Cinemania 10:
Berlinale Sauerkraut
Wenn nicht anders angegeben, stammen die Rezensionen von Thomas Vorwerk
One Day in Europe
(Hannes Stöhr, Wettbewerb)
Deutschland / Spanien 2005, Buch: Hannes Stöhr, Kamera: Florian Hoffmeister, Schnitt: Anne Fabini, Musik: Florian Appl, mit Megan Gay (Kate), Luidmila Tsvetkova (Elena), Florian Lukas (Rokko), Erdal Yildiz (Celal), Peter Scherer (Gabor), Miguel de Lira (Sargento Barreira), Rachida Brakhni (Rachida), Boris Arquier (Claude), Facundo Diab (Facundo), Kirsten Block, Tom Jahn, Oleg Assadulin, Vita Saval, Nikolai Svechnikov, Nuray Sahin, Ahmet Mümtaz Taylan, Goldi Martinez (Polizisten), 100 Min., Kinostart: 7. April 2005Vier Episoden in vier europäischen Städten (Moskau, Istanbul, Santiago de Compostela und Berlin) werden über ein Finale der Fußball-Champions League zwischen Galatasaray Istanbul und Deportivo La Coruca verbunden. In den Episoden geht es um fein variierte Themen: um reale und simulierte Überfälle, um Versicherungsbetrug, Polizeiprotokolle und Sprachbarrieren, um fahrbare Untersätze in einer fremden Stadt und auch ein wenig um Fußball. Natürlich muss sich Regisseur Hannes Stöhr (
Berlin is in Germany) bei dieser Prämisse mit dem Großmeister der Episodenfilme Jim Jarmusch, und insbesondere dem Film
Night on Earth messen, doch schon der sehr ähnliche Titel zeugt von Stöhrs Selbstbewusstsein und zumindest das Drehbuch kann dem Vergleich standhalten.
One Day in Europe funktioniert als Komödie vorzüglich und über die wiederkehrenden Themen kommt auch die Botschaft der Völkerverständigung gut herüber. Wenn Rokko (Florian Lukas) beispielsweise in Istanbul dem Taxifahrer Celal (Erdal Yildiz) auf Englisch sein Leid nach einem vermeintlichen Raubüberfall klagt und dieser nach einigen Sätzen auf breitestes Schwäbisch umschaltet, so ist das mehr Verständigung als Rokko wollte. Wenn aber zwei glücklose ausländische Künstler einem Reiseführer entnehmen wollen, in welchem Berliner Stadtteil man am ehesten überfallen werden kann, so stehen ihre Chancen trotz Infomaterial in eigener Sprache weitaus schlechter. Natürlich spielen auch die verschiedenen Mentalitäten eine große Rolle. Ein ungarischer Geschichtsprofessor (und frommer Pilger) stößt auf ein verschlafenes galizisches Polizeirevier, bei dem man die Überwachungskameras lieber dazu benutzt, jungen Mädchen nachzustellen, und die englische Kunsthändlerin Kate in Moskau kann nur mutmaßen, wie gut Taxifahrer, Räuber, Polizisten und andere Helfer in der Not hier gemeinsames Spiel machen. Der Film kann seinen Spannungsbogen bis zum Elfmeterschießen halten, was sicher auch an den durchweg überzeugenden Darstellern und der energetischen Musik liegt.
Vielleicht lernt man sogar etwas für die nächste Interrail-Reise: über Polizeireviere für Touristen oder die Wahl des richtigen Taxis.
One Day in Europe erscheint mir aber die amüsante und preiswerte Alternative zu einer Europe-Rundreise und von den drei deutschen Wettbewerbsbeiträgen auf der Berlinale 2005 war der Film eindeutig der einzige, der die Erwartungen klar übertraf.
Und das von Jim Avignon erstellte Filmplakat hätte eigentlich einen Sonderpreis verdient.
