Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Mai 2005
 

Cinemania 13
Kinostart April 2005

Nur noch Berlinale-Nachsendungen, dann werden auch die Monatsübersichten eindeutig früher erscheinen. Bis dahin: die Filme, die im April noch so liefen, darunter auch definitiv sehenswertes wie Kebab Connection oder Hotel Ruanda.



Cinemania-Logo
Cinemania 13:
Kinostart April 2005

Alle Rezensionen, außer Hotel Ruanda, von Thomas Vorwerk

Kebab Connection
(Anno Saul)

Deutschland 2004, Buch: Anno Saul, Ruth Toma, Jan Berger, Fatih Akin, Kamera: Hannes Hubach, Schnitt: Tobias Haas, Musik: Marcel Barsotti, mit Denis Moschitto (Ibo), Nora Tschirner (Titzi), Güven Kirac (Mehmet), Hasan Ali Mete (Onkel Ahmet), Adnan Maral (Kirianis), Adam Bousdoukos (Valid), Cem Akin (Altan), Fahri Ogün Yardim (Lefty), Nursel Köse (Hattice), Sibel Kekilli (Italienerin), 96 Min., Kinostart: 21. April 2005

Bei einem klassischen Western-Showdown stehen sich die Kontrahenten gewöhnlich so gegenüber, daß eine gedachte Verbindungslinie die Straße längs halbieren würde. Doch es gibt auch die Fälle, wo sich wie in Kebab Connection ein Dönerstand und ein griechisches Restaurant von gegenüberliegenden Bürgersteigen mit hasserfülltem Gesicht entgegenblicken. Der Film beginnt mit einem Film im Film, einem Werbeclip für "King of Kebab", den der Nachwuchsregisseur Ibo (kurz für Ibrahim) für seinen Onkel, den Dönerbudenbesitzer gedreht hat, und der zu einer sofortigen Enterbung führt. Doch im Gegensatz zum Auftraggeber weiß das Kinopublikum des Hamburger Schanzenviertels die absurd komisch-gewalttätige Tarantino-Episode durchaus zu schätzen, und nachdem der "King of Kebab" sich plötzlich nach den abendlichen Kinovorstellungen bis zum Bersten füllt, steigt auch Ibo kurzfristig zum King des Kiez auf, und sein langgehegter Wunsch, den ersten deutschen Kung Fu-Film zu drehen, rückt in erreichbare Nähe.
Doch jetzt, da ihn sein Onkel wieder ins Herz geschlossen hat und mit dem nächsten Clip beauftragt, verstößt ihn sein Vater, als dieser erfährt, daß Ibo seine deutsche Freundin Titzi (Nora Tschirner) geschwängert hat. "Was sag’ isch dirr seit deine Geburt?" fragt er ihn in radebrechendem Deutsch. Ibos zögerliche Antwort "Mach den Taxischein?" bringt ihm nur eine Ohrfeige ein. Dann kommt ein Flashback in Ibos Kindheit, und der vielleicht vierjährige Bub blickt seinen Papa mit großen Kulleraugen an. "Schwängere nie eine deutsche Frau!!!"
Mit solchen filmsprachlichen Mätzchen zieht einen diese Komödie, deren flotte Geschichte und die sympathischen Darsteller (allen voran Denis Moschitto, die türkische Version eines jungen David Gahan, und seine Partnerin Nora Tschirner) den Zuschauer schon für sie einnehmen, vollends in den Bann. Der Stil von Fatih Akin, der am Drehbuch mitarbeitete und auch einige seiner bevorzugten Darsteller vorbeischickte, ist dem Endprodukt sicher anzumerken, doch nicht der Fatih von Gegen die Wand, sondern der leichtfüßige Komödiant von Im Juli. Und so erscheint Kebab Connection wie eine Light-Version des culture clash, der in Gegen die Wand schon im Titel gegenwärtig ist. Keine Selbstmordversuche, ein Happy End sogar, wie es sich für eine romantische Komödie gehört, und der einzige Verkehrsunfall ist neben der Schwängerung jene Hommage an die Odessa-Treppenszene in Panzerkreuzer Potemkin, die auf dem Filmplakat zur besten Verfremdung irgendeiner Nationalflagge seit Just a Kiss stilisiert wurde. Ein Baby mit Fallschirm wird zum Stern mit der Mondsichel. Wie ein Säugling, der einem entgegengeflogen kommt, muß man Kebab Connection einfach in die Arme schließen und liebhaben.

