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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Februar 2005
Kathi Hetzinger
für satt.org

Im Kwon-Taek - Retrospektive
im Kino Arsenal

Gilsotteum
Südkorea 1985, dt. Titel: Zerrissenes Land, Buch: Song Kil-Han, Kamera: Jeong Il-Seong, Musik: Kim Jeong-Kil, Ausstattung: Kim Yu-Jun, Schnitt: Kim Chang-Sun, mit Kim Ji-Mi (Hwa-Young), Shin Seong-Il (Dong-Jin), Han Ji-Il (Seok-Chul), Kim Ji-Young (Tuknam), Lee Sang-A (Hwa-Young als junges Mädchen), Kim Jeong-Sok (Dong-Jin als Junge), 105 Min.

Chukje
Südkorea 1996, engl. Titel: Festival, Buch: Yuk Sang-Hyo, nach dem Roman von Lee Chung-Joon, Kamera: Park Seung-Bae, Musik: Kim Su-Chul, Ausstattung: Kim Yu-Joon, Schnitt: Park Soon-Duk, mit Ahn Sung-Kee (Lee Jun-Sub), Oh Jung-Hae (Yong-Soon, Nichte), Han Eun-Jin (Großmutter), Chung Kyung-Soon (Jang Hae-Lim, Reporterin), Park Seung-Tae (Schwägerin), Lee Kem-Joo (Ehefrau), Kim Kyung-Hae (Kwangjudaek, Schwester), Nam Jung-Hee (Hampyungdaek, Schwester), 108 Min.

Ssibaji
Südkorea 1986, dt. Titel: Die Leihmutter, Buch: Song Kil-Han, Kamera: Koo Jung-Mo, Musik: Shin Byeong-Ha, Ausstattung: Won Ki-Ju, Schnitt: Park Deok-Ryeol, mit: Kang Su-Yeon (Oknyo, die Leihmutter), Lee Ku-Sun (Shin Sang-Kyu, der junge Fürst), Kim Hyeong-Ja (Pilnae, Oknyos Mutter), Han Eun-Jin (die Mutter des Fürsten), Pang Hui (Si-Yoon, die Frau des Fürsten), Yoon Yang-Ha, 95 Min.

Berlinale-Bär

Im Kwon-Taek - Retrospektive

Auch in diesem Jahr widmet sich das Arsenal, in Zusammenarbeit mit den Internationalen Filmfestspielen Berlin, in einer Retrospektive einem großen asiatischen Regisseur. Nach zwei japanischen Autorenfilmern (Yasujiro Ozu, 2003, und Hiroshi Shimizu, 2004) steht dieses Jahr der überaus produktive koreanische Regisseur Im Kwon-Taek, der seit 1982 bereits sieben Mal auf der Berlinale zu Gast war, im Mittelpunkt einer Werkschau, die aus 20, vom Regisseur selbst mit ausgewählten, Filmen besteht. Die Filme wurden z.T. neu restauriert, fünf davon waren noch nie außerhalb von Korea zu sehen. Während der Berlinale werden sieben der Film in verschiedenen Sparten zu sehen sein: drei Filme im Forum (Jokbo (The Genealogy, 1978), Gilsotteum (1985), Chukje (Festival, 1996)), einer im Panorama (Mandala (1981)), zwei innerhalb der Retrospektive (Wang Sib Ri (My Home Town, 1976), Sopyonjie (1993)), sowie Chunhyang Dyeon (2000) als Berlinale Special. Im Kwon-Taek ist in diesem Jahr außerdem Preisträger eines Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk und wird im Rahmen der Preisverleihung für einige Tage in Berlin zu Gast sein. Die vollständige Retrospektive wird im Februar und März im Arsenal gezeigt. Aus diesem Anlass erscheint das Kinemathekheft Nr. 98 der Freunde der Deutschen Kinemathek, das aus Texten über Im Kwon-Taek und die Filme der Werkschau, sowie einer vollständigen Filmographie besteht.



Im Kwon-Taek
Im Kwon-Taek

Im Kwon-Taek (*1934) begann seine Karriere Ende der 50er Jahre als Mädchen-für-alles, nachdem er über Freunde zufällig beim Film gelandet war. Er begann bald als Assistent für Chung Chang-Hwa zu arbeiten, einen anderen koreanischen Altmeister, der hauptsächlich für seine Kung-Fu-Actionstreifen bekannt ist, die er in Korea wie auch in Hong Kong für die Shaw-Brüder drehte. Auf dessen Empfehlung begann Im schließlich selbst Regie zu führen. In den 60er und 70er Jahren drehte er als solider Techniker quota quickies, kommerzielle Billigproduktionen, die die gesetzlichen Quoten erfüllen sollten; er arbeitete dabei in allen möglichen Genres. Erst Anfang der 80er Jahre begann Im persönlichere, künstlerisch anspruchsvollere Filme zu machen; von seinem Frühwerk (das aus ca. 50 Filmen besteht) distanziert er sich heute. Im Moment ist er dabei seinen 100. Film fertig zu stellen.