Horst Buchholz …mein Papa
(Christopher Buchholz
& Sandra Hacker, Panorama)
[Rezension von Kathi Hetzinger]
Deutschland 2005, Buch: Christopher Buchholz, Sandra Hacker, Kamera: Christopher Buchholz, Olivier Distel, Sandra Hacker, Arthur Boisnard, Schnitt: Jean-Marc Lesguillons, Musik: Arnaud Jacquin, mit Horst Buchholz, Myriam Buchholz Bru, Simran Kaur Khalsa, Christopher Buchholz, Heidi Dietrich, 90 Min.
Mit diesem Film hat Christopher Buchholz ein sehr persönliches Porträt seines Vaters geschaffen, eine Lebens- und Familiendokumentation, und eine Hommage an seine Mutter. Begonnen wurden die Aufnahmen im Jahr 2001 als
ongoing project, durch das es endlich einmal zu wirklichen Gesprächen zwischen Vater und Sohn kommen sollte - mehrmals wird die Mundfaulheit der Familie, besonders des Vaters, im Film thematisiert. Als Chance verstand der Sohn diese Gespräche, aus denen bald die Idee zu einer Dokumentation entstand. Neben Vater Horst kommen auch seine Frau Myriam und die beiden Kinder zu Wort, Christopher und Beatrice, oder besser Simran (ihr Name, seit sie Sikh geworden ist). Nach Buchholz' Tod im Jahre 2004 jedoch stellte sich die große Frage: machen wir weiter? Christopher Buchholz entschied sich dafür weiter zu machen, "mutig" wie seine Co-Regisseurin Sandra Hacker meint, die einen neutralen Standpunkt außerhalb der Familie in die Arbeit mit einbrachte. Neue Gespräche kamen zu dem alten Material hinzu, so dass aus dem Film auch ein Stück Trauerarbeit wurde.
Buchholz' Arbeit als Schauspieler spielt dabei nicht die größte Rolle, auch wenn man mit Freude z.B. eine Anekdote über sein erstes Treffen mit Billy Wilder oder über Gina Lollobrigida hört. Es geht um den Menschen Buchholz, den Mann, den Ehemann, den Vater. Chronologisch folgen wir Buchholz' Leben und Karriere, erfahren, wie sich Horst und Myriam kennen und lieben lernten. Bei einem Filmdreh natürlich, es war wohl Liebe auf den ersten Blick. Nach dem dritten Abendessen waren sie verlobt. Bei der Hochzeit entschlüpfte der französischsprachigen Braut ein Versprecher: "I will take thee as my awful husband." An Kleinigkeiten wird die enge Verbundenheit zwischen den Eheleuten deutlich, die sich scherzeshalber z.B. manchmal siezten; eine Angewohnheit, die auch auf den Sohn übergegangen ist. Erstaunlich offen, wie man wohl nur zum eigenen Sohn sprechen kann, spricht die Frau des Stars und "Paschas" über dessen außereheliche Eskapaden, die sie stets tolerierte. Größere Probleme hatte sie später, als ihr Mann mit "einem Freund" gemeinsam nach Berlin zog, das Thema Homosexualität seiner Familie gegenüber jedoch niemals offen zur Sprache brachte. Die größten Schwierigkeiten bereitete es ihr jedoch, wenn sie dabei zusehen musste, wie ihr Mann sein Talent vergeudete und ein interessantes Angebot nach dem anderen ablehnte, wie z.B. Rollen in Viscontis
Rocco und seine Brüder und
Der Leopard oder in
West Side Story. Der Sohn hakt auch an unangenehmen Stellen nach, bis sich die Mutter schließlich verweigert und sagt, dass sie darüber nichts sagen möchte: "intimes, intimes".
Es entsteht u.a. das Bild einer multinationalen Familie: der Vater Deutscher (der in der Hitler-Jugend war), die Mutter eine französische Jüdin, die Kinder in Amerika und der Schweiz dreisprachig aufgewachsen. Buchholz entschied sich bewusst, eine deutsche Dokumentation zu drehen, die Interviews also in Deutsch zu führen. Da er mit seinem Vater Englisch sprach und mit der Mutter Französisch spricht, ergab sich durch die ungewohnte Sprache eine Distanzierungsmöglichkeit, bzw. eine Möglichkeit, neu miteinander umzugehen, alten Mustern zu entkommen.