Hotel Ruanda
(Terry George)

[Rezension von Friederike Kapp]
Südafrika/GB/I 2005, Originaltitel: Hotel Rwanda, Buch: Keir Pearson, Terry George, Kamera: Robert Fraisse, Schnitt: Naomi Geraghty, Musik: Andrea Guerra, Rupert Gregson-Williams, mit Don Cheadle (Paul Rusesabagina), Sophie Okonedo (Tatjana Rusesabagina), Desmond Dube (Dube), Joaquin Phoenix (Jack), Nick Nolte (Colonel Oliver), Cara Seymour (Pat Archer), Jean Reno (Präsident der Sabena), 121 Min., Kinostart: 7. April 2005


Ein überzeugender Film, der die Hoffnung darauf nährt, womöglich könne Kunst doch die Welt verändern. Hotel Rwanda erzählt die wahre Geschichte des Hotelmanagers Paul Rusesabagina (Don Cheadle), dem es gelang, im Bürgerkrieg von Ruanda 1994 über 1200 verfolgte Tutsis zu retten, indem er sie in dem von ihm verwalteten Edel-Hotel der Sabena Airlines dem Zugriff der Mörderbanden entzog, bis ihnen eine Flucht in sicherere Landstriche möglich war.
Was macht diesen Film so besonders? Ein Vergleich mit anderen Genozid-Filmen, mit Schindlers Liste und Der Pianist kann Aufschluß geben. Wie geht man mit so einem entsetzlichen, mächtigen Stoff um? Wie soll man das Grauen abbilden, das Grauenhafte und die Grausamkeit? Schindlers Liste löste das Problem, indem er nie vorgab, das Grauen abzubilden. Der Pianist stand vor einem ähnlichen Problem wie die Katastrophenfilme aus Ami-Land, deren Titel man sich noch nie merken wollte, Thema Einstürzender-Fahrstuhl-Schrägstrich-Staudamm o. ä., in denen sich Höhepunkt an Höhepunkt reihen soll. Zu viel, zu grauenvoll, von zu vielem etwas. Der Zuschauer schaltet ab, wenn es zu lange oder zu oft zu heftig wird, und außerdem die Dramaturgie zerfranst. Beides wird in Hotel Rwanda bravourös vermieden. Der Film folgt durchgehend der Psychologie seines Helden und ist darüber hinaus hervorragend rhythmisiert im Hinblick darauf, was er seinen Zuschauern zumutet. So gibt es auch in diesem mitten im übelsten Bürgerkrieg angesiedelten Drama das Element des Comic Relief, für den Zuschauer wie für die Protagonisten, die dankbar und mit zweckgebunden praktizierter Verdrängung kurze Auszeiten nehmen, so weit das geht, miteinander lachen, froh sind um die Gesellschaft des anderen und doch immer wissen, wie fragil und vorläufig diese Momente sind.
Exemplarisch sei hier die Szene angeführt, in der Paul Rusesabagina nach einer kürzeren Abwesenheit zurück in das zwischenzeitlich von Milizionären überfallene Hotel kommt und nach seiner Familie sucht, mit stetig wachsender Angst. Jedes Zimmer sucht er ab, jeden Schrank, schaut unter jedes Bett. Geht sogar aufs Dach, um zu sehen, ob seine Frau und Kinder in den Tod gesprungen sind auf der Flucht vor ihren Verfolgern. Nichts. Sie sind nirgends. Er beginnt seine Suche erneut. In einem Badezimmer fallen ihm schließlich die zugezogenen Duschvorhänge auf. Er zieht sie zurück – in der Wanne sitzen seine Frau (Sophie Okonedo), zwei weitere Frauen und ca. fünf Kinder, die Frauen schreien vor Angst, als der Duschvorhang sich öffnet, die Kinder wimmern. Seine Frau hat den Duschschlauch auf den vermeintlichen Angreifer gerichtet. Begrüßung, Erleichterung. Dann deutet er auf den Schlauch und fragt, "Was wolltest du denn damit?" Sie blickt den Duschkopf in ihrer Hand an, alle lachen.