Ims Werk ist nicht nur umfangreich, es ist vor allem auch vielseitig. Doch trotz der vielen verschiedenen Themen, Genres und Stilrichtungen, in denen Im gearbeitet hat, verbindet alle seine Filme eine gemeinsame Handschrift, die bereits an den drei ausgewählten Beispielen zu erkennen ist, die vorab für die Presse zu sehen waren (Gilsotteum, Chukje, Ssibaji (Die Leihmutter, 1986)). Alle drei Filme sind geprägt von einem intensiven Interesse für die koreanische Geschichte und Kultur; Im Kwon-Taek gibt in Interviews immer wieder zu verlauten, dass es ihm sehr wichtig ist, die Aspekte der Kultur seines Heimatlandes festzuhalten, die gemeinhin eher in Vergessenheit geraten sind. Er versteht sich als Bewahrer und Vermittler eines nationalen Erbes. Er setzt sich intensiv mit koreanischen Traumata des 20. Jahrhunderts auseinander, von denen es leider nicht wenige gibt: die Japanische Besatzung (1910-45), der Korea-Krieg (1950-53) und die anschließende Teilung des Landes, die Militär-Diktatur (bis Anfang der 90er Jahre). Andere wiederkehrende Themen sind z.B. die Unterdrückung der Frau oder das Aufeinandertreffen und Zusammenwirken der verschiedenen Religionen in Korea (Konfuzianismus, Buddhismus, Schamanismus, Christentum). Auch formal geht Im sehr verschiedene Wege, stets dem jeweiligen Werk entsprechend, teils eher traditionell, teils auch sehr experimentell. Generell lässt sich jedoch eine Vorliebe für feststehende Einstellungen beobachten, innerhalb derer sich die Bewegung vollzieht, entsprechend dem koreanischen Kunstprinzip Chong Chun-dong ("Bewegung oder Aktion im Inneren des Feststehenden").

Im Kwon-Taek - Retrospektive

Gilsotteum (1985) geht auf eine Sendung des koreanischen Fernsehsenders KBS aus dem Jahre 1983 zurück, in der Familienangehörige, die sich während des Krieges aus den Augen verloren hatten, wieder zusammen geführt wurden. Vor dieser Sendung gab es in Korea kein offizielles Suchprogramm, das Familien half, Angehörige ausfindig zu machen. Die Sendung war daher ein so großer Erfolg, dass sie verlängert und ausgeweitet werden musste: tausende Menschen auf der Suche nach verschollenen Geschwistern, Eltern, Kindern meldeten sich bei KBS. Der Film, der einige tatsächliche Fälle miteinander verbindet, erzählt das Schicksal einer Frau, Hwa-Young, die ihren damaligen Freund sowie ihr gemeinsames Kind während der Kriegswirren aus den Augen verlor und trotz langer Suche nicht wieder auffinden konnte. Inzwischen ist sie verheiratet, hat zwei rechtmäßige Kinder, lebt in Harmonie und Wohlstand. Doch im Fernsehen meint sie ihren verlorenen Sohn zu erkennen und macht sich, auf Anraten ihres Ehemanns, auf die Suche. Sie trifft ihren damaligen Freund, den sie tot geglaubt hatte, und der inzwischen ebenfalls verheiratet und mehrfacher Vater ist. Gemeinsam nehmen sie Kontakt mit dem jungen Mann auf, der ihr Sohn sein könnte; doch die soziale Kluft könnte größer nicht sein. Hwa-Young kann nicht akzeptieren, dass der ungebildete, rohe, meist betrunkene Tagelöhner ihr Sohn sein soll.

In realistischen Bildern, in die Dokumentaraufnahmen der damaligen Sendung eingebunden sind, stellt der Film die Probleme dar, die sich ergeben, wenn Familien dreißig Jahre lang gezwungen waren, getrennt weiterzuleben; sie sind ein Opfer der Gesellschaft, die der Regisseur in seinem Werk immer wieder für ihre Unmenschlichkeit anklagt. Die Realitätsnähe auch der Charaktere und der Handlung, die sich jeder aufgesetzten Dramatik und einem Happy End verweigert, und der vollständige Verzicht auf eine verbale Artikulation von Gefühlen verstärken die Kraft dieser humanistischen Aussage. Laut Im ist der Film, den er ohne Drehbuch drehte, für ihn eine "Antwort auf die Depression, die ich bei diesem Thema empfand".

