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September 2005
Thomas Vorwerk
für satt.org

NVA
D 2005

NVA (R: Leander Haußmann)

Regie:
Leander Haußmann

Buch:
Leander Haußmann, Thomas Brussig

Kamera:
Frank Griebe

Schnitt:
Hansjörg Weißbrich

Musik:
Paul Lemp, Marcel Blatti

Artwork:
Darius Ghanai

Darsteller:
Kim Frank (Henrik), Oliver Bröcker (Krüger), Detlev Buck (Oberst Kalt), Jasmin Schwiers (Marie), Maxim Mehmer (Aurich), Philippe Graber (Stadlmair), Daniel Zillmann (Mischke), Robert Gwisdek (Traubewein), Ignaz Kirchner (Futterknecht), Torsten Michaelis (Hauptmann Stummel), Uwe Dag Berlin (Lenk), Ralf Dittrich (Laucke), Annika Kuhl (Schwester Sonja), Katharina Thalbach (Schwester Inge)

98 Min.

Kinostart:
29. September 2005

NVA

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Irgendwo in Ostdeutschland, Ende der 80er Jahre. Hendrik Heidler (Kim Frank) tritt seinen 18monatigen Dienst bei der Nationalen Volksarmee an. Zu den (nicht-diegetischen) Klängen von CCRs Bad Moon Rising landet er in der Fidel-Castro-Kaserne, wo er zunächst mal von seiner Johnny-Depp-mäßigen Frisur befreit wird und ihm eingeschärft wird, daß ein Soldat nicht seinen verträumten Blick haben dürfe, sondern ausdruckslos schauen müsse. Mit seinem Stubenkameraden Krüger (Oliver Bröcker), dessen auffälliges Verhalten nebst „hochmütigem“ Blick dem befehlenden Oberst Kalt (Detlev Buck) schon früh ein Dorn im Auge ist, verbindet ihn schnell eine Freundschaft, die beiden wirken mal wie Laurel und Hardy, erinnern in anderen Momenten aber auch an den (ihnen offenbar bekannten) Kubrick-Film Full Metal Jacket. Ähnlich wie der dort von Vincent D’Onofrio gespielte spätere Selbstmörder soll auch der etwas übergewichtige Krüger „geschliffen“ werden, bis er ein echter Soldat ist - „Sie wollen ein Individuum sein - dann werden wir sie auch individuell behandeln …“

Täglich schreibt Hendrik seiner Freundin Eva, die ihn aber nicht wie versprochen bei der Vereidigung besucht. Krüger weist immer wieder darauf hin, daß er mit seiner Perle vorm Dienstantritt Schluss gemacht habe, Hendrik ist wenig überraschend ein Schicksal gewiß, das immerhin nicht ganz so brutal ist wie das eines weiteren Stubenkollegen, der nach fünf Monaten Trennung von seinem „Moppelchen“ zunächst noch freudig reagiert, daß sie nun im dritten Monat schwanger ist …

Bei einem Manöver lernt Frank aber seine neue Traumfrau kennen - ganz in Thomas Brussig-Manier eine Vision im roten Pünktchen-Kleid (Jasmin Schwiers, die auch das unglaublich hässliche Filmplakat beherscht), die sich später zunächst als Krankenschwester, dann sogar als Tochter von Oberst Kalt herausstellt.

Damit sind die Vorgaben für Leander Haußmanns neue Ostalgie-Komödie gegeben, nach zwei Verfilmungen deutscher Gegenwartsliteratur hat er diesmal seine eigenen NVA-Erfahrungen gemeinsam mit Thomas Brussig (Helden wie wir, Sonnenallee), der auch dort gedient hatte, zu einem Drehbuch und (nebenbei) sogar seinem ersten Roman verarbeitet. Die Komödie, die manchmal recht subtile Witze am Rande einstreut, die nicht jedem auffallen werden, funktioniert glänzend, insbesondere die Vorgesetzten mit ihrem furchtsamen Beharren, daß sich die „weltpolitische Lage verschärft“ habe, oder die lange politische Weihnachtsrede vom Parteiangehörigen Stubbe, während das (ärmliche) Essen kalt wird, sind satirisch treffsicher, und man merkt, daß die beiden Autoren wissen, wovon sie sprechen. Die „unattraktivste Armee aller Zeiten“ ist weit entfernt von der westdeutschen Bundeswehr, wo Befehle laut Ansicht der ostdeutschen Kollegen etwa so lauten müssen: „Würden die Herren bitte in den vollklimatisierten Bus einsteigen …?“

Daß Haußmann sich jedoch nach anderthalb Stunden Kinovergnügen dazu entschieden hat, auch in seinem dritten Kinofilm die deutsche Wende darstellen zu müssen, was zu einer wenig überzeugenden finalen Befehlsverweigerung, einem unangebrachten Freeze Frame und einem veritablen Filmriß führt, verdirbt den bis dahin sehr guten Gesamteindruck. Ist die Einbeziehung der Wende etwa nötig für den Film oder für ein westdeutsches Publikum, daß das Ganze als zu verniedlicht auffassen könnte? Eigentlich nicht, und da sowohl Haußmann als auch Brussig weit vor der Wende ihren Dienst ableisteten, bleibt es ein Rätsel, warum der Film so unmotiviert endet. Vielleicht ist dies nur ein Schachzug, um dem Zuschauer nicht die vollen drei Diensthalbjahre zuzumuten, denn wenn Heidler und Krüger erstmal selbst mit den „Glatten“ so umgehen wie diese sie zuvor als Musikbox oder Schildkröte zweckentfremdet haben, verliert sich auch einiges an der Komik der Situation.