Splatterszenen gibt es nicht in diesem Film. Wohl sieht man physische Grausamkeiten, sieht, wie Menschen willkürlich zusammengeschlagen, getreten, zerhackt, erschossen werden, aber nicht in Großaufnahme, es geht nicht um ein visuelles Schockieren, nicht um die originalgetreue bildliche Wiedergabe des Bürgerkriegs. Der Film arbeitet anders, er zeigt die Folgen der Greueltaten, nicht die Taten selbst, und er zeigt sie über das Erleben seiner Protagonisten. Sehr wirkungsvoll ist beispielsweise eine Fahrt im Lieferwagen, die zur Vermeidung von Gefahren über Nebenstraßen führt. Es ist dichter Nebel, der Untergrund wird so unwegsam und uneben, daß Paul überzeugt ist, man sei vom Weg abgekommen. Der Fahrer wird unsicher, sie halten an und steigen aus. Da sehen sie, daß die Straße kilometerweit mit Leibern übersät ist, mit den Leichen niedergemetzelter Flüchtlinge. Sie sind, ohne es zu wissen, über menschliche Körper gefahren. Diese Episode ist sehr ruhig inszeniert, sehr unaufgeregt. Die Schönheit der Natur, die morgendliche Stille, das plötzliche Entsetzen. Stille schlägt um in Stummheit. Als Paul die Sprache wiederfindet, verpflichtet er den Fahrer zum Schweigen: die Flüchtlinge im Hotel sollen nicht noch stärker belastet werden.
Um das thematische Kernstück des Films gruppieren sich die übrigen Motive. Das Hotel "Milles Collines", das Paul leitet, ist im Besitz der belgischen Fluggesellschaft Sabena. Die eigenmächtige Unterbringung der Flüchtlinge darf den Hotelbetrieb nicht stören, denn die Sabena unterhält das Hotel nicht aus humanitären Gründen. Ein Angestellter übt Verrat. Ein korrupter Offizier der ruandischen Armee will bestochen werden. Wie Oskar Schindler arbeitet auch Paul Rusesabagina mit allen Tricks: er schauspielert, blufft, nimmt jede Hilfe, die er kriegen kann, von Freund und Feind. Als die Situation sich zuspitzt, wird das kleine Kontingent an Uno-Soldaten auf ein noch kleineres Häuflein zusammengekürzt, das bei einem entschlossenen Sturm der Milizionäre keinen Vorgarten schützen könnte. Die Touristen werden evakuiert. Die internationale Presse verläßt das Land. Ein unausgesprochener Nicht-Angriffspakt zeichnet sich ab: Keine Einmischung der internationalen Staatengemeinschaft in inner-ruandische "Angelegenheiten", keine Übergriffe der Milizionäre auf außer-ruandische Staatsangehörige. Die internationalen Hilfsorganisationen separieren ihr Personal: Die Erst-Weltler werden ausgeflogen, die Dritt-Weltler bleiben zurück. Die sorgfältige Ausgestaltung auch der Nebenhandlungen trägt zur Stimmigkeit und anschaulichen Fülle von Hotel Rwanda bei.
Es bleibt die leicht peinliche, dennoch wahre Feststellung, daß Menschen, Zuschauer, die durch den Tod von Bambis Mutter zu Tränen gerührt werden, kühl bleiben angesichts der Tragödien, die täglich in die Nachrichten gesendet werden. Wie es scheint, ist unser Gefühl eine Maschine, die nur richtig bedient zu werden braucht. Der Verstand ist gefühllos, das Gefühl ist dämlich. Man braucht beides. Wir haben beides. Fakten mit Leben zu füllen ist das Verdienst dieses Films.

(PS: Der deutsche Verleiher von Hotel Ruanda, die Tobis Film GmbH, bietet auf ihrer Internet-Seite Materialien für den Schulunterricht an, einmal zusammengestellt vom Institut für Kino und Filmkultur, einmal von Amnesty International, unter www.tobis.de.)

