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In A Snake of June spielt er einen Fotografen, der zunächst im Hintergrund bleibt, sich dann aber durch Erpresseranrufe in den Vordergrund drängt und den Zuschauer lange Zeit darüber im unklaren lässt, ob es sich bei diesem Iguchi um einen wahnsinnigen Täter wie Karlheinz Böhm in Peeping Tom handelt, oder nur um einen psychologisch geschulten Partnerschaftsberater mit ungewöhnlichen Mitteln. Fest steht zumindest, daß Iguchi das alter ego des Regisseurs ist, nicht nur dadurch, daß er vom Regisseur gespielt wird, sondern vor allem dadurch, wie Iguchi aus dem Hintergrund das Geschick der anderen Figuren leitet. Mit Krebs diagnostiziert, ruft Iguchi mit Selbstmordgedanken bei einer Telefonseelsorge-Hotline an, und durch die Hilfe von Rinko Tatsumi findet er wieder einen neuen Sinn im Leben. Für seine Retterin ist es nur etwas hinderlich, daß er nun sie „retten“ will, indem er sie heimlich fotografiert, ihre geheimen Gelüste ausfindig macht und sie mit kompromittierenden Fotos dazu zwingt, diese auch auszuleben. Der erste Teil des Films handelt von dieser seltsamen Erpressersituation, wo Rinko, die Ehefrau eines sie vernachlässigenden älteren Sauberkeitsfanatiker, zuerst mit Fotos konfrontiert wird, die sie beim Masturbieren zeigen, und sie später in einem Minirock ohne Höschen durch die Stadt schickt, um sich einen Vibrator oder eine Banane zu kaufen. Das Fatale an der Situation ist, daß Rinko und ihr Erpresser einiges gemein haben und er in der Auslotung ihrer Psyche und der geheimen sexuellen Fantasien voll ins Schwarze getroffen hat. Rinko muss sich zwar erst dazu zwingen, beispielsweise in den Sexladen zu gehen, in dessen Schaufenster sie schon oft verstohlenen Blicke riskierte, aber nach und nach lebt sie dabei auf - und das nur, um ihre ohnehin brachliegende Ehe zu retten. Im zweiten Teil des Films, dem das Symbol des Mannes wie eine Überschrift vorangestellt ist, geht es dann um Shigehiko, der sich nur dann um seine Frau kümmert, wenn sie ihre Bücher in der Wohnung herumliegen lässt, der immer und immer wieder das Badezimmer schrubbt, des Nachts aber des eheliche Schlafzimmer verlässt und statt neben seiner attraktiven Frau lieber auf dem Sofa schläft. Auch Shigehiko hat sexuelle Fantasien (weitaus extremere) und auch er wird von Iguchi erpresst, bis dann im dritten Teil des Films die drei Figuren erstmals aufeinandertreffen und Regisseur Tsukamoto ein wenig die Zügel entgleiten. Der zuvor realistische Ton des Films, den schon die seltsame Ertränkungs-Peepshow empfindlich störte, wird durchbrochen, zur elliptischen Erzählweise gesellen sich mysteriöse Vorkommnisse, Tsukamoto landet wieder dort, wo er mit Tetsuo anfing. Der Regisseur zählt zu den Inspirationen seines Films ein Bild, das er als Kind malte: Eine Schnecke, die über eine Hortensie kriecht. Schnecken und Hortensien sind für Tsukamoto mit der Regenzeit verbunden, und in A Snake of June regnet es fast ununterbrochen. Der Regen tanzt über Glasoberflächen und wirft Schatten, er prasselt auf genietete Metallträger oder findet seine Entsprechung beim gewalttätigen Ertränkungsritual oder Iguchis seltsamer Rache. Durch die kaltblau gefärbten Schwarzweiß-Bilder und eine fast klaustrophobische Kadrierung wird A Snake of June nicht zu dem Softporno, den die Story verheißt, sondern zu einem an Anton Corbijn und Front 242 erinnernden Technovideo-Fetisch-Thriller, der aber auf filmischer Ebene lange Zeit überwältigen kann. So wie für Iguchi das Waffeleisen als Foto-Objekt zum Labyrinth mutiert, so wird aus dem kleinen, fast im Alleingang gefertigten Film ein sperriges Kleinod, das ganz nebenbei unvereinbare Themen wie Krebs und Sexualität verschmelzen lässt und mitten in der U-Bahn oder der Kosmetikabteilung Abgründe auftut - daß dem Gemüsehändler glatt die Gurken vom Teller fallen. |
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