Buchholz junior gelingt so eine interessante Charakterstudie, bei der die Personen in ihrer Art zu sprechen und sich zueinander zu verhalten mehr über sich sagen, als in Worten. Zum Beispiel darüber, inwieweit Intimität und Privatsphäre in der Familie und in der Öffentlichkeit, was sich in diesem Film ja überschneidet, unterschiedlich bewertet werden. Darüber, wie viel man von sich preisgeben kann, ohne dass man verletzt wird. Buchholz geht dabei bis an die Grenze, manchmal überschreitet er sie sogar.
Das Lächeln der Tiefseefische
(Till Endemann, Perspektive Deutsches Kino)
Deutschland 2004, Buch: Till Endemann, Kamera: Felix Cramer, Schnitt: Rebecca Khanide, Musik: Enis Rotthoff, mit Jacob Matschenz (Malte), Adrian Topol (Pawel), Peter Kurth (Dietmar), Victoria Mayer (Hannah), Alice Dwyer (Annika), Benjamin Meyer (Lukas), Jessica Richter (Lisa), Bo Hansen (Götz), Tom Jahn (Paule), Fritz Roth (Fahrlehrer), Gernot Endemann (Knottke), 88 Min.Der fast volljährige Malte (Jacob Matschenz) lebt mit seinem alkoholkranken Vater Dietmar in einer baufälligen "Villa" in der Nähe des Seebad Ahlbeck auf der Ostseeinsel Usedom nahe an der polnischen Küste. Neben seinem Job in einer Fischbude bessert Malte seine Finanzen mit seinem besten Freund Pawel (Adrian Topol, die polnische Antwort auf Tom Schilling) mit aus Polen geschmuggelten Zigaretten auf.
Doch da kehrt Maltes ältere Schwester Hannah zurück ins ehemalige Elternhaus (die Mutter ist verstorben) und bringt auch gleich ihren Sohn Lukas mit, auf den Malte während Hannahs Probezeit als Supermarktkassiererin aufpassen soll. Das passt Malte natürlich gar nicht, auch weil er sich gerade verliebt hat, in die 16-jährige Magdeburgerin Annika, die mit ihrer Mutter und Schwester nur noch für eine Woche auf Usedom im Urlaub ist.
Der Film um den zwischen verschiedenen Verantwortungspflichten hin- und hergerissenen Malte hätte ähnlich wie Netto auch in die Reihe 14plus passen können, wo deutschsprachige Filme in diesem Jahr Fehlanzeige waren, aber während Netto sich nur zu etwa 40% um den jugendlichen Protagonisten kümmert, ist bei Das
Lächeln der Tiefseefische wahrscheinlich die nicht astreine pädagogische Auslegung schuld - ungeschützter Sex und glimpflich ausgehende Schmuggelaktionen wirken da nur als schlechtes Beispiel.
Für den deutschen Film hingegen ist
Das Lächeln der Tiefseefische ein durchaus gutes Beispiel. Schon vom Titel und der Vorliebe für die Farbe Blau erinnert Till Endemanns Debütfilm an eine frühe "Perspektive"-Erfolgsgeschichte,
Fickende Fische, doch von der Tonart findet sich Das Lächeln auch in der Nähe von Henner Winklers
Klassenfahrt. Daß die Nebenrolle des vermeintlichen deutschen Shooting Stars Alice Dwyer (
Baby, Lichter, Erbsen auf halb sechs) hier aus Publicity-Gründen stark aufgeblasen wird, ist das einzige Ärgernis eines Films, der die besten Merkmale von zwei Berlinale-Reihen auf sich vereinigt, und dabei dennoch so gar nicht wie ein Festivalfilm wirkt, sondern so unverdrossen wie die Jugendfilme aus DEFA-Zeiten, nur halt diesmal nach der Wende.
