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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

August 2004
Thomas Vorwerk
für satt.org

Graveyard of Honor
Jingi no hakaba

Japan 1975

Graveyard of Honor (Jingi no hakaba) DVD

Regie:
Kinji Fukasaku

Buch:
Tatsuhiko Kamoi, Fumio Konami, Hiro Matsuda

Lit. Vorlage:
Goro Fujita

Kamera:
Hanjiro Nakazawa

Schnitt:
Osamu Tanaka

Musik:
Toshiaki Tsushima

Darsteller:
Tetsuya Watari (Rikio Ishikawa), Tatsuo Umemiya (Kozaburo Imai), Yumi Takigawa (Chieko), Eiji Go (Makoto Sugiura), Noboru Ando (Ryunosuke Nozu), Hajime Hana (Shuzo Kawada), Mikio Narita (Noboru Kajiki), Kunie Tanaka (Katsuji Ozaki), Shingo Yamashiro (Hiroshi Tamura), Reiko Ike (Teruko Imai)

94 Min.

Graveyard of Honor
Shin jingi no hakaba

Japan 2002

Regie:
Takashi Miike

Buch:
Shigenori Takechi

Lit. Vorlage:
Goro Fujita

Kamera:
Hideo Yamamoto

Schnitt:
Yasushi Shimamura

Musik:
Kôji Endô

Darsteller:
Gorô Kishitani (Rikuo Ishimatsu), Narimi Arimori (Chieko), Yoshiyuki Daichi (Yoshiyuki Ooshita), Hirotarô Honda (Correctional Officer), Harumi Inoue (Yôko Imamura), Renji Ishibashi (Denji Yukawa), Ryôsuke Miki (Kôzô Imamura), Yasukaze Motomiya (Kanemoto), Mikio Oosawa (Masato Yoshikawa), Daisuke Ryuu (Tadaaki Kuze), Takashi Miike (Restaurant Gunman)

131 Min.

DVD:
Deutsch oder Japanisch mit dt. Untertiteln (optional), Extras: Kinotrailer, "Making of", Exklusives Interview mit Takashi Miike - ab 23. August in der Doppel-Box im DigiPack (mit Poster) mit dem Fukasaku-Original bei Rapid Eye Movies

Graveyard of Honor
Jingi no hakaba
(Kinji Fukasaku - 1975)


Wie Scarface hält sich auch der zunächst kleine, aber skrupellose Gangster Ishikawa nicht an die Regeln, insbesondere der Ehrenkodex der Yakuza könnte ihn kaum weniger kümmern, der Film schildert, wie für das Genre üblich, den Aufstieg und Fall Ishikawas, wobei aber die stilvolle Inszenierung dieses Klassikers von Kinji Fukasaku (Battle Royale) auffällig ist.

Weniger die in Gelb- oder Brauntöne getauchten Bilder oder die oft verkantete oder in Frosch- und Vogelperspektiven gezwungene Kamera, die bei Verfolgungen auch schon mal in die Hand genommen wird, sondern vor allem der dokumentarische Touch ist bemerkenswert - und dürfte manchen Zuschauer auf die Idee bringen, bei der Film- (und Roman-)figur handle es sich um eine reale Person, eine Art japanischen Al Capone.

Graveyard of Honor (Jingi no hakaba) (R: Kinji Fukasaku)
Graveyard of Honor (Jingi no hakaba) (R: Kinji Fukasaku)

Schon in den ersten Einstellungen sieht man einzig Photos, bei denen Ishikawas Gesicht immer wieder rot eingekreist ist, "Zeitzeugen" berichten aus dem Off von ihren Erfahrungen und den oft widersprüchlichen Eindrücken, die der spätere Gangster schon zu Jugendzeiten auf sie machte. Gerichtsurteile, Totenscheine und Heiratsurkunden (so zumindest die Interpretation eines des Japanischen nicht mächtigen) durchziehen den Film, über die Einblendungen bestimmter Daten wird die geschichte chronologisiert, in wirklichen Dokumentaraufnahmen erfährt man nebenbei auch etwas über die innenpolitische Lage im japan kurz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Eine Meinungsverschiedenheit zwischen japanischen und chinesischen Gangstern (letztere haben auch bei der Polizei schlechte Karten) führt zur wohl interessantesten Nebenhandlung. Bei einer großangelegten Polizeiaktion muß Ishikawa untertauchen und bricht in das Zimmer der jungen Chieko ein. Wenn er dort unabsichtlich auf dem Fußboden einen Brandfleck verursacht, nimmt dies in gewisser Weise schon die Handlung vorweg. Das Mädchen ist fortan gebrandmarkt, befleckt - Ishikawa hat ihr sein Brandzeichen aufgedrückt. Bei der ersten Begegnung geht zwar noch alles glimpflich ab, aber wenn er ihr Geld anbietet und seine Pistole bei ihr lässt, steht bereits fest, daß er wiederkommen wird und wahrscheinlich bestimmte "Dienste" einfordern wird. Und in der tat wird er das Mädchen nachher vergewaltigen und wie ein Zuhälter in ein Geishahaus seiner Wahl schicken.

