französin, Lars Otterstedt Schwede. Nicht nur mussten beide neue Gebärdensprachen erlernen, auch formen ihre Lippen Worte in Deutsch, von Lars hört man sogar ein paar Worte, sein Litauisch soll ganz passabel sein. Und insbesondere Emmanuelle nimmt man sowohl die Nonne als auch die Frau, die sich selbst neu entdeckt ab.
Und der lang vorbereitete Clou meiner Geschichte um den Film ist, daß nicht nur Lars Otterstedt in Stockholm als Theaterdarsteller, -regisseur und -autor etaibliert ist ("Stille Liebe" ist seine erste Filmrolle), bei Emmanuelle Laborit können wir sogar ansatzweise den Beweis antreten, daß man auch als Gehörlose Filmstar werden kann, denn sie spielte nicht nur in Mehdi Charefs Putzfrauenfilm "Marie-Line" (Ms Matlin durfte für ihren Oscar auch Putzen gehen) und fünf weiteren Produktionen der letzten Jahre mit - insbesondere das deutsche Publikum könnte sie bereits aus dem hierzulande wohl bekanntesten Film zum Thema kennen, denn in Caroline Links "Jenseits der Stille" spielte sie bereits die Mutter von Sylvie Testud. Und dieses Happy End ist mir noch lieber als eines im Film.
Aber auch davon abgesehen ist "Stille Liebe" ein echter Glücksfall, denn angemessen leise erzählt Schaub die Geschichte von Emotionen und Sehnsüchten, die sich ganz einfach in Worte fassen liessen, aber in solchen Grenzfällen der Kommunikation hört eben nicht immer im richtigen Moment jemand zu. Man wird aus dem Hotel geschmissen, weil man zu laut war, und in einer anderen Situation kann man nicht um Hilfe rufen - Über diese kleinen und manchmal unüberwindbar groß erscheinenden Problem handelt der Film, und auch wenn man gut hören kann und mit Religion nichts am Hut hat, kann man sich schnell in eine ganz andere Welt hineinversetzen. Und das ist es doch, was wir im Kino suchen.