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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

Mai 2004
Eva Lia Reinegger
für satt.org

Carolina
USA 2003

Carolina (R: Marleen Gorris)

Regie:
Marleen Gorris

Buch:
Katherine Fugate

Kamera:
Lawrence Karman

Schnitt:
Michiel Reichwein

Darsteller:
Julia Stiles (Carolina), Alessandro Nivola (Albert Morris), Shirley MacLaine (Grandma Mirabeau), Mika Boorem (Maine Mirabeau), Azura Skye (Georgia Mirabeau), Edward Atterton (Heath Pierson), Randy Quaid (Ted Mirabeau), Dwight Armstrong (Snake), Anna Ortiz (Christen), Jennifer Coolidge (Aunt Marilyn), Ambyr Childers (Young Carolina), Daveigh Chase (Young Georgia Mirabeau), John Capodice (Ernie The Cook), Barbara Eden (Daphne St. Claire)

Kinostart:
13. Mai 2004

Carolina



Carolina (Julia Stiles) ist mit ihren beiden jüngeren Schwestern bei ihrer Großmutter (Shirley MacLaine) aufgewachsen. Sie leidet darunter, dass ihre Familie nicht gerade eine Vorzeige-Familie ist. Da gibt es Knast-Onkels, Tanten im Sexgewerbe und einen Vater (Randy Quaid), der Alkoholiker ist und seine drei Töchter schon als Kleinkinder bei seiner Mutter abgeladen hat. Die Großmutter ist zu schrill gekleidet und hat ein schmutziges Mundwerk, die mittlere Schwester (Azura Skye) schläft in der Gegend herum und die jüngste (Mika Boorem) beißt sich an immer neuen verrückten Ideen fest. Alljährlich versammelt sich diese ganze Sippschaft im Haus von Großmutter Mirabeau, um Thanksgiving zu feiern. In ihrem sonstigen Leben wie auch bei diesen Familienfesten steht Carolina ihr Nachbar und Freund Albert (Alessandro Nivola) zur Seite, der ein recht erfolgreicher Autor von Kitschromanen ist. Um Abgrenzung gegenüber ihrer chaotischen Familie bemüht, versucht Carolina ein Leben zu führen, das so normal wie möglich ist und in kontrollierten Bahnen verläuft. Im großen und ganzen gelingt ihr das auch, nur mit der Liebe will es nicht so recht klappen.
Carolina (R: Marleen Gorris)
Carolina (R: Marleen Gorris)
Carolina (R: Marleen Gorris)
Carolina (R: Marleen Gorris)
Carolina (R: Marleen Gorris)
Carolina (R: Marleen Gorris)
Carolina (R: Marleen Gorris)

Bei der TV-Dating-Show für die sie arbeitet, lernt sie Heath kennen, einen gutaussehenden, reichen, wohlerzogenen und gebildeten Mann (Edward Atterton). Sie stürzt sich in eine Beziehung mit ihm und lädt ihn auch gleich euphorisch zum wieder einmal anstehenden Thanksgiving-Familienessen ein. In einem längeren Machtkampf mit der Großmutter und nicht zur Begeisterung ihrer restlichen Familie hat Carolina durchgesetzt, dass das Fest diesmal in ihrer Wohnung, statt wie traditionell üblich im Hause der Großmutter, stattfindet. Sie hegt die Hoffung, es möge einmal ruhiger und gesitteter zugehen als auf den sonstigen feucht-fröhlichen Feiern der Familie. Dieser Plan geht natürlich nicht auf. Der gesittete Heath und Carolinas chaotische Familie kommen nur schwer miteinander zurecht und Heath verschwindet wieder aus Carolinas Leben.

Inzwischen hat Albert ihr gestanden, dass er sie liebt. Da jedoch Carolina wieder einmal genug Probleme in ihrer Familie zu lösen hat, ist sie noch nicht in der Lage, Alberts Gefühle zu erwidern.