Die Signalfarbe Rot, die den Film nicht nur bei Blutbädern durchzieht, kommt zwar beim Brandfleck als symbolischer Entjungferung noch nicht zum Tragen, aber wenn der später Drogensüchtige Ishikawa visionsartig einen lila Luftballon entdeckt, vermischen sich kindliche Schönheit mit tragischer Fragilität. Chieko, die (durch Ishikawas Verschulden?) an Tuberkulose leidet, hustet sich in der nächsten Szene die Seele aus dem Leib, von ihren blutigen Händen wird gleich zu ihrem Selbstmord übergeleitet, der "zehn Tage nach der Hochzeit" stattfand. Über die Beweggründe für Hochzeit und Suizid lässt uns der Film ebenso im Dunkeln wie über die zeitliche Verortung jener Szenen - und dies zählt zu den Stärken des Films, der bis zum Grabstein Ishikawas (Menschlichkeit und Gerechtigkeit) immer wieder mehr Fragen aufwirft als er beantwortet.



Graveyard of Honor
Shin jingi no hakaba
(Takashi Miike - 2002)


Das Remake von Takashi Miike (Audition, Dead or Alive) beantwortet hingegen viele Fragen, auch wenn die Einleitung durch eine erst spät aufgelöste Rahmenhandlung insbesondere Zuschauer ohne Kenntnis der Geschichte oder des Originals überfordern könnte. Den dokumentarischen Ansatz lässt Miike fallen, sein Off-Kommentator ist entschieden subjektiver und eher mitfühlend als verurteilend (am Schluß des Films offenbart sich der Erzähler).

Miike macht aus Ishikawa Ishimatsu (auch hier kann ich die kleinen Details der Namensveränderung nicht ergründen, vielleicht sollte ich mal den Roman von Goro Fujita lesen, um herauszubekommen, wer sich mehr daran hält), außerdem verlegt er die Geschichte in die spätern 1980er / frühen 90er. Die Farben werden bei Miike bunter, insbesondere Grün spielt hier eine Rolle, und auch die Geschichte verändert sich subtil.

Graveyard of Honor (Shin jingi no hakaba) (R: Takashi Miike)
Graveyard of Honor (Shin jingi no hakaba) (R: Takashi Miike)

Zunächst mal ist der von Goro Kishitani (Oka in One Missed Call) gespielte Gangster geringfügig sympathischer. Seine Karriere beginnt er als Tellerwäscher, der den Mord an einem Yakuza-Familienführer vereitelt - und dafür in die Familie aufgenommen wird. Auch wenn Ishimatsu nicht weniger skrupellos als Ishikawa vorgeht, liefert das Remake immer wieder Gründe und Motivationen für sein Handeln, auch hat Ishimatsu Freunde und seine Beziehung zu Chieko (bei der die Vergewaltigung schon vor den "Unterschlupf" in der Krise gelegt wird) ist diesmal auch so etwas ähnliches wie eine echte Beziehung (wenn auch ähnlich bizarr wie in einigen Filmen von Kim Ki-Duk). Chieko besucht ihren Vergewaltiger beispielsweise im Gefängnis, fragt ihn: "Was bin ich für sie?" - Seine Antwort: "Meine Frau." Und eine spätere Wiedervereinigungsszene ist fast schon sinnlich und nicht nur die ansonsten vorherrschende Gewaltnummer.

Zeitgemäß und wie von Miike-Fans erwartet ist der Film natürlich in den Gewaltdarstellungen etwas drastischer (frei ab 18 statt ab 16), wenn der Regisseur hier auch nur selten zu jenen Extremen neigt, für die er seit Audition berühmt ist. Die eindeutig blutigste Szene des Originals übertrifft Miike zwar mit Leichtigkeit, aber anstelle Beispielsweise der Tuberkulose wird hier die Drogensucht viel mehr thematisiert (auch als Grund für den Niedergang Chiekos). Hatte Ishikawa im Original noch einen Drogen-Sidekick, der irgendwie an "Mr. Camontes Sekretär" oder den Rigoletto-Fan in Some like it Hot erinnerte, wird hier die Drogensucht á la Trainspotting oder Christiane F. inszeniert. Eine der skurrilsten Szenen zeigt uns Ishikawa zugedröhnt bis zum geht-nicht-mehr, wie er auf dem Rücken durch seine Wohnung krabbelt. Der Stereoanlage ist aufgedreht bis zum Anschlag, überall auf dem Boden liegen Seiten aus Hochglanzmagazinen mit nackten Frauen, und Ishikawa robbt sich von einem Schußwaffen-Versteck zum nächsten, kramt die Revolver heraus, und schießt apathisch auf seine Zimmerdecke - ein Wohnungsnachbar, wie man ihn sich wünscht.

Miike verwöhnt den Zuschauer an manchen Stellen zwar auch mit cleveren Montage-Kapriolen, aber im direkten Vergleich überzeugt das Original doch eher- zumindest solche Zuschauer, die eher auf innovative Filmkunst stehen als auf Blutfontänen in Stereo.