Im Kwon-Taek - Retrospektive

Chukje (Festival, 1996) ist eine Komödie, die ganz um das Thema des Todes kreist. Während der dreitägigen Beerdigungszeremonie für die verstorbene Mutter des erfolgreichen Schriftstellers Lee Jun-Sub, der mittlerweile in Seoul lebt, wird der Zuschauer in die Komplexität der verschiedenen Rituale eingeführt. Sie bestehen aus Elementen verschiedener Religionen (hauptsächlich Konfuzianismus und Schamanismus, dem traditionellen Volks(aber)glauben), die quasi-dokumentarisch vorgestellt werden, was stellenweise an einen ethnographischen Lehrfilm erinnert. (Dazu tragen vor allem auch die Untertitel bei, die westlichen Zuschauern zusätzliche Informationen liefern und den Film noch didaktischer erscheinen lassen.) Beleuchtet wird in diesem Zusammenhang auch der auf dem Konfuzianismus beruhende Ahnenkult, bei dem verstorbene Familienangehörige zu Göttern werden, und das Beerdigungsritual diesen Übergang markiert. Man lernt dabei aber auch Jun-Subs Familie kennen, bekommt einen Einblick in eine koreanische Großfamilie aus der Provinz, wenn diese auch oft überspitzt dargestellt wird. Dass diese Familie z.T. sowohl autobiographisch verstanden werden kann, als auch als verallgemeinerte Darstellung der koreanischen Gesellschaft gelten darf, legt die sowohl liebevolle, humorvolle als auch kritische Zeichnung der Familienmitglieder nahe. Konflikte sind bei solch großen Familientreffen natürlich vorprogrammiert, und sie treten hier vor allem auf, als Yong-Soon, die uneheliche Tochter eines verstorbenen Bruders auftaucht, die als Kind aus der Familie geflüchtet war, die sie nie als rechtmäßiges Mitglied akzeptiert hatte. Sie konfrontiert Jun-Sub mit der Kluft, die zwischen der beschönigenden Darstellung der Familie in seinen Romanen und seiner tatsächlichen Rolle in der Familie besteht. Sie, die die Großmutter fast als einzige aufrichtig geliebt zu haben scheint, wirft den anderen, besonders Jun-Sub, ihre Heuchelei und Selbstsucht vor. Eine weitere Ebene durchzieht den Film, die in hochstilisierten, idealisierten Bildern die symbolhafte Kinderbuchversion der Familiengeschichte zeichnet. Der Film stellt unter anderem die Frage, ob diese Ebenen tatsächlich unvereinbar miteinander sind.

Der Kostümfilm Ssibaji (Die Leihmutter, 1986) ist in der Chosun-Dynastie (14. bis Anfang 19. Jh.) angesiedelt und erzählt die Geschichte des jungen Mädchens Oknyo, die wie bereits ihre Mutter als Leihmutter für einen jungen Fürsten und dessen Frau engagiert wird. Dem Paar ist es selbst unmöglich, einen Stammhalter für die Familie zu zeugen, so dass die Familienältesten diesen Ausweg aus der Misere wählen. Erzählerisch der konventionellste der drei Filme, prangert der Film offensiv die konfuzianische Tradition der Ahnenverehrung an, bei der die Lebenden für das Wohlergehen der Toten im Jenseits verantwortlich sind. Die dafür notwendigen Rituale sind größtenteils von den Söhnen durchzuführen, was einen männlichen Stammhalter unverzichtbar macht. Der junge Fürst, der sich zunächst gegen die Idee sträubt, da er seiner Frau treu ergeben ist, verliebt sich dennoch bald in die hübsche, "wilde" Oknyo. Sie erwidert diese Gefühle, obwohl ihre Mutter sie davor gewarnt hatte. Das Mädchen wird schwanger, der Fürst wird in ein Kloster geschickt. Kaum ist der gesunde Junge geboren, wird Oknyo das Kind weggenommen, sie selbst und ihre Mutter werden in die Ferne geschickt, wo sie als Bezahlung ein paar Reisfelder erhalten. Doch Oknyo erträgt die Trennung von ihrem Geliebten und ihrem Sohn nicht und nimmt sich das Leben. Die Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, dient Im Kwon-Taek nicht nur dazu, die Stellung der Frau anzuklagen, die im Namen der patriarchalischen Gesellschaft ihre Opferrolle duldsam ertragen musste; die Geschlechterbeziehung lassen sich aber auch als Parabel für die Beziehungen zwischen den Gesellschaftsschichten lesen: die Frau symbolisiert das von der Oberschicht unterdrückte Volk – auch dies ein wiederkehrendes Motiv im Kosmos von Im Kwon-Taek.