Being Julia – Alle lieben Julia
(Istvan Szabó)

Originaltitel: Being Julia, Kanada / Großbritannien / Ungarn 2004, Buch: Ronald Harwood, Lit. Vorlage: W. Somerset Maugham, Kamera: Lajos Koltai, Schnitt: Susan Shipton, Musik: Mychael Danna, Production Design: Luciana Arrighi, Kostüme: John Bloomfield, mit Annette Bening (Julia Lambert), Jeremy Irons (Michael Gosselyn), Bruce Greenwood (Lord Charles), Miriam Margoyles (Dolly De Vries), Shaun Evans (Tom Fennel), Juliet Stevenson (Evie), Lucy Punch (Avice Crichton), Maury Chaykin (Walter Gibbs), Michael Gambon (Jimmie Langton), 105 Min., Kinostart: 7. April 2005

Ein Theaterfilm, der Ende der dreißiger Jahre in London spielt. Die Grundkonstellation (nach W. Somerset Maughams Kurzroman Theatre) ist ähnlich wie in Lubitschs To Be Or Not To Be oder Truffauts Le dernier Metro sein, doch ausgerechnet Istvan Szabó, der in seinen Filmen oft Figuren im politischen Umfeld ihrer Zeit darstellte, hat hier die Implikationen des drohenden Weltkriegs (Being Julia spielt im Jahre 1938) völlig ausgespart. Dennoch bietet sich ein Vergleich zu Lubitsch an, denn die in den Ruhm und in sich selbst verliebten Theaterdarsteller aus Being Julia erinnern stark an den "great, great Polish actor" Joseph Tura und die Techtelmechtel, die dessen Frau während seiner Hamletmonologe mit ihren "Verehrern" einzuschieben pflegte, finden sich auch hier wieder.
Nur daß es in diesem Fall die Schauspielerin ist, die dem "Fan" die Geschenke macht. Der fast noch jugendliche Verehrer Tom kommt aus Amerika, der 45jährigen Julia (Annette Bening), die mit ihrem Gatten und Impressario (Jeremy Irons) eine eher unterkühlte bis offene Ehe führt, ist es einerlei, ob sie sich lächerlich macht, denn die junge Liebe lässt sie, die in der Theaterroutine und Midlife Crisis zu versanden droht, neu aufblühen. "You’re the only person with which I can be completely myself" erzählt sie ihrem Lover, nur um ihm kurz darauf dieselben einstudierten Sätze zu präsentieren, die ihre Garderobiere (Juliet Stevenson hätte die entsprechende Rolle auch bei Lubitsch spielen können) längst auswendig sprechen kann. Der Übergang vom routinemäßigen Chargieren zur "realen" Vorstellung ist hier teilweise genauso unmerklich wie bei Lubitsch, auch wenn der Zuschauer hier nicht immer wieder mit neuen, ihm unbekannten Situationen verblüfft wird wie in To Be Or Not To Be. Der Verlauf der Geschichte ist eigentlich größtenteils abzusehen.
Natürlich stellt sich später heraus, daß der junge Mann mindestens genausogut schauspielern kann und seinen guten Draht zur Theaterführung nutzt, um seiner gleichaltrigen anderen Geliebten eine Rolle zu verschaffen. Julia bekommt somit in zweierlei Hinsicht Konkurrenz und Annette Bening kann alle Register ihres Könnens vorführen (den Golden Globe hat sie sich redlich verdient). Das Drehbuch arbeitet sich dabei beständig zum humoristischen Höhepunkt hinauf, und ich habe in einer vergleichbaren Boulevardkomödie lange nicht mehr so laut gelacht.
Doch man muß auch sagen, daß Being Julia teilweise altmodisch und hausbacken wirkt. Zu Beginn des Films spielt Szabó noch mit dem Medium. Er lässt den Zuschauer direkt ansprechen (eine schöne Nebenrolle für Michael Gambon), nutzt Schwarzflächen für eine einfallsreiche Kadrierung, und versprüht den Glamour der 1930er. Doch nach und nach wirkt der Film nur noch wie ein (zugegebenermaßen gutes) Theaterstück, und als Kinozuschauer kann man mit Recht mehr verlangen. Eine der wenigen "Modernisierungen" ist eine weibliche Verehrerin (und finanzielle Unterstützerin) von Julia, die immer dann in die Garderobe gerufen wird, wenn das Objekt ihrer offensichtlichen Begierde gerade wenig an hat. Diese teilweise derben Scherze wären 1940 nicht möglich gewesen, doch heutzutage wirken sie dennoch betagt, wie aus den 1970ern. Verglichen hiermit ist Lubitsch noch so frivol und gleichzeitig subtil wie am ersten Tag.

