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Juni 2004
Thomas Vorwerk
für satt.org

Spider
F/Ca/UK 2002

Spider (R: David Cronenberg)

Regie:
David Cronenberg

Buch:
Patrick McGrath

Kamera:
Peter Suschitzky

Schnitt:
Ronald Sanders

Musik:
Howard Shore

Ausstattung:
Andrew Sanders

Kostümdesign:
Denise Cronenberg

Darsteller:
Ralph Fiennes (Dennis "Spider" Cleg), Miranda Richardson (Mrs. Cleg), Gabriel Byrne (Bill Cleg), Lynn Redgrave (Mrs. Wilkinson), John Neville (Terrence), Bradley Hall (Spider als Kind)

98 Min.

Kinostart:
10. Juni 2004

Spider (R: David Cronenberg)

Spider (R: David Cronenberg)
Spider (R: David Cronenberg)
Spider (R: David Cronenberg)
Spider (R: David Cronenberg)

Mit nicht unerheblicher Verspätung hat Cronenbergs Spider es immerhin geschafft, einen regulären deutschen Kinostart zu bekommen. Das ist insofern erstaunlich, weil es wohl schon etwas länger her ist, daß ein Cronenberg-Film in Deutschland gut gelaufen ist. Von seinem Output in den 90ern (M. Butterfly, Naked Lunch, Crash, eXistenZ) habe ich immerhin die Hälfte gesehen, aber vom Status, den Cronenberg in den 80ern hatte (Scanners, Videodrome, Dead Zone, The Fly, Dead Ringers), ist der kanadische Regisseur mittlerweile weit entfernt. Und wenn man weiterhin bedenkt, daß Ralph Fiennes auch nicht eben ein Blockbuster-Garant ist, und Spider nicht einmal das Cronenbergsche Genre-Publikum bedient, sondern die Geschichte eines aus der Nervenheilanstalt entlassenen Patienten erzählt, der das Traumata seiner Kindheit im düsteren Reihenhaus-England noch einmal überlebt, muß man dem Mut (oder der Trotzigkeit?) der Verleihfirma Columbia-Tristar schon seinen Respekt zollen.

Spider macht es seinem Publikum nicht einfach. Zu Beginn des Films tapert Ralph Fiennes im Schneckentempo durch London und gibt dabei größtenteils unverständliches Gemurmel von sich, vielleicht sieht Cronenberg darin auch die Ähnlichkeit des Stoffes zu Samuel Beckett - zunächst einmal muß man lange auf irgendwas warten. Doch dann sieht man die Kindheitserinnerungen Spiders, die den Kern des Films ausmachen. Während der junge Spider (Bradley Hall) mitansehen muß, wie sein Vater (Gabriel Byrne) sich von der Mutter entfernt und ins Netz einer vulgären Thekenschlampe gerät, ist auch der alte Spider meist irgendwo dabei und beobachtet oder murmelt die Dialoge der anderen Figuren mit. Wenn Spiders Mutter, Mrs. Cleg (Miranda Richardson) den beiden auf die Schliche kommt, wird der Zuschauer plötzlich mit einer Brutalität wachgerüttelt, die an die Horror-Anfänge Cronenbergs erinnert. Fortan lebt Spiders Vater mit der Schlampe zusammen, und der Junge ist allein mit dem Geheimnis, daß seine Mutter im Schrebergarten verscharrt wurde. Kein Wunder, daß der Junge psychische Probleme bekommt.

Mehr über die Geschichte des Films zu verraten, würde dem Film die Existenzgrundlage entziehen, nur soviel sei verraten, daß Miranda Richardson mit dem Tod der Mutter nicht einfach aus dem Film verschwindet, sondern mit einer schauspielerischen Leistung begeistert, die selbst den trotz allem sympathischen Mumbler Ralph Fiennes in den Schatten stellt. Warum Spider so heißt, ob er eher das Opfer oder der Drahtzieher in einem fragmentarischen Netz der Erinnerungen ist, daß sollte man als Zuschauer selbst herausbekommen.

Wer sich jedoch nicht dafür begeistern kann, die seltsamen Erziehungs- und Eheprobleme in einem kargen depressiven England mitzuerleben, in einem Film, der vom Tonfall (und teilweise auch von der Geschichte her) an Alan Parkers Birdy, Dennis Potters The Singing Detective oder Barton Fink von den Coen-Brüdern erinnert, der gehört wahrscheinlich zu den Leuten, die bei Spider nach einer halben Stunde sagen: "What the fuck! I did pay good money for this sorry excuse of [Rest geht in unverständlichen Murmeln unter]"