In Marleen Gorris neuem Film stehen wieder einmal die Frauen einer Familie im Mittelpunkt. Der Film konzentriert sich aber nicht darauf, eine Frauen-Chronik zu erzählen, sondern möchte zur gleichen Zeit auch eine Coming-of-Age-Geschichte und eine Romantic Comedy sein. Alle drei angelegten Erzählungen behindern sich gegenseitig statt sich zu befruchten, so dass ein insgesamt kraftloser Film entstanden ist. Konflikte werden angedeutet, aber nicht ausgetragen. Carolinas ödipaler Konkurrenzkampf mit der matriarchalen Großmutter ist noch am deutlichsten ausgeführt. Allerdings bietet uns der Film als Höhepunkt an psychologisch interessanten Situationen hierzu einen Streit beim Thanksgiving-Essen an, der sich darum dreht, wessen Truthahn (Oma hat ihren eigenen mitgebracht) zuerst angeschnitten wird. Die Intention, vom inneren Konflikt einer jungen Frau zu erzählen, die an ihrer Familie hängt und trotzdem einen Weg finden muss, sich von ihr zu lösen, schließlich aber die Rolle des starken Familienoberhaupts übernehmen will und muss (da unterscheidet sich die matriarchale Struktur nicht einen Deut von der patriarchalen), wird durch das schematische Vorgehen des Films durchaus transparent - erfahrbar oder zumindest nachvollziehbar wird dieser Konflikt jedoch nicht. Auch wenn Shirley MacLaine ihre Sache als proletenhafte, dominante Großmutter wie zu erwarten gut macht, kann man von der Beziehung zwischen Carolina und ihr nur annehmen, dass sie so schwierig wie innig sein muss, ausgespielt wird diese Beziehung nicht, so wenig wie die Beziehungen zum ewig abwesenden, ignoranten Vater und zu den beiden Schwestern.

Auch die Liebesgeschichte entwickelt keine Nuancen. Dass Albert "the one" für Carolina ist, das scheinen alle von der ersten Sekunde des Films an zu wissen: Albert selbst, die Großmutter, die restliche Familie, sogar Heath und natürlich wir. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn denn die Verweigerung der Erkenntnis der Liebe seitens Carolina plausibel wäre. Doch auch hier scheut der Film jeden inneren oder äußeren Konflikt und schiebt seine Hauptfigur schematisch zuerst zum falschen Liebhaber und am Ende zum richtigen Ehemann.

Falsch ist dieser Liebhaber vor allem deswegen, weil er Geld hat. Damit ist er kein "normal guy", wie Albert es ausdrückt, sondern einer, der nicht standesgemäß ist, nach dem zu greifen falsch wäre, da man nicht nach den Sternen greifen soll, sondern bei seinesgleichen bleiben soll. Das Hohelied der Familie, das der Film singt, wird in Verbindung gebracht mit der "Klasse", in die man hineingeboren wird und zu der man deswegen stehen muss. Der knapp verpasste Lotto-Gewinn ist dementsprechend kein Ausgangspunkt für ein Drama, sondern Anlass darüber zu sinnieren, dass Geld den Charakter verdirbt und dass es viel wichtiger ist, "an sich selber zu glauben".

Möglicherweise ist es für ein liberal-demokratisches Verständnis bereits eine emanzipatorische Geste, wenn Knackis und Prostituierte nette, weil authentische und familientreue Menschen sind, wenn es eine alte Frau ist, die das Haus regiert und eine junge Frau, die ihr den Platz abspenstig zu machen versucht. Oder wenn die Männer schwache Taugenichtse sind, wie der Vater oder softe Romantiker wie Albert. Im Grunde ist es aber das Gegenteil, ein beschränkter, einfallsloser Blick auf die Welt, in der alles bleibt und bleiben soll wie es war.

Und wenn schon "Carolina"-Filme - z.B. am Sonntag nachmittag im Fernsehen, wo er sicher bald einmal auftauchen wird - dann doch immer noch lieber "Grüne Tomaten" oder auch Gorris´ "Antonias Welt" auf dem anderen Kanal.