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Juni 2005 | Thomas Vorwerk für satt.org | |
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Drei FrauenAmos Kollek und Anna Thomson: ein Gespann aus Regisseur und Darstellerin, wie man es nur selten findet. Von den vier Spielfilmen, die die beiden zusammen gedreht haben, präsentiert monitorpop entertainment (bisher allenfalls bekannt wegen ihrer la linea und Signor Rossi-Veröffentlichungen) jetzt jene drei auf drei DVDs, die schon anhand der Titel (jeweils Frauennamen) eine Trilogie bilden. Der komödiantisch etwas herausfallende Fast Food, Fast Women, der zwischendurch entstand, bleibt außen vor. Doch auch wenn der narrativ elaborierteste der Kollek/Thomson-Filme somit ausgelassen wird, sieht man auch bei den drei verbliebenen Filmen eine klare Entwicklung von elliptisch-episodenhaften Frauenporträts zu komplexeren Handlungsgerüsten. Doch gehen wir die Filme in der chronologischen Reihenfolge an: SueUSA 1997, Buch & Regie: Amos Kollek, Kamera: Ed Talavera, Schnitt: Liz Gazzara, Musik: Chico Freeman, mit Anna Thomson (Sue), Matthew Powers (Ben), Tahnee Welch (Lola), Tracee Ellis Ross (Linda), John Ventimiglia, Robert Kya-Hill (Willie), Edoardo Ballerini, 90 Min., Dt. Erstaufführung: Berlinale 1998 (Panorama), Kinostart: 10. September 1998In manchen Szenen wirkt Anna Thomson hier noch wie eine Mittzwanziger-Mischung aus Elisabeth Shue und Julianne Moore. Ihr Charisma ist auch in den späteren Filmen mit Kollek unbestreitbar, doch hier wirkt sie noch weniger außerirdisch weird als teilweise wirklich unschuldig. Doch über ihre Taten weist Sue dieses Prädikat schnell wieder von sich. Auf der Suche nach einem Job und mit der Miete überfällig wird Sue immer verzweifelter. Bei ihren Vorstellungsgesprächen merkt man dies nicht unbedingt, wohl aber bei ihren unbeholfenen Kontaktaufnahmen mit Zufallsbegegnungen. Für Freundschaft oder gar Liebe scheint sie nicht geschaffen, stattdessen "kommuniziert sie über Sex", und scheut mehrfach nur ganz knapp vor der Schwelle zur Prostitution zurück, obwohl sie das Geld eigentlich gut gebrauchen könnte. Manches am Film Sue erscheint seltsam, beispielsweise auch der Umgang mit Geld. Nahezu wildfremden Menschen werden mal 1.200 Dollar als Geschenk angeboten, per Waffengewalt lässt man sich zum Essen einladen, später ausgegebene Drinks werden stattdessen stehengelassen und auf Trinkgelder wird lieber verzichtet, wobei die Extreme zwischen sofortiger Sympathie und Abscheu beim Kennenlernen von Sue ohne Erklärung bleiben. Und was zuvor zu teuer angeboten wird, gibt es später umsonst. Obwohl Sue weder die Freundschaft der Kellnerin Linda noch die Liebe des Journalisten Ben anzunehmen bereit ist, und der Film nach einem Hoffnungsschimmer auf eine fast klassische Tragödie hinauszulaufen scheint, kann man selbst das Ende des Films noch optimistisch auslegen, was zusammen mit Kolleks elliptisch aneinandergereihten Episoden wohl erklärt, warum es von den drei "Frauenschicksalen" wohl diesem Film am ehesten gefällt, universell fast jedem Arthouse-Publikum zu gefallen. FionaUSA 1998, Buch & Regie: Amos Kollek, Kamera: Ed Talavera, Schnitt: Jeff Harkavy, Musik: Alison Gordy, mit Anna Thomson (Fiona), Felicia Maguire (Alicia), Alyssa Mulhern (Alyssa), Anna Grace (Patty), Bill Dawes (Harvey), Mike Hodge (Ernie), Christopher McCann (Kasseem), Matthew Powers (Larry), 85 Min., Dt. Erstaufführung: Berlinale 1999 (Panorama), Kinostart: 2. März 2000In absichtlich billigem semi-dokumentarischem Stil versucht Kollek, die Atmosphäre des Rotlicht-Milieus einzufangen. Geschichten von gefallenen Mädchen, zwischen verwahrlosten Elternhäusern, Suchtproblemen und brutalen Freiern. Der Film macht den Eindruck, als hätte Kollek mit der diesmal besonders zerbrechlich wirkenden Thomson erst einmal munter drauflos gedreht. Bei den Recherchen gelangten sie in eine billige Absteige, laut Produktionsinformationen übernahmen echte Prostituierte und sogar Freier "Rollen" im Film, eine Geschichte wurde dann um die entstandenen Bilder herumkonstruiert, was bei Kolleks bevorzugt elliptischem Stil einfacher zu bewerkstelligen ist, als man gemeinhin annehmen würde. Und auch, wenn der Stil des Films dadurch ein wenig schwankt, heruntergekommen wie bei Christiane F., brutal wie bei Leaving Las Vegas und auch mal vergeblich "cool" dialoglastig wie in Pulp Fiction, das Resultat zeigt ein viel tiefer gehendes, weil erschreckenderes und ernüchternderes Bild einer Welt, die wir wahrscheinlich gar nicht sehen wollen. BridgetFrankreich/Japan 2001, Buch & Regie: Amos Kollek, Kamera: Ed Talavera, Schnitt: Jeffrey Marc Harkavy, Ron Len, Musik: Joe Delia, mit Anna Thomson (Bridget), Lance Reddick (Black), David Wike (Pete), Julie Hagerty (Julie), Arthur Storch (Hawk), 80 Min., Dt. Erstaufführung: Berlinale 2002 (Wettbewerb)Auch bei der vierten gemeinsamen Arbeit von Kollek und Thomson ist es klar ersichtlich, daß das Drehbuch um die erneute Titeldarstellerin herumkonstruiert wurde. Wie bei Fast Food, Fast Women ist der Tonfall wieder optimistischer, aber einige Situationen erinnern auch stark an Fiona. Die alleinstehende Bridget hält sich durch Hostessenjobs über Wasser, doch ihre finanzielle Lage (eines der wiederkehrenden Themen neben der unterschiedlich akzentuierten Rollenbeschreibung "hooker with a heart of gold") ist stark dadurch erschwert, daß sie ihren kleinen Sohn, den sie aufgrund ihrer belebten Vergangenheit an Pflegeeltern geben mußte, nur gegen "Bares" sehen kann. Ein Vorfall bei einer Kostümparty, die direkt aus Eyes Wide Shut stammen könnte, wirft sie wieder zurück, danach versucht sie sich als Supermarkt-Kassiererin. Dort fällt sie dem geistig zurückgebliebenen Pete auf, dessen schwerreicher Vater ihr ein Angebot macht: Wenn sie Pete heiratet, erhält sie nach fünf Jahren eine Million Dollar. Bridget sieht endlich eine Chance, ihren Sohn "freizukaufen" und willigt ein. Doch während Pete in dieser Zeit langsam über den Status eines überlangen Ersatz-Sohns hinauswächst, stolpert Bridget über zwei Gefahren aus ihrer Vergangenheit. In seiner Mischung aus lakonischem Humor und Darstellung der seltsamen Biographie Bridgets zehrt der Film von der Darstellungskraft seiner Titelheldin. Die "fünf Minuten", die wie schon zu Beginn des Films auch am Ende ihr Leben verändern, enttäuschen nach der fein ausgearbeiteten Exposition ein wenig, aber das Problem, daß Kollek diesmal nicht nur eine Inkarnation von Anna Thomson zeigen will, zeigt hier seine Spuren. Nach der New York-Komödie, die an Woody Allen erinnerte, ein kleiner Rückschritt, aber nach wie vor unterhaltsame und interessante 80 Minuten. Spätestens nach diesen drei Filmen kann ich übrigens empfehlen, sich mal die unter Anna Levine versteckte Filmographie auf www.imdb.com anzuschauen. Hier löst sich auch das Rätsel, wie alt Ms. Thomson eigentlich ist, und bei der Liste der beeindruckenden Filme, in denen sie bereits kleine Rollen gespielt hat (u. a. mehrfach unter der Regie von Oliver Stone und Clint Eastwood), kann auch niemand mehr behaupten, sie sei keine "richtige" Schauspielerin, sondern "nur" eine mysteriöse und sonderbare Selbstdarstellerin, wie einige Kritiker, die mit ihrer eigentümlichen Leinwandpräsenz nicht klarkamen, mitunter behauptet haben. |
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