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Oktober 2003
Benjamin Happel
für satt.org

19. Lesben Film Festival Berlin
vom 7. bis 12. Oktober 2003
im Kino Arsenal
Potsdamer Straße 2
Berlin

Kartenvorverkauf:
30. September bis 06. Oktober, täglich von 18.00 bis 22.00 Uhr im Schokocafe, Mariannenstr. 6 10999 Berlin-Kreuzberg
Ab 7. Oktober sind Karten nur an der Kinokasse des Arsenal, jeweils eine Stunde vor Vorstellungsbeginn erhältlich.

Eintritt:
EUR 6,--, 5er-Karte EUR 25,--
Abschlußvorstellung (12.10.2003) incl. Preisverleihung und anschliessender Party: EUR 9,--

Grosse Festival-Party:
11. Oktober 2003, ab 22 Uhr, SO 36, Oranienstr. 190, Berlin-Kreuzberg, U1 Kottbusser Tor, Karten erhältlich nur an der Abendkasse

Arsenal und SO 36 sind rollibefahrbar.

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19. Lesben Film Festival Berlin


Fassbinder und Pasolini: Zwei Heroen der Gay Community. Ihr Werk war ein Befreiungsschlag und brachte viele Themen, die bis dahin hauptsächlich in Experimental- und Undergroundfilmen verhandelt wurden, auf teils radikale Weise einem großen Publikum nahe.
The Politics of Fur (R: Laura Nix)


The Politics of Fur (R: Laura Nix) The Politics of Fur
Regie: Laura Nix


Das 19. LesbenFilmFestival Berlin scheint den Einfluß der beiden auf die lesbisch-schwule Filmlandschaft honorieren zu wollen - auch wenn diese sich meist noch weitab des kommerziellen Mainstreams bewegt: Der Eröffnungsfilm des Festivals basiert auf einer Vorlage Fassbinders, der Abschlußfilm ist eine Neuinterpretation eines Pasolini-Filmes. Um klassische Remakes handelt es sich allerdings weder bei Laura Nix' The Politics of Fur noch bei Sachi Hamanos Lily Festival: Beide halten sich nicht akribisch an ihre jeweiligen Vorbilder, sondern nutzen diese eher als Matrix, auf der sie eigene Geschichten erzählen, eigene Gedanken entwickeln können. Die bitteren Tränen der Petra von Kant war Fassbinders Filmversion eines bereits von ihm im Theater aufgeführten Stückes. Die psychologisch genau beobachtete Geschichte um die scheiternde Beziehung zwischen der Modedesignerin Petra von Kant (Margit Carstensen), ihrem Model Karin Thimm (Hanna Schygulla) sowie der stummen Dienerin Marlene (Irm Hermann) kreiste wie so viele von Fassbinders Erzählungen um die Themen der Macht, der Abhängigkeit und des unausweichlichen Scheiterns menschlichen Zusammenlebens. Die Inszenierung beschränkte sich auf einen einzigen Raum, der von Michael Ballhaus' Kamera in strengen Kompositionen kadriert eingefangen wurde. Nix übernimmt Fassbinders grundlegende Storykonstruktion und erzählt in The Politics of Fur von der Musikproduzentin Una (Katy Selverstone), deren Liebe zu ihrer Entdeckung, einer Punkerin, die sich B. nennt (Brynn Horrocks), an der Unfähigkeit scheitert, das Gleichgewicht zwischen den masochistischen Wünschen ihrer Geliebten, der Zuneigung ihres schwulen Dieners und ihrem eigenen unersättlichen Kontrollwahn zu finden.

Die Enge des Raumes, die Bildteilungen Ballhaus' in Petra von Kant, den das Festival zum direkten Vergleich auch gleich nochmals auf die Leinwand bringt, übersetzt Nix überzeugend in die Monotonie des Dekors: Weiße Wände, weiße Möbel und bleiche Gesichter bilden einen verschwimmenden Hintergrund auf dem sich die Szenen sexueller Obsession besonders gut abzeichnen können. Sei es Unas laszive Beziehung zu ihrem Tigerbaby oder das fetischisierende Matrosenkostüm, in dem B. für ihre Geliebte posiert: der Kontrast zum alles verschlingenden Weiß ist Ziel und Stärke der Inszenierung. Und auch die gravierendste Abweichung vom Vorbild ist bewußt eingesetzt: Während Petra von Kant am Ende des Films von allen Menschen, die sie in ihrer vermeintlichen Liebe nur kontrollieren und beherrschen wollte, verlassen wird und in ihrem Zimmer wie in einem Käfig zurück bleibt, wirkt das Ende von The Politics of Fur wie eine Befreiung: Die Protagonistin verliert zwar auch hier alle ihr nahe stehenden Menschen, doch der Verlust gibt ihr Raum für einen Neuanfang: Sie verläßt in den letzten Szenen ihr Apartment, tritt auf die Straße, und ihr Verlust wird gleichzeitig zu dem großen Befreiungsschlag, den Petra von Kant - der Film wurde von Fassbinder mit "Ein Krankheitsfall" untertitelt - nie vollbracht hat.

