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Oktober 2003
Thomas Vorwerk
für satt.org

Das Wunder von Bern
D 2003

Das Wunder von Bern (R: Sönke Wortmann)

Regie:
Sönke Wortmann

Buch:
Sönke Wortmann, Rochus Hahn

Kamera:
Tom Fährmann

Schnitt:
Ueli Christen

Musik:
Marcel Barsotti

Darsteller:
Louis Klamroth (Matthias Lubanski), Peter Lohmeyer (Richard Lubanski), Johanna Gastdorf (Christa Lubanski), Lucas Gregorowicz (Paul Ackermann), Katharina Wackernagel (Annette Ackermann), Sascha Göpel (Helmut Rahn), Peter Franke (Sepp Herberger), Knut Hartwig (Fritz Walter), Mirko Lang (Bruno Lubanski), Birthe Wolter (Ingrid Lubanski), Andreas "Obel" Obering (Herbert Zimmermann), Joachim Kappl (Adi Dassler), Jo Stock (Toni Turek), Tobias Hartmann (Max Morlock), Sylvester Pezena (Jupp Posipal), Jan Holland (Karl Mai), Simon Verhoeven (Ottmar Walter)

Kinostart:
16. Oktober 2003

Das Wunder von Bern



Nach drei ziemlichen Flops ("Das Superweib", "Der Campus", "St. Pauli Nacht") und einem US-Ausflug, der es dann hierzulande nicht in die Kinos schaffte ("The Hollywood Sign") meldet sich Sönke Wortmann mit einem Film zurück, der wahrscheinlich an seine großen Erfolge wie "Der bewegte Mann", "Kleine Haie" oder "Allein unter Frauen" anknüpfen kann.

Durch den Tod von Helmut Rahn bekam die Pressevorführung am selben Tag noch den zusätzlichen Anstrich, daß man mit diesem Film Zeuge von vergangenen Zeiten wird, und auch, wenn wohl die wenigsten Kinozuschauer noch das Originalspiel live verfolgt haben (mein Vater war damals immerhin schon acht), sind die Mythen um Fritz Walter oder Sepp Herberger denkbar stärker im deutschen Nationalbewußtsein verwurzelt als die späteren WM-Titel, die ich selbst miterleben konnte, deren Helden aber bei aller Kaiserlichkeit nicht mit dem "Wunder von Bern" mithalten können.

Das Wunder von Bern (R: Sönke Wortmann)


Das Wunder von Bern (R: Sönke Wortmann)


Das Wunder von Bern (R: Sönke Wortmann)


Das Wunder von Bern (R: Sönke Wortmann)


Das Wunder von Bern (R: Sönke Wortmann)

Und wie ein Wunder wird der Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Ungarn auch von Wortmann inszeniert: Der Wettergott muß mitspielen, ein Maskottchen muß rechtzeitig Ballkontakt haben und die Frau eines Sportjournalisten wird innerhalb kürzester zeit von einer Ignorantin zu einer Enthusiastin, u.a. auch um ihr ungeborenes Kind davor zu bewahren, Roswitha zu heißen.

Doch auch wenn sich der ganze Film um die Fußballweltmeisterschaft 1954 dreht (Die Spielresultate und Stadien auf dem Weg ins Endspiel begleiten die Geschichte in sportdokumentarischer Manier und sind schlichtweg wichtiger als die Orte, die zu sehen sind, wenn ein solcher Untertitel eingeblendet wird), ist die Geschichte, die er erzählt, nicht die eines Sportfilms.

Der 11jährige Matthias wird beim Bolzen auf Straßen und Wiesen noch nach der talentierteren "Carola" gewählt, aber seine Fußballmanie definiert sich auch eher darum, daß er in die glückliche Lage gekommen ist, dem "Boss" Helmut Rahn als Maskottchen die Tasche zu tragen, was den Vorteil hat, daß er ihn bei seinen Heimspielen in Essen begleiten kann, ohne Eintritt bezahlen zu müssen. Matthias schwört auf seinen "Boss", doch dann kehrt Matthias' Vater, der noch gar nichts von der Existenz seines dritten Kindes wußte, aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurück, und macht zunächst mal alles falsch, was man als Vater falsch machen kann. Weil er für Helmut Rahn eine Kerze angezündet hat, soll er über den Sinn der Kirche nachdenken, während gerade ein wichtiges Spiel übertragen wird, zu Mutters Geburtstag gibt es ein besonderes Festmahl ("Atze! Blacky! Ich muß euch was zeigen …) und irgendwann rutscht ihm auch noch die Hand aus … Matthias will nur noch weglaufen und seinem "Boss" in der Schweiz beistehen …

Der Widerspruch zwischen dem Bergwerksalltag im Ruhrgebiet und der Bilderbuch-Schönheit der Schweiz wird am Anfang des Films durch die Farbästhetik recht eindrucksvoll klargemacht, im Verlauf des Films nähern sich die Farben der zwei Orte natürlich an, wie sich auch die unvereinbaren Einstellungen der Figuren die Hand reichen.

Die Darstellungen sind durchweg gelungen (insbesondere von den Mitgliedern der Familie Lubanski), der Subplot mit der verhinderten Hochzeitsreise ist nett, und die Fußball-Passagen wurden mithilfe von Amateurspielern, die auch noch vernünftig schauspielern können, zu einem (wie üblich schnell geschnittenen) Augenschmaus, der noch durch diverse Insidergags über die Herkunft der berühmten Herberger-Sprüche oder die Anfänge des Sportschuh-Konzern "adidas" angereichert, aber das Ganze kommt ein wenig zu gefällig daher. Die Parallelisierung der zwei Vater-Sohn-Paare (Matthias und Richard bzw. Helmut Rahn und Sepp Herberger) ist ebenso flach wie der Fußballrasen, zuvieles wird zur Legende aufgeblasen, zum Wunder erklärt oder schlichtweg banalisiert, während an der Atmosphäre nur oberflächlich gearbeitet wurde.

Mir sind die ökonomischen Probleme bekannt, aber mich nervte auch die jubelnde Menge im Berner Stadion. Warum sind die CGI-Hooligans im Colusseum von "Gladiator" nicht halb so ablenkend wie die hier von "Das Werk" kreierten Zuschauer? Hätte man nicht mal für ein paar Einstellungen ein paar echte Fans besorgen können?

Alles wirkt auf Hochglanz poliert (siehe auch die Farbigkeit), doch die Kanten und Ecken sind es doch, die sowohl den Fußball als auch das Kino interessant machen - aber alle Konflikte werden plattgebügelt, viele der Drehbuch-Kalauer zünden nicht recht und am Schluß soll man jubeln, wenn alles so kommt, wie man es erwartet hat - eben ein echter Sönke Wortmann-Film, konfektioniert für ein Massenpublikum und nur ein paar poplige Kritiker, denen man es eh nicht recht machen kann, werden so wie ich behaupten, daß der Film nicht über ein "befriedigend" hinauskommt.

Oder im Fußballjargon: 2:2, kein Gewinner, kein Verlierer, aber ganz nett anzuschauen - und ungeachtet vom zu erwartenden Zuschauerstrom ganz sicher kein filmisches Wunder, sondern Hausmannskost, die von den Geschichten um den Film gewürzt wird.