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November 2005 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||
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In den Schuhen
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Doch solche „Verkürzungen“ scheinen nicht nur unvermeidbar bei Entscheidungen auf Studioebene, sondern auch bei der Entscheidung des Kinobesuchers, welchen Film er besuchen will. man stelle sich vor, eine Clique von drei Personen soll darüber entscheiden, welchen Film man gemeinsam besucht, und einer würde jetzt davon anfangen, daß es in In her Shoes auch um eine Lese-/Rechtschreibschwäche geht oder ein Refugium für aktive Senioren. Nicht auszudenken!
Und so arbeitet nicht nur die deutsche PR-Abteilung mit solchen Verkürzungen, der Film wendet sie teilweise sogar selbst an: gleich in der ersten Szene wird eine missglückte Nummer in einer Toilettenkabine mit dem Song Stupid Girl von Garbage untermalt und damit Maggie (Cameron Diaz) sofort ein Stempel aufdrückt. In einer Parallelmontage sieht man dann auch die vorsichtigen Annährungsversuche ihrer Schwester Rose (Toni Collette) an das andere Geschlecht und weiß sofort um den größten Unterschied zwischen den jungen Frauen: „Tanga oder Baumwollschlüpfer“, wie es im Film selbst verkürzend zusammengefasst wird.
Während Maggie sich mit vollem Körpereinsatz durchs Leben schlägt, und dabei zwar in Kneipen viel Erfolg hat, aber nicht im Berufsleben (Ihre Karriere als MTV-Moderatorin scheitert beispielsweise am Umgang mit dem Teleprompter), ist Rose zwar eine erfolgreiche Anwältin auf der Schwelle zur Chefetage, doch dabei wird nicht nur das Körperliche vernachlässigt, sondern auch ihr allgemeines Seelenheil (auch auf die Gefahr hin, daß sich dieser Begriff zu esoterisch anhört).
In her Shoes ist kein Film, den man in drei Sätzen zusammenfassen sollte (immerhin ist es eine Literaturverfilmung, die keineswegs üblichen Drehbuchkonstruktionen entspricht). Und es ist auch kein Film, dessen gesamte Story man bereits vor dem Kinobesuch kennen sollte, denn trotz seiner 130 Minuten kann man dem Film vor allem bescheinigen, daß er zu keinem Zeitpunkt langweilig ist, bis zuletzt wartet er mit Überraschungen auf.
Doch um aus diesem Film einen Erfolg zu machen, bedarf es