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Oktober 2004
Thomas Vorwerk
für satt.org

Flammend’ Herz
D 2004

Filmplakat

Buch
und Regie:
Andrea Schuler & Oliver Ruts

Kamera:
Lars Barthel

Schnitt:
Regina Bärtschi

Musik:
The Dead Brothers

Darsteller:
Herbert Hoffmann, Karlmann Richter, Albert Cornelissen, Ernst Günter Götz u. v. a.

90 Min.

Kinostart:
14. Oktober 2004

Flammend’ Herz


Albert (90), Herbert (84) und Karlmann (90) sind Tätowierfreunde unterschiedlichster Herkunft und waren mal gute Freunde. Der Dokumentarfilm Flammend’ Herz, der in diesem Jahr in der Berlinale-Reihe "Perspektive Deutsches Kino" mit dem Hauptpreis "Dialogue en perspective" ausgezeichnet wurde, zeichnet das Leben der drei Protagonisten in Interviews nach und versucht, die drei wieder zusammenzubringen.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Karlmann stammt aus einer der reichsten Familien Kiels und lebte zunächst ein behütetes Leben mit Dienerschaft, zu dem auch eine von seiner Mutter arrangierte Ehe gehört. Aus der Ehe flüchtete er jedoch später in die Homosexualität, von seinen vier Kindern hat er nur noch mit einem wieder Kontakt aufgenommen.

Herbert stammt aus einer pommerschen Fleischerfamili und arbeitete zunächst als Handelsvertreter, ehe seinem Hang zum Tätowieren mit seinem kaufmännischen Talent kombinierte und in der Nähe der Hamburger Reeperbahn eine Tätowierstube eröffnete, die er wie einen rein männlichen Familienbetrieb führt, wobei er auch Karlmann einmal "aufnimmt". Noch heute wirbt man dort mit dem Prädikat "Deutschlands älteste Tätowierstube". Nach einem Erbstreit mit seinem Neffen um sein Wohnrecht wanderte Herbert in die Schweiz aus, von wo aus er als lebende Legende Tattoo-Messen besucht und Fotoausstellungen organisiert. Zusammen mit den Autoren und Regisseuren gab er auch das Buch "Bilderbuchmenschen" heraus, seine ehemaligen Freunde kamen aber nicht zur dazugehörigen Ausstellungseröffnung.

Der aus Holland stammende Albert wurde über die Seefahrt zu einem echten Original und ist der Heterosexuelle unter den Dreien, seit 45 Jahren mit einer Chilenin verheiratet, die er auf einer seiner Reisen kennenlernte. In den 1980ern half er mal in Herberts Tätowierstube aus und blieb auch in Hamburg.

Die drei Protagonisten und Familienangehörige und Bekannte geben Auskunft über drei bewegte Lebenswandel, über das Leben als tätowierter Homosexueller, als man dadurch noch ein outcast war, über die Liebe zum Tattoo und um eine zerbrochene Freundschaft, das Flammend’ Herz ist nicht nur eines von Herberts ersten Motiven, sondern auch ein Titel, der den Film in vielerlei Hinsicht zusammenfasst.

Auch wenn das Projekt durch die Partnerschaft der Filmemacher mit einem ihrer Protagonisten auf den ersten Blick wie ein PR-Gag erscheint, überzeugt der Film als eigenständiges Werk, das die vielschichtigen Biographien aufdeckt und in den unterschiedlichen Figuren die gemeinsame Liebe für die Tätowierkunst zutage führt. Selbst Tätowiermuffel wie der Rezensent können sich der Faszination dieses Films nur schwerlich entziehen, Flammend’ Herz ist so, wie ein Dokumentarfilm sein sollte: Er offenbart einem neue Welten und Einsichten und ist dabei so spannend wie ein Spielfilm, auch weil seine Hauptdarsteller es an Charisma mit vielen hervorragend porträtierten fiktiven Figuren aufnehmne können.

Einzig die "Wiedervereinigung" der drei alten Freunde verliert viel an ihrer Dramatik, wenn man die drei bereits auf einem der Szenenfoto zusammensitzen sah. Dennoch lässt der Film offen, was nach dem Foto geschah, und so ist am Ende doch nicht eitel Sonnenschein, sondern nur ein erster Schritt in die Wiederaufnahme einer skurrilen Männerfreundschaft getan.