Gespenster
(Christian Petzold, Wettbewerb)
Deutschland / Frankreich 2005, Buch: Christian Petzold, Harun Farocki, Kamera: Hans Fromm, Schnitt: Bettina Boehler, mit Julia Hummer (Nina), Sabine Timoteo (Toni), Marianne Basler (Franoise), Aurélien Recoing (Pierre), Benno Fürmann (Oliver), Anna Schudt (Kai), Claudia Geissler (Heimleiterin), Philipp Hauß (Mathias), Peter Kurth (Vorarbeiter), 85 Min., Kinostart: 22. September 2005Schon für
Die innere Sicherheit lautete ein Arbeitstitel
Gespenster, und Personen, die vom normalen Leben "losgelöst" sind und wie "in einer Blase", einer Phantomwelt leben, spielten in den Filmen von Christian Petzold immer eine große Rolle. Nachdem schon die Prämisse von
Wolfsburg manchen an Claude Chabrol erinnerte, drehte Petzold seinen
Fantômes (frz. Titel des Films) diesmal sogar teilweise in Französisch, und über die Außenaufnahmen im Tiergarten erinnert sein neuer Film ein wenig an Angela Schanelec, die ja auch zuletzt in Marseille die französische Sprache für sich entdeckte.
Der Anfang des Films könnte ebenfalls von Chabrol stammen. Die rebellische Nina (Julia Hummer) soll im Tiergarten Müll aufsammeln und beobachtet dabei einen mysteriösen Übergriff auf eine junge Frau. Statt sich einzumischen, agiert Nina nur als vorsichtiger Voyeur, und wenn dieselbe Frau später von Ninas wütenden Müllmann-Kollegen verfolgt wird ("Hey! Die klaut!"), verbirgt sie Toni (Sabine Timoteo, bekannt aus
L'amour, l'argent, l'amour, womit wir beim deutsch-französischen Thema bleiben) unter einer Holzbrücke.
Die zwei jungen Frauen kommen sich (jenseits aufdringlicher Lesben-Erotik) langsam näher und in dieser Annäherung, die auch über eine subtile bis offensichtliche Farbdramaturgie inszeniert wird, finden sich die stärksten Momente des Films. Doch gefundene Ohrringe, Diebesaktionen bei H&M und eine zerbrechliche Mädchenfreundschaft hätten Chabrol ebensowenig gereicht wie Christian Petzold, der über ein französisches Ehepaar, das im Film lange Zeit wie ein Fremdkörper wirkt, den eigentlichen
plot ins Rollen bringt. Die Tochter von Franoise (Marianne Basler) wurde vor vielen Jahren im Alter von drei in Berlin entführt, und immer wieder glaubt die psychisch angeknackste Frau sie in herumtreiberinnen wie Nina wiederzuerkennen.
Die Konfrontationen zwischen den Filmfiguren lassen die schönen Seifenblasen der sich treiben lassenden Protagonisten zerplatzen und auch der eigentlich nette Gastauftritt von Benno Fürmann (Petzold arbeitet gerne mit dem selben Team) wirkt etwas
aufgeblasen, stammt dieser Teil des Films doch aus einem früheren Treatment, das nun gemeinsam mit Inspirationen aus einem Frankreich-Urlaub (die Geisterportraits, per Computer gealterte Bilder von vermissten Kindern) und dem Märchen
Das Totenhemdchen der Gebrüder Grimm (Ähnlichkeiten zu thematisch ähnlich gelagerten Filmen um Muttertrauer wie Christoph Hochhäuslers - in Frankreich sehr erfolgreichem -
Milchwald und Petzolds eigenem
Wolfsburg drängen sich auf) zu einer ohne Zweifel interessanten Mischung zusammenfanden. Bei einer der wichtigsten deutschen Regiehoffnungen wie Petzold wirkt das Endresultat aber seltsam "unfertig", und daß dies dem Thema des Films entspricht, kann die Enttäuschung über ein nur in der ersten Hälfte überzeugendes Filmexperiment auch nicht aufwiegen.
"Merkwürdig blass" wie die Gespensterportraits wirkt der ganze Film.