Coach Carter
(Thomas Carter)

USA 2005, Buch: Mark Schwahn, John Gatins, Kamera: Sharon Meir, Schnitt: Peter Berger, mit Samuel L. Jackson (Ken Carter), Robert Ri’chard (Damien Carter), Rob Brown (Kenyon Stone), Ashanti (Kyra), Debbi Morgan (Tonya Carter), Rick Gonzales (Timo Cruz), Antwon Tanner (Worm), Nana Gbewonyo (Junior Battle), Channing Tatum (Jason Lyle), 136 Min., Kinostart: 7. April 2005

MTV Films, die uns Ende 2003 schon Honey brachten, bescheren uns diesmal einen Sportfilm, der ein wenig anders ist, denn ähnlich wie in Stand and Deliver haben wir es auch hier mit einem mit einem unerschrockenen Aktionisten zu tun, der beweisen will, daß auch Unterschicht-Kinder aus ethnischen Minderheiten im auf Erfolg getrimmten Schulsystem der USA eine Chance haben. Nur ist Ken Carter (Samuel L. Jackson) kein Lehrer, der seinen Schülern Algebra einpauken will, sondern ein frisch eingestellter Basketball-Coach, der sich mit seinen radikalen Maßnahmen nicht eben beliebt macht.
Die Basketball-Mannschaft der Richmond High School hat schon bessere Zeiten erlebt. Trotz einiger Talente reicht es nicht, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, und weil der Sport eine der wenigen Möglichkeiten ist, sich an dieser Schule hervorzutun, wird ein neuer Coach verpflichtet, der früher einmal ein hervorragender Basketballspieler an eben dieser Schule war.
Doch Ken Carter will mehr als Spiele gewinnen. Er will den Schülern einen Weg in ein Leben ohne Drogen und Kriminalität aufzeigen, die reelle Chance, sich durch gute Schulnoten für mehr als ein Sportstipendium auszuzeichnen. Dazu lässt er seine Spieler einen Vertrag unterzeichnen, der neben Engagement auf dem Basketball Court auch regelmäßige Teilnahme am Unterricht und gute Noten verlangt. Und nachdem die neu motivierte Mannschaft die ersten 13 Spiele der Saison mit Bravour gewonnen hat, Coach Carter aber dahinterkommt, daß einige seiner besten Spieler den Unterricht schwänzen und auf dem besten Weg sind, das von ihm geforderte Klassenziel nicht annähernd zu erreichen, bricht er das Training ab und verriegelt die Turnhalle.
Der auf einem authentischen Fall basierende Film wurde sogar vom in den Staaten zu einiger Berühmtheit gelangten echten Coach Carter unterstützt, doch ob das Vorbild soviel Charisma gehabt hat wie Samuel L. Jackson, mag man ebenso bezweifeln wie die Authentizität der wie üblich ins Drehbuch eingearbeiteten Subplots, in denen sich die für einen MTV-Film wohl unumgänglichen Musikstars wie Ashanti als Schauspieler beweisen können. Doch auch, wenn Jackson nach einer gewissen Aufwärmphase trotz Schnauzbart und Krawatte fast so cool agiert wie in Pulp Fiction, ist Coach Carter für sein Genre ein überdurchschnittlicher Film, der nicht nur auf Oberflächlichkeiten abzielt und eine geradlinige Erfolgsgeschichte erzählt, sondern sich eben für die vielen Subplots viel Zeit nimmt, und den Zuschauer oftmals jenseits gängiger Klischees für die Schicksale dieser auf dem Reißbrett entworfenen Nebenfiguren interessieren kann. So sind der jugendliche Drogendealer und Carters Sohn, der seinem Vater an die heruntergewirtschaftete und schlichtweg gefährliche Schule folgt, zunächst zwei Extreme der Unerträglichkeit, wie "good" oder "bad" man sein kann, aber dem Film gelingt dieser Spagat zwischen den Extremen, und mit überzeugender Unterstützung für Jackson wie durch Rob Brown (Finding Forrester) oder -tatsächlich!- Ashanti kann der Film trotz überdurchschnittlicher Lauflänge bis zum Schluß unterhalten. Und für’s jugendliche Publikum vielleicht sogar die message rüberbringen, daß Hausarbeiten doch nicht nur eine Pein sind …
Zum Abschluß noch ein Kuriosum: "This film has been rated PG-13 by the Motion Picture Association of America for violence, sexual content, language, teen partying & some drug material." Diese Verlautbarung im englischsprachigen Presseheft zum Film muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Zwölfjährige sollten diesen Film nur mit ihren Eltern gemeinsam sehen, weil sie hier sehen könnten, wie Teenager Partys feiern. Wenn das nicht neugierig macht …