Lily Festival
(Regie: Sachi Hamano)
Lily Festival
Regie: Sachi Hamano


Die andere Seite des Festivals, der Abschlussfilm Lily Festival, entfernt sich deutlich weiter von Pasolini als die Eröffnung vom Genie des deutschen Films: Pasolinis Teorema schimmert hinter Lily Festival eher wie eine Erinnerung hervor, eine Erinnerung, die sich in die ähnlich aufgebaute Geschichte um einen Mann, der in ein Haus einzieht und mit jedem der Bewohner eine Liebesaffäre beginnt, mischt.
Pasolinis Film zog seine Kraft aus dem Kontrast zwischen ungemein strenger Form und ideologischer Befreiungsrhetorik: Nacheinander schläft der "Fremde", der in die Familie eindringt, mit Mutter, Vater, Tochter und Sohn der Familie, und befreit sie durch diesen Akt sexueller Revolution von ihrem biederen Dasein. Hamano erzählt ihre Geschichte in Lily Festival viel leiser und langsamer als Pasolini: Ihr geht es mehr um das alltägliche Zusammenleben der Frauen, darum wie ihre Gemeinschaft durch den "Fremden" zugleich gestört und bereichert wird.

Unravel (Regie: Claudia Molina)
Unravel
Regie: Claudia Molina


Hamanos Geschichte wird aus dem Jenseits erzählt, von jener Mitbewohnerin, deren Tod das Zimmer für den fremden Mann als Nachmieter frei werden ließ. Sie wünschte, sie hätte ein wenig länger gelebt, sagt sie zum Schluß des Filmes, und in der Tat sind die wenigen Wochen, von denen Lily Festival erzählt, bereichernd für die Protagonistinnen: es gibt zwar hier keine so spektakuläre Befreiung bürgerlicher Norm wie bei Pasolini, dennoch finden zwei der Frauen über den Verwirrungen des sich entspinnenden Beziehungsgeflechts zueinander. Diese lesbische Beziehung allerdings steht keineswegs im Mittelpunkt, sie wird eher beiläufig und liebevoll gestreift, so wie die Regisseurin all die Schicksale ihrer Heldinnen streift, ohne sie zu den überlebensgroßen, symbolischen Vordenkern zu verklären, die der Revolutionär Pasolini einst für sein konservatives Italien entwarf. Lily Festival spricht nicht von der großen Revolution, sondern von der leisen Liebe. Der Liebe im Alter übrigens, denn: die jüngste der Frauen, von denen hier erzählt wird, ist 69.

Der Rahmen des LesbenFilmFestivals schließt sich um ein vielfältiges Programm, das in 6 Tagen 80 Filme zeigt, darunter auch zahlreiche Experimental- und Kurzfilme: Die an mehreren Terminen gesammelt gezeigten Kurzfilme erstrecken sich von Found Footage - Experimenten wie dem fünfminütigen Matzo Maidels, in dem die Regisseurinnen Olson, Nolan und Dorf pornografisches Filmmaterial aus den 20er Jahren mit Kommentaren aus dem Off unterlegen über die ästhetisierende Tanzperformance in Claudia Molinas Unravel bis hin zu ent.homo.philia, einer Art lesbischen Adaption von Kafkas Verwandlung. Die Kurzfilme konkurrieren wie in jedem Jahr um den Publikumspreis der Mona d'oro, der am letzten Tag des Festivals verliehen wird.

The Cookie Project (Regie: Stephanie Wynne)
The Cookie Project
Regie: Stephanie Wynne


Damit bei all dem zeitgenössischen Kino die historische Perspektive nicht zu kurz kommt, konkurrieren auf dem Festival auch zwei filmgeschichtliche Veranstaltungen um die Gunst der Besucherinnen: Zum einen präsentieren Manuela Kay und Axel Schock in ihrem Vortrag Out im Kino lesbisch-schwule Filmgeschichte, des Weiteren verarbeitete Regisseurin Maria Samantha in ihrem Dokumentarfilm Goldfische im Filmbett - Lesbensex und lesbische Erotik im Spielfilm zahlreiche Filmausschnitte aus mehr und weniger populären Filmen, in denen lesbische Liebe thematisiert wird.

Man darf gespannt sein, wie die Filme des Festivals mit ihren Themenfeldern umgehen - Körperlichkeit und Identitätsfindung sind immer noch zwei gegensätzliche und völlig unterschiedlich behandelte Pole im lesbischen Film. So finden sich die Zuschauerinnen in Stephanie Wynnes The Cookie Project mit der in voller Länge gezeigten operativen Geschlechtsumwandlung eines Polizisten aus Los Angeles konfrontiert, während Sylvie Ballyots Alice sich weniger den körperlichen als vielmehr den psychischen Qualen eines lesbischen Mädchens widmet, das unter der Trennung von ihrer Schwester leidet, mit der sie vor deren Heirat eine weit mehr als nur platonische Liebe verband. Die subtile Psychologisierung der durchaus körperlichen Beziehung der Mädchen in Alice und die explizite Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper im Cookie Project bilden die beiden Enden einer Skala, auf der sich viele der Filme des Festivals positionieren werden.

Karten fürs LesbenFilmFestival Berlin gibt es im Schoko-Café in der Mariannenstr. 6 oder an der Abendkasse des ARSENAL am Potsdamer Platz.