Weltverbesserungsmaßnahmen
(Jörn Hintzer, Jakob Hüfner,
Perspektive Deutsches Kino)
[Rezension von Kathi Hetzinger]
Deutschland 2004,Buch: Jörg Hintzer, Jakob Hüfner, mit Jan Schütte, Andreas Nickl, Conny Schwalm, Torsten Schlosser, Jakob Hüfner, Peter Berning, Christoph Bach, 75 Min.Weltverbesserungsmaßnahmen hält was sein Titel verspricht: die kreative Ideenschmiede hat zugeschlagen und heraus kamen sieben einfache Methoden, unsere Welt ein wenig zu verbessern. Es wird dem Zuschauer jedoch sehr schnell klar, dass man es hier mit einem Beispiel des Genres der so genannten Fake-Doku zu tun hat. Hauptcharakteristikum dieses Genres ist wohl der alles umfassende Einsatz der Ironie – ohne die auch hier gar nichts geht. Werden wir doch Zeuge des beruflichen Erfolges eines Unternehmers, der, um Kosten zu sparen, seine Büros kurzerhand ins Freie, in die Stadt selbst verlegt. Eine Tischtennisplatte dient als Konferenztisch, Telefonzellen als Call Center. Oder wir erleben, wie der zum Leihbruder für Einzelkinder umgeschulte Martin sich immer mehr in seinem Job verliert, bis er schließlich kaum noch zwischen Arbeit und Leben unterscheiden kann. Wenn spätestens bei der dritten Episode jedem klar sein dürfte, dass der Experte, der zum jeweiligen Thema befragt wird, jedes Mal derselbe Schauspieler ist, der zudem auch noch jedes Mal denselben Namen hat, ist klar, dass hier nichts wirklich ernst gemeint ist. Und man schwankt zwischen Lachen und Kopfschütteln hin und her. Andererseits kann man den gesellschaftlichen Nutzen von, zum Beispiel, Ampel e.V. auch nicht so ganz von der Hand weisen. Wer hat sich nicht selbst schon geärgert über lange Ampelschlangen im Berufsverkehr, die durch motorisierte Trantüten, die erst nach zehn Sekunden reagieren, wenn überhaupt, auch nicht gerade verkürzt werden. Die Kette als organisches Wesen", in der jedes Glied reibungslos mit dem Vorder- und Hinterauto interagiert – ein schöner Traum für deutsche Straßen. Auch der nach Farben sortierte Parkplatz ist durchaus ansprechend fürs Auge, und eigentlich wirklich nicht so schwierig durchzuführen (wenn auch vielleicht nicht gerade in der Haupteinkaufszeit). Was also ist die
Message des Films? Kritik an der Idee, oder zumindest der Durchführung so mancher tatsächlicher Ich-AG? Aufruf zu mehr Eigeninitiative der Bürger? Anregung, es noch besser zu machen, als die sieben kreativen Köpfe im Film? Für was man sich letztendlich entscheiden mag, ein höchst amüsanter Film, der einem trotzdem zum Nachdenken anregt, ist auf jeden Fall dabei herausgekommen.
Beyond the Sea
(Kevin Spacey, Panorama)
[Rezension von Kathi Hetzinger und Thomas Vorwerk]
Deutschland/Großbritannien 2004, Buch: Kevin Spacey, Lewis Colick, Kamera: Eduardo Serra, Schnitt: Trevor Waite, Choreograhie: Rob Ashford, Musik und Songs: Kevin Spacey, The John Wilson Orchestra, mit Kevin Spacey (Bobby Darin), William Ullrich (Bobby als Kind), Kate Bosworth (Sandra Dee), Brenda Blethyn (Polly Cassotto), Caroline Aaron (Nina Cassotto Maffia), Bob Hoskins (Charlie Cassotto Maffia), John Goodman (Steve "Boom Boom" Blauner), Greta Scacchi (Mary Duvan), Peter Cincotti (Dick Behrke), 118 Min., Kinostart: 17. Februar 2005Wenn ein Schauspieler bereits so ziemlich alles erreicht hat, was zu erreichen ist (beispielsweise wie Kevin Spacey zwei Oscars), wird öfters ins Regiefach gewechselt, wie es etwa Jodie Foster, George Clooney, Tom Hanks oder Edward Norton ausprobierten. Über Erfolg und Misserfolg solcher Ausflüge entscheidet oft (aber nicht immer) das kleine Detail, wen der Regisseur zum Hauptdarsteller erklärt. Robert Redfords Regiedebüt
Ordinary People gewann beispielsweise mit Recht den Oscar als bester Film, sein
Horse Whisperer erscheint einem eher wie eine misslungene peinliche Selbstbeweihräucherung.
