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Juni 2005
Thomas Vorwerk
für satt.org

Tony Takitani
Japan 2004

Tony Takitani (R: Jun Ichikawa)

Buch
und Regie:
Jun Ichikawa

Lit. Vorlage:
Haruki Murakami

Kamera:
Taishi Hirokawa

Schnitt:
Tomoo Sanjyo

Musik:
Ryuichi Sakamoto

Darsteller:
Issey Ogata (Tony Takitani / Takitani Shozaburo), Rie Miyazawa (Konuma Eiko / Hisako), Shinohara Takahumi (Tony als Kind), Nishijima Hidetoshi (Erzähler)

75 Min.

Kinostart: 9. Juni 2005

Tony Takitani

Nach seiner späten Entdeckung im Westen wurde Haruki Murakami innerhalb kürzester Zeit zum wohl auch in Deutschland bekanntesten japanischen Schriftsteller. Im Gegensatz zu seinen dicken Wälzern (und Bestsellern) wie Mister Aufziehvogel, Gefährliche Geliebte oder Kafka am Strand handelt es sich bei der jüngst zum Kinostart auch in Deutschland erschienenen Erzählung Tony Takitani nur um einen schmalen Band von 64 Seiten, der sich aber umso kongenialer in einen mit 75 Minuten auch eher unterdurchschnittlich langen Film übersetzen ließ.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Auch ohne das Buch zu kennen, wird man bei der Verfilmung die Übersetzung in rein filmische Erzählmittel instinktiv zu schätzen wissen. So zehrt der Film zwar von einer fast durchgehenden Erzählerstimme aus dem Off, doch diese notwendige "unfilmische" Konvention verbindet beispielsweise nicht nur die sehr unterschiedlichen Teile des Films, sondern wird durch den unscheinbaren, aber sehr wirksamen Effekt aufgelockert, daß mitten in den Ausführungen des Erzählers immer wieder Personen aus dem Film mit Halbsätzen dessen Text auf- und übernehmen, was dem Film und seiner Geschichte bereits eine eigentümliche Magie verleiht.

Im ersten, vor dem eigentlichen Filmtitel liegenden Teil des Films, wird beschrieben, wie Tony Takitani geboren wird und aufwächst, wie er durch den Tod seiner Mutter kurz nach der Geburt und seinem zumeist mit seiner Jazzband beschäftigten Vater eine sehr einsame Kindheit durchlebte. Auch wegen seines amerikanischen Vornamen meiden ihn die Mitschüler, er konzentriert sich voll auf seine Begabung, das Zeichnen, doch wegen seiner (ihm völlig normal erscheinenden) Isolation von anderen Menschen fehlt bei seinen Bildern jegliche Emotion, weshalb er später zum erfolgreichen Industriezeichner wird, der vor allem Maschinen porträtiert. Dieser erste Teil des Films wird erzählt wie ein Dokumentarfilm, mit historischen Filmaufnahmen, zeitgenössischer Musik und vielen Photographien, und daß es sich dabei um ein fake documentary handelt, kann man allenfalls daran erahnen, daß man nur sehr wenige von Tonys Zeichnungen sieht. Wenn es sich bei dem auf seinem Gebiet sehr erfolgreichen Zeichner und seinem Vater den Jazzmusiker, um echte, reale Personen gehandelt hätte, wäre der Fokus einer solchen Dokumentation sicher anders ausgefallen.

Doch im zweiten Teil des Films geht es weniger um den Künstler Tony Takitani als um den Menschen, um das weitergeführte Thema der Einsamkeit, daß schließlich sogar mit der Kriegsgefangenschaft des Vaters zusammengeführt wird. Bei der Arbeit lernt Tony Eiko kennen, und nach einigen eher zurückhaltenden Dates macht er ihr einen Heiratsantrag. Gleichzeitig mit diesem Antrag schwört er sich, falls er abgewiesen werden würde, seinem Leben ein Ende zu setzen. Dieses klischeehafte Ultimatum funktioniert nur deshalb im Film, weil die Einsamkeit Tonys im Film fast greifbar ist, sowohl durch leere Räume wie durch Stille oder unendlich langsame Klaviermusik immer wieder aufgegriffen wird.

Doch die beiden heiraten tatsächlich, und für Tony Takitani ändert sich das Leben, er findet das für ihn ungekannte Glück von Nähe und Geborgenheit. Sogar die Musik wird beschwingter, und abgesehen von der an ihm nagenden Angst, er könne dieses Glück wieder verlieren, trübt nur eine Unart seiner Frau das Eheleben: Tony, der auf Eiko überhaupt nur aufmerksam geworden wurde, weil sie "dafür geboren" schien, "gut angezogen zu sein", betrachtet mit Argwohn die Obsession seiner Frau für teure Designerkleidung. Natürlich sieht sie darin absolut fabelhaft aus, doch Tony fragt sich, wie viel Kleidung sie wohl noch in ihrem dafür eingerichteten Raum ansammeln will und muss. Denn keines der vielen Stücke, die ihr wie angegossen passen, wird auch nur annähernd "abgetragen", wie eine Suchtkranke benötigt sie immer wieder neue Kleidungsstücke, und auf lange Sicht scheint klar, daß dies trotz Tonys gutem Einkommen zu finanziellen Problemen führen könnte. Filmisch wird diese Sucht übrigens sehr ökonomisch dargestellt, da wir statt unendlichen unendlichen Möglichkeiten zu Product Placement und Sponsoring bekannter Designer vor allem viele Einkaufstüten und immer wieder unterschiedliche Schuhe an Eikos Füssen sehen.

Bei diesem sich andeutenden "Ärger im Paradies" wird die Filmmusik schon wieder etwas verhaltener. Da Tony sich der Gefahr bewußt ist, daß er durch diese erste Kritik an seiner geliebten Frau diese womöglich verlieren könnte, deutet er das Problem sehr vorsichtig an, und Eiko ist auch bereit, gegen ihre Obsession anzukämpfen. Und mehr will ich an dieser Stelle nicht über die Filmhandlung verraten, obwohl einige der bemerkenswertesten Wendungen, die den Film wahrlich prägen, erst noch kommen.

Die Routine von Tonys Leben (selbst während des Glücks mit seiner Frau) wird im Film mit wiederkehrenden Einstellungen zu einer Art filmischem Gedicht. Immer wieder gibt es langsame horizontale Kamerafahrten, bei denen die Figuren hinter vertikalen Säulen verschwinden und wieder auftauchen, dreimal gibt es die Einstellung von einer für die Kamera unsichtbaren Treppe, die dafür sorgt, daß von neu eingeführten Personen zunächst der Scheitel, Kopf, schließlich die ganze Person ins Bild kommen. Und wie der Reim im Gedicht strukturieren und intensivieren diese wiederkehrenden Momente wie das fünfte Date oder die vierte Kleideranprobe den Film. Wie über die Musik und den Ton arbeitete der Film auch über die Zeitlupe und selbst ein filmisches Stilmittel wie das freeze frame, das im ganzen Film nur einmal angewendet wird, brennt sich förmlich in die Netzhaut, ins Gehirn des Zuschauers, durch die vollkommene Meisterschaft des Mediums Film wird eine eigentlich wenig bemerkenswerte Geschichte von einem der typischen Verlierertypen aus dem Werk Haruki Murakamis zu einem Film, der weitaus mehr als "nur" eine Literaturverfilmung ist.