Lieber Frankie
(Shona Auerbach)

Originaltitel: Dear Frankie, Großbritannien 2004, Buch: Andrea Gibb, Kamera: Shona Auerbach, Schnitt: Oral Norrie Ottey, Musik: Alex Heffes, mit Jack McElhone (Frankie), Emily Mortimer (Lizzie), Gerard Butler (Der Fremde), Sharon Small (Marie), Mary Riggans (Nell), Jayd Johnson (Catriona), Jonathan Pender (Frankie’s Voice-Over), 105 Min., Kinostart: 21. April 2005

Frankie kam nicht taub zur Welt - es war ein Geschenk von seinem Vater. Doch auch wenn seine Mutter froh ist, den Kindsvater los zu sein, sehnt sich der taubstumme Neunjährige nach seinem Vater. Minutiös zeichnet er auf seiner Weltkarte die Routen der "HMS Accra", des Schiffs, auf dem der Vater als Matrose arbeitet, nach. Sein Zimmer ist geschmückt mit Bildern von Schiffen und Meeresbewohnern, und alle paar Wochen kommt auch mal wieder ein Brief vom Vater mit einer der exotischen Briefmarken, die der Junge natürlich auch sammelt.
Was Frankie nicht weiß: Die Briefe stammen von seiner Mutter Lizzie, die es nicht über’s Herz bringt, ihrem Sohn die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit seinem Vater zu nehmen, und die deshalb den Matrosen und sein Schiff erfunden hat. Außerdem sind die Briefe an den Vater (bzw. ein Postfach in Glasgow) ihre einzige Chance, die "Stimme" ihres Sohnes zu hören.
In Zhang Yimous Happy Times ist der (gutgemeinte) Versuch, einer Person mit eingeschränktem Sinnesvermögen etwas vorzumachen, die Grundlage einer Komödie, in Dear Frankie gibt es zwar auch mitunter etwas zu lachen, der Film ist aber klar dem Genre der quasirealistischen Märchen zuzuordnen, die bevorzugt von weiblichen Regisseuren inszeniert werden. Meistens geht es dabei um die Sehnsüchte einer jungen Frau, der das Schicksal übel mitspielt und die sich schließlich aber doch ein wenig Glück verdient. Ein Paradebeispiel dafür, das sich zufällig auch mit einer alleinerziehenden Mutter beschäftigt, ist Sandra Nettelbecks Bella Martha. Verglichen damit fällt bei Dear Frankie positiv auf, daß in Maßen auch ein wenig Realismus, also Arbeitermilieu statt Zuckerguß, in den Film einfließt. Dieser oft auch visuelle "Zuckerguß", der sich in Filmen wie My Life without Me oder demnächst Somersault auch über farbintensive durchkomponierte Bilder definiert, fehlt bei Dear Frankie größtenteils, die Regisseurin, die auch ihre eigene Kamerafrau ist, bringt zwar anrührende, aber sachliche Bilder von der kleinen Küstenstadt, in die Frankie zu Beginn des Films mit seiner Mutter zieht. Das macht die Mär vom "Aushilfsvater", der eilig organisiert werden muß, als das tatsächlich existierende Schiff Accra sich ausgerechnet in Frankies Nähe verirrt, einigermaßen erträglich. Und wie die Geschichte weitergeht, kann man sich vorstellen …
Dennoch hält das Drehbuch bis zuletzt einige Überraschungen bereit, die Mutter Lizzie ist nicht die einzige, die ein Geheimnis hat, zwei andere Frauen verbergen auch etwas vor ihr, und so bleibt der Film bis zum Ende recht spannend.
Da ich mit diesem speziellen Genre nicht besonders viel anfangen kann, ist dies das Positivste, was ich neben den durchweg überzeugenden Darstellerleistungen von Dear Frankie zu berichten habe. Kein Film, der mich ins Kino ziehen würde, aber ich habe den Besuch nicht bereut - das ist doch schon mal etwas!