Kevin Spacey fungiert im zweiten von ihm inszenierten Film nicht nur als Produzent und (Co-)Drehbuchautor, er ließ es sich auch nicht nehmen, sich die Hauptrolle des Bobby Darin (der mit 37 starb, was den 46-jährigen Spacey aber höchstens herausforderte) auf den Leib zu schneidern und – ganz nebenbei – auch noch sein unerwartetes Coming-Out als (gar nicht mal schlechter) Sänger zu feiern.
Biographien sind zur Zeit bekanntermaßen eine sehr beliebte Ausdrucksform, vor allem in Hollywood. Dabei kann es schon mal passieren, dass die eigentliche Hauptperson, deren Leben (und Werk) zur Darstellung gebracht werden soll, wie hier, in den Hintergrund rückt, zugunsten der Künstler, die sich des Stoffes bemächtigen - Regisseur und Darsteller (also Kevin Spacey in Personalunion) allen voran.
Der Film beginnt mit einem legendären Auftritt von Bobby Darin. Alles läuft wunderbar, das Publikum ist begeistert, doch da sieht Bobby einen Jungen hinter dem Vorhang hervorspähen und sieht – sich selbst. Er muss seinen Auftritt abbrechen. Glücklicherweise handelt es sich jedoch nur um einen Filmdreh von "Beyond the Sea", Darins filmischem Selbstportrait (das es in Wirklichkeit niemals gab), und der kleine Junge ist "nur" der Schauspieler, der Darin als Kind spielt. Die nächste halbe Stunde des Films lebt von der Auseinandersetzung des älteren Bobby mit seinem jüngeren Ich. Der Junge erinnert Bobby daran, wie alles tatsächlich angefangen hat (mit seiner Mutter natürlich), und der Alte lehrt den Jungen die Bedeutung der Fantasie. Der Film bewegt sich zwischen diesen beiden Polen der äußeren Wahrheit und inneren Wahrheit. Spacey reflektiert hier filmisch, nicht nur, wie er sich als Regisseur und Hauptdarsteller mit dem Leben von Bobby Darin nähern kann, es geht ihm um die grundsätzliche Frage nach der Vertrauenswürdigkeit der Erinnerung. Nebenbei findet Spacey durch die Konstruktion des Films im Film auch noch eine Möglichkeit, Darin auch als 20-jährigen selbst zu spielen.
Zu schnell jedoch macht Spacey einen Rückzieher: nach der romantischen Musical-Annäherung an seine spätere Frau Sandra Dee tritt erstmal Routine ein. Darin ist ein Star, hat ein Haus, eine Familie, und auch eine Oscar-Nominierung lässt nicht lange auf sich warten. Der Film im Film ist mit der Beerdigung der Mutter abgeschlossen, das konventionelle Bio-Pic kann beginnen. Es kriselt in der Ehe, der Oscar geht an Melvyn Douglas, das Land befindet sich im Krieg, und die Mutter war gar nicht seine richtige Mutter. Aus dem swingenden Entertainer, der größer als Sinatra werden wollte, wird ein Gitarre-klampfender Hippie, den niemand hören bzw. sehen will. Die Perspektive des Films verschiebt sich, weg von Darin/Spacey, hin zu den Kräften, auf die er keinen Einfluss hat. Es ist zwar durchaus angemessen, das Tempo dieser Lebensphase Darins entsprechend etwas zurückzunehmen, es ist allerdings fraglich, ob es sinnvoll ist, Darins Selbstdarstellung und -wahrnehmung, aus der der Film bisher seine Spannung bezog, komplett aufzugeben. Erst ganz am Ende taucht Darins junges
Alter Ego wieder auf, der kleine Robert Walden Cassotto (Darins Geburtsname), jedoch nur um die Trennung von körperlichem Wesen und Künstlerpersönlichkeit, die auch nach dem Tod noch weiterswingt, zu vollziehen. Von der spielerischen Leichtigkeit, mit der zu Beginn des Films reflektiert wurde, ist am Ende nicht mehr viel zu spüren; die Spannung ist im Sande verlaufen. Was von Spaceys Regie-Trick in Erinnerung bleibt, ist, dass er Darin, den 20-jährigen, wohl auch keinem anderen Schauspieler überlassen wollte.
Keine Lieder über Liebe
(Lars Kraume, Panorama)
[Rezension von Friederike Kapp]
Deutschland 2005, Buch: Lars Kraume, Kamera: Sonja Rom, Schnitt: Barbara Gies, Ton: Stefan Soltau, Redaktion: Annedore von Donop, ZDF/Das kleine Fernsehspiel, mit Florian Lukas (Tobias Hansen), Jürgen Vogel (Markus Hansen), Heike Makatsch (Ellen), Thees Uhlmann (Thees), Marcus Wiebusch (Markus), Felix Gebhard (Felix), Max Martin Schröder (Max), 98 Min.Kann das gut gehen, wenn ein Mädchen mit auf Tour geht? Man ahnt wie das ausgeht: Die Frau steht irgendwann angenervt mit ihren Koffern auf irgendeinem staubigen Parkplatz. Auch Markus (Jürgen Vogel) glaubt, daß das nur Ärger bringt. Ellen (Heike Makatsch) kommt dann aber doch mit, weil Tobias (Florian Lukas) darauf drängt und die übrigen Bandmitglieder nichts dagegen haben.
Mit der Beziehung zwischen Tobias und Ellen steht es, trotz anfänglicher zarter Szenen, nicht zum Besten, was auf der Tour dann auch zum Ausdruck kommt. Mit Tobias’ Beziehungen steht es überhaupt allgemein nicht zum Besten. Das Verhältnis zu seinem großen Bruder ist gespannt, das Verhältnis zur Mutter problematisch. Spielt sich da was ab zwischen Ellen und Markus? Verstehen die beiden sich nicht auffällig gut? Hatten die mal was miteinander, heimlich?
Tobias fühlt sich als Zukurzgekommener und bearbeitet dieses Gefühl, indem er eine Art Dokumentarfilm dreht, eine ausgewählte Bestandsaufnahme seiner Umwelt. Die Kamera ist seine Legitimation, mit der er sich seinem Bruder und seiner Mutter nähert, und zugleich sein Schutz: er darf fragen, die anderen sollen antworten. Sie machen mit, wenn auch widerstrebend.
Und so begleitet Tobias mit seiner Kamera und seiner Freundin Markus und dessen Band auf einer Konzerttour.
Das Besondere an diesem Film sei das hohe Maß an Improvisation, das die Dreharbeiten bestimmte, betont das Presseheft, betonten Regisseur und Darsteller bei der Vorstellung des Films während der Berlinale. Es gab zu Drehbeginn kein ausgearbeitetes Drehbuch, Lars Kraume entwickelte gemeinsam mit den drei Hauptdarstellern die Figuren und Konflikte, und dann wurde gedreht. Die Konzerte sind echt, Jürgen Vogel als Sänger bildete gemeinsam mit Thees Uhlmann von
Tomte (Gitarre), Marcus Wiebusch von
Kettcar (Gitarre), Felix Gebhard (Baß) und Max Martin Schröder (Schlagzeug) die
Hansen Band, deren Aufnahmen ab Herbst dieses Jahres käuflich zu erwerben sein werden.
Der zur Premiere im International geladene Regisseur und seine Hauptdarsteller waren augenscheinlich sehr stolz auf ihre Methode, erzählten amüsant und anekdotenreich und forderten am Schluß unsympathischerweise das Publikum auf, ihrem Film den Panorama-Publikumspreis zu verleihen. Der ansonsten ausgezeichnete Moderator dieses kleinen Bühnengesprächs fiel gänzlich aus seiner Rolle, indem er sich dieser Aufforderung anschloß.
