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März 2005
Mélanie Chebance
und Thomas Vorwerk
für satt.org

L’esquive
Frankreich 2003

L’esquive (R: Abdellatif Kechiche)

Regie:
Abdellatif Kechiche

Buch:
Abdellatif Kechiche, Ghalya Lacroix

Kamera:
Lubomir Bakchev

Schnitt:
Ghalya Lacroix, Antonella Bevenja

Darsteller:
Osman Elkharraz (Krimo), Sara Forestier (Lydia), Sabrina Ouazani (Frida), Nanou Benhamou (Nanou), Hafet Ben-Ahmed (Fathi), Aurélie Ganito (Magalie), Carole Franck (Lehrerin), Hajar Hamlili (Zina), Rachid Hami (Rachid), Meriem Serbah (Krimos Mutter), Olivier Loustau, Rosalie Symon, Patrick Kodjo Topou, Lucien Tipaldi (Polizisten)

117 Min.

Kinostart:
10. März 2005

L’esquive

Ein Film, der uns die Jugendlichen aus den Banlieus, den Siedlungen, über die man in den Medien nur Schlimmes hört, mal nicht so klischeehaft vorstellt.

L’esquive (ein französischer Alltagsbegriff für’s "sich drücken", für’s "kneifen") beobachtet eine Gruppe junger Leute, die in diesen heruntergekommenen Trabantenstädten um Paris herum versuchen, ein ganz normales Leben zu führen.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Krimo, der gerade von seiner Freundin verlassen worden ist, verliebt sich unerwartet in Lydia, eine langjährige "nur" gute Freundin und Schulkameradin. Sie ist Teil einer Theatergruppe, die das Stück von Marivaux Das Spiel von Liebe und Zufall am Ende des Schuljahres aufführen wird. Er ist aber viel zu gehemmt in seiner sozialen Position als harter Immigrantenjunge, um seine Gefühle zu seinem vermeintlichen Engel einzugestehen.

Er schließt sich troztdem bald der Theatergruppe an (statt eines Castings wechseln Markenprodukte ihren Besitzer), um Lydia näher zu sein, aber die Sprache von Marivaux aus dem 19ten Jahrhundert ist für den wortkargen und eher lernscheuen Jungen die Hölle. Außerdem ist man in den Siedlungen schnell ein Außenseiter, wenn man so was "Intellektuelles" macht und aus Angst sich lächerlich zu machen ("Du ruinierst Dir den Ruf, wenn Du hier schwul Theater spielst"), hört er bald wieder auf.

Lydia ist eine naturtalentierte Schauspielerin, die selbstbewusster mit ihren Gefühlen und Lüsten umgeht. Der Beweis dafür: sie läuft im Kiez mit einem Kostümkleid herum und übt das Stück mit Frida und Rachid sogar im Hof der Siedlung. Krimos Verführungsversuche lassen sie nicht ganz kalt. Aber sie leidet auch unter dem sozialen Druck der Gesellschaft, in der Frauen, die sich liberal benehmen oft als Huren stigmatisiert werden.

Die jungen Leute leiden unter den üblichen Problemen, die man teilweise aus seiner eigenen Teenager-Zeit kennt (Liebeskummer, Freundschaftskrise, aufgebrauchtes Handy-Guthaben). Doch neben diesem oft humorvollen Wiedererkennungswert geht es in L’esquive auch um die sozialen Spannungen in und um die Vororte, die in der Aggressivität der Jugendlichen und der Gewalt ihrer Sprache jederzeit spürbar sind (die in den deutschen Untertiteln mithilfe englischsprachiger Vokabeln wie brother, homie oder motherfucker gut herübergebracht wird), sich aber auch über die Umwelt, über einsitzende Elternteile und Polizeiwillkür definieren.

Der Regisseur bleibt hautnah an den Figuren, an deren Wünschen und Begierden. Diese jungen Menschen werden dauernd mit einer vorgestanzten Identität und gesellschaftlichen Platzzuordnung konfrontiert. Die performances der Laiendarsteller sind erstaunlich, European Shooting Star Sara Forestier, die die Lydia spielt, schaffte mit diesem Film ihren Durchbruch und gewann auch einen der vier Césars, mit denen L’esquive vor kurzem ausgezeichnet wurde (die anderen drei sind die für den besten Film, die beste Regie und das beste Drehbuch).

Ein hardcore-mäßig krass geiler Film, ich schwör’s beim Koran und bei meiner Mutter!