Nachbarinnen
(Franziska Meletzky)

Deutschland 2004, Buch: Eva Rössler, Kamera: Alexandra Czok, Schnitt: Jürgen Winkelblech, Musik: Eike Hosenfeld, Moritz Denis, mit Dagmar Manzel (Dora), Grazyna Szapolowska (Jola), Jörg Schüttauf (Conny), Berndt Stübner (Bernd), Ramona Libnow (Gabi), Helge Lang (Marklein), Kirsten Block (Kripo-Beamte), Matthais Brenner (Kripo-Bemater), Marylu Poolmann (Rosa Zimmer), 88 Min., Kinostart: 28. April 2005

Seit ihr Mann Stefan sie vor einem halben Jahr verlassen hat, lebt die Paketbotin Dora (Dagmar Manzel, zumeist als unauffällige Nebendarstellerin wie Benjamins Mutter in Crazy verpflichtet) allein in einer Leipziger Plattenbauwohnung, die sie zuvor fast 20 Jahre mit ihrem Gatten geteilt hatte. Ab und zu passt sie auf die Kinder ihrer Schwester auf oder ihr Nachbar Conny (Jörg Schüttauf aus Berlin is in Germany), der schon länger ein Auge auf sie geworfen hat, wagt mal wieder einen Versuch, einen Fuß bei ihr in die Tür zu bekommen, aber ansonsten ist sie fast nur mit der Pflege ihrer Zimmerkakteen beschäftigt, und selbst ihre gelegentlichen Wutausbrüche verlaufen in so kontrollierten Bahnen, daß nicht einmal die Scherben der zerdepperten Teegläser zusammengefegt werden müssen.
Doch da tritt Jola (Grazyna Szapolowska) in ihr Leben, die polnische Kellnerin aus der Wohnung im Dachgeschoß, die von ihrem Boss Bernd, in dessen Kneipe "Das Bernds" Dora auch manchmal geht, beschuldigt wurde, Geld gestohlen zu haben, und die diesen in Notwehr erschossen hat. Jola drohen Gefängnis oder zumindest Abschiebung und sie sucht Unterschlupf bei der zunächst abweisenden Dora, die aber von der mysteriösen Frau in den Bann gezogen wird, und sich seit langem mal wieder zu öffnen beginnt.
Aus der Notlösung wird fast eine geheime Frauen-WG, doch als Dora erfährt, daß Bernd "nur" im Krankenhaus ist und sie Jola erzählt, er sei verstorben und die Polizei sei auf der Suche nach ihr, spitzt sich die Situation langsam zu …
Vieles an Nachbarinnen ist bemerkenswert, insbesondere für einen Diplom- / Debütfilm (an der HFF Konrad Wolff). Schon der energetisch geschnittene Vorspann, der über Ellipsen dargestellte Post-Alltag und die kleinen Experimente mit diegetischer / nichtdiegetischer Musik verleugnen zwar ihre Herkunft nicht, gehen aber klar über die Spielereien von Filmschulabsolventen hinaus. Auch die offensichtliche Farbdramaturgie der Kostüme oder die wie Brüste und Phalli eingesetzten Lichtschalter und Kakteen sind näher an der Theorie als am Leben, doch all diese Details machen für den Zuschauer durchaus Spaß. Auch die Darsteller sind gut ausgesucht, doch ausgerechnet die Chemie zwischen den zwei Frauen, die ja den Kern des Films ausmachen soll, will sich nicht recht einstellen. Dabei ist vom Drehbuch her alles gut strukturiert: Der allmähliche Körperkontakt, der Betrug, die angedeutete Versöhnung und sogar ein Bild der Hoffnung zum Schluß. Doch die Emotionen, die aus einem cleveren Film einen großartigen machen könnten, bewegen sich hier so wenig wie das räderlose Luxusauto des auch nur um Anerkennung und Liebe heischenden Nachbarn Conny. Regisseurin Franziska Meletzky, die auf ihre polnische Darstellerin (die die Sätze in der Fremdsprache souverän meistert) durch Kieslowskis Dekalog (bzw. dem Spinoff Ein kurzer Film über die Liebe) aufmerksam wurde, hätte gut daran getan, statt einer Darstellerin die menschliche Wärme zu importieren, die dort eine ähnliche Plattenbausiedlung selbst bei tragischsten Geschehnissen immer wieder durchflutet. Ähnliches ist hier nur im Ansatz zu erkennen, doch beim nächsten Film wird bekanntlich alles anders …