Beim Drehen war den Darstellern vorgegeben, Tag und Nacht in ihren Rollen zu bleiben. Wenn sie anfingen, sich gegenseitig zu nerven, dann wurde daraus am Ende eine Szene, in der die Figuren sich gegenseitig nerven. Das klappt zwar, aber mehr auch nicht. Man sieht dem Film nicht an, daß Heike Makatsch jetzt als Heike Makatsch genervt ist, und nicht als Ellen, bzw. sowohl als Heike Makatsch wie auch als Ellen.
In dem ebenfalls auf der Berlinale gezeigten italienischen Film
La vita che vorrei ist die Hauptfigur eine Schauspielerin, der eine emotionale Trennung zwischen dem Film, in dem sie spielt, und ihrem realen Leben nicht gelingt, die sie vielleicht sogar ablehnt, weil sie spürt, daß sie auch Kapital schlägt aus dem kräftezehrenden Opfer, das ihre ununterbrochene Hingabe bedeutet. Für
Keine Lieder über Liebe hingegen wurden die Schauspieler mehr oder weniger gezwungen, ihr reales Leben in Form ihrer realen Befindlichkeiten in den Film zu tragen, und das Ergebnis ist gerade mal Durchschnitt. Das hätte man mit weniger Mühe haben können.
Beide Filme thematisieren also das Filmen und zeigen Szenen, die zum Film im Film gehören. In
La vita che vorrei mag die Hauptfigur Schwierigkeiten haben, zwischen Film und Realität zu trennen, der Film macht diese Trennung dafür umso deutlicher. So beispielsweise in einer Szene die eine Kutschfahrt zeigt: die Kutsche bewegt sich im Rhythmus der Pferdeschritte, die Frau sitzt sinnierend in der Kutsche, im doppelten Wortsinn bewegt, im Hintergrund ziehen Bäume vorbei. Dann fährt die Kamera zurück und enthüllt den Blick auf den Drehort: kein Pferd weit und breit, die Kutsche ist aufgebockt und wird von zwei Helfern bewegt. Ein weiterer Helfer zieht die Alleebäume an der Kutsche vorbei. Die Illusion wird transparent gemacht, und das Erstaunliche ist: beim nächsten Mal funktioniert sie doch wieder. Das bekommt der Zuschauer eins ums andere Mal vorgeführt, das ist gekonnt, spannend und erheiternd.
Für
Keine Lieder über Liebe muß konstatiert werden, daß die Aufhebung der Trennung zwischen real und fiktiv sich rein auf den Vorgang des Drehens beschränkt, im Film gibt es keine zweite Ebene, die man dem Ergebnis ansehen könnte. Insofern mag die von Lars Kraume verwendete Methode soziologisch von Interesse sein, ein besserer Film wird deshalb noch lange nicht daraus. Die Erzählfunktion des Films im Film ist unbedeutend: die Szenen, die wir als Bilder aus Tobias’ Videokamera zu sehen bekommen, wären ohne diesen zusätzlichen Filter verlustfrei ebenso als Szenen der Filmkamera möglich.
Alles in allem mag sich der Tiefgang, den dieser Film für sich reklamiert, nicht so recht einstellen. Doch ist bei aller Bravheit
Keine Liebe über Liebe ein insgesamt unterhaltsamer Film.
Wer hingegen sehen möchte, wie eine junge Frau mit Verve aus einem Tourenbus geworfen wird, der könnte sich die 1976 von Klaus Lemke mit viel anarchischem Witz gedrehte Komödie
Idole mit der unvergleichlichen Cleo Kretschmer noch einmal ansehen, so sich die Gelegenheit einmal bieten sollte.
Coming soon in Cinemania 11 (Kinostart März 2005):Überfällige Rezensionen zu aktuell laufenden Filmen:
Boogeyman, Haie 3D, Hostage - Entführt, Im Feuer, The Ring 2, Robots, Shandurai und der Klavierspieler, Vanity Fair