Nachdem er zunächst nur auf dem Schrottplatz seines Bruders dabei behilflich ist, die (wenn auch nicht farblich) passende Tür für einen Wagen zu finden, wird der 20 jährige Réda plötzlich geradezu "shanghait" und soll seinen Vater in diesem nicht gerade vertrauenserweckenden Gefährt aus der französischen Provence 10.000 km bis nach Mekka fahren - einmal quer durch Europa für eine Pilgerfahrt, die Réda nichts, und nur seinem Vater etwas bedeutet.
Réda, der kurz vorm zweiten (und somit letzten) Versuch seines Abitur steht und eigentlich lernen sollte, bildet sich zunächst noch ein, er könne auf dem Weg vielleicht in Mailand ein paar Photos schießen oder im Geheimen mit seiner Freundin Lisa telefonieren, doch sein Vater hat genaue Vorstellungen, wie so eine Pilgerfahrt vonstatten gehen sollte. Daß er sich mit dem Auto fahren lässt und nicht mit dem Pferd oder (noch besser) zu Fuß auf dem Weg ist, ist schon der ultimative Kompromiß für den gläubigen Moslem, der seinen Sohn weitaus besser austrickst als dieser ihn und der dessen Handy zum Beispiel schon recht früh auf der Reise entsorgt, was angesichts späterer Verwicklungen wohl nicht die genialste Idee war, aber auf jeden Fall dazu führt, daß sich die argwöhnisch gegenüberstehenden Reisekumpanen langsam zu verstehen beginnen.
Über Italien, Kroatien, Serbien, die Türkei, Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien führt die Reise, und als Road Movie hat Le grand voyage sowohl Humor als auch Abenteuer zu bieten. Die Verständigung mit den Einheimischen wird immer schwieriger, während Réda es bald aufgibt, sein Schulenglisch einzusetzen, hat sein Vater mit Zeichensprache und Intuition mehr Glück, der Film gerät in vielerlei Hinsicht zu einer ernsthafteren Version von Hannes Stöhrs One Day in Europe, die Probleme sind lange Zeit fast dieselben, zuviel Vertrauensseligkeit zahlt sich nur selten aus. Neben einem hilfsbereiten Türken, der mit dem Sohn nachts um die Häuser zieht, bevor er am nächsten Morgen plötzlich verschwunden ist - und mit ihm die Barschaft des Vaters - ist vor allem eine verhutzelte Alte bemerkenswert, die die beiden nach einer missglückten "Abkürzung" nach dem Weg nach Belgrad fragen (offenbar ist es nicht in allen Situationen ausreichend, zu wissen, in welcher Richtung Mekka liegt), und die in ihrer schwarzen Kapuzenkutte fast so unheimlich wirkt wie die mysteriösen Todesboten in Nicolas Roegs Don’t Look Now (Wenn die Gondeln Trauer tragen). Die Alte steigt wie ein böser Geist oder Succubus einfach mit ins Auto (aus dem sie sich auch nicht ohne weiteres wieder entfernen lässt), zeigt mit der Hand in eine ungefähre Richtung und faselt dabei etwas von "Dalece" …
Wie die Reise ausgeht, wird hier nicht verraten, aber von bitterkalten Nächten im eingeschneiten Auto über eingeschränkte Kost (Fladenbrot mit Ei) in Wüstengebieten wird ein großes Spektrum abgesteckt und immerhin bekommt der Sohn einen tieferen Einblick in die Religion seines Vaters und dieser akzeptiert irgendwann die nichtmuslimische Freundin seines Sohnes. Und in dieser Hinsicht ist Le grand voyage klar mehr als ein herkömmliches (sehr gelungenes) road movie, sondern auch für den Zuschauer eine veritable Pilgerfahrt - mit ungewissem Ausgang.