Der Kaufmann von Venedig
(Michael Radford)

Großbritannien / Italien 2004, Originaltitel: The Merchant of Venice, Buch: Michael Radford, Lit. Vorlage: William Shakespeare, Kamera: Benoit Delhomme, Schnitt: Lucia Zucchetti, Musik: Jocelyn Pook, Production Design: Bruno Rubeo, Kostüme: Sammy Sheldon, mit Jeremy Irons (Antonio), Joseph Fiennes (Bassanio), Al Pacino (Shylock), Lynn Collins (Portia), Zuleikha Robinson (Jessica), Kris Marshall (Gratiano), Heather Goldenhersh (Nerissa), 127 Min., Kinostart: 21. April 2005

Mit seinem Regiedebüt Looking for Richard (1996) hatte Al Pacino seine vor allem auf Theaterbühnen ausgelebte Begeisterung für Shakespeare bereits einmal zum Filmthema gemacht, nun durfte er vor der Filmkamera auch jene Rolle spielen, die neben Hamlet zu einer der größten schauspielerischen Herausforderungen aus dem Shakespeareschen Œuvre zählt: den Shylock.
Wobei The Merchant of Venice in meiner bescheidenen Meinung nicht zu den gelungensten Shakespeare-Stücken zählt. Die Figuren sind wenig komplex, der Plot hält kaum Überraschungen bereit, am interessantesten sind da wohl noch die feinen Untertöne, die eine gelungene Interpretation ausloten kann. Doch abgesehen von einigen Transvestiten unter den Prostituierten und zwei doch eher keuschen gleichgeschlechtlichen Küssen findet man in dieser Verfilmung wenig, was beispielsweise die unterschwellige homoerotische Note der innigen Männerfreundschaft zwischen Antonio und Bassanio oder das Dauerthema bei Shakespeare, cross-dressing, besonders herauskehren würde.
Anders als bei seiner Verfilmung von Orwells 1984 scheint Regisseur Michael Radford mehr Wert auf Publikumswirksamkeit gelegt zu haben als auf eine interessante visuelle Umsetzung des Textes, und so plätschert der Mainstream-Film größtenteils mit opulenten Bauten und Kostümen und entweder bekannten oder gutaussehenden Darstellern durch die venetianischen Kanäle, ohne große Wellen zu schlagen.
Das Subplot-Ratespiel um die drei Schlüssel, von denen einer nicht nur eine Truhe mit Metall öffnet, sondern auch das Herz der dazugehörigen Frau, gehört als burleske Farce noch zu den Höhepunkten des Films, wenn nicht gerade mal wieder Al Pacino im Bild ist und des öfteren bespuckt wird. Inwiefern es Pacino als hartherzigem Bösewicht gelingt, den Film zu seinem Vehikel umzuarbeiten, zeigt jene Szene, als sich die "Guten" vor der geplanten Exekution Antonios langatmig von diesem verabschieden, und Pacino sich gelangweilt wegdreht. Als Zuschauer kann man dies gut nachvollziehen …
Daß der antisemitische Inhalt des Stücks durch einen Vorspanntitel erklärt wird, und nicht etwa politisch korrekt unter den Teppich gekehrt wird, mag noch in Maßen positiv zu werten sein, aber die Dauerbeschallung durch aufdringliche Musik (selbst wenn von Shakespeare persönlich oder Edgar Allan Poe gedichtet), ein fast schon peinliches CGI-Schloß im Sonnenuntergang und eine weitgehend uninspirierte Umsetzung belassen The Merchant of Venice klar unter den Erwartungen.

Coming soon in Cinemania 14 (Berlinale Blancmange II):
Mehr Rezensionen zu europäischen Berlinale-Filmen: Asylum, Lost and Found, Love and Hate, Paradise Now, Profils paysans: Le quotidien, Stranger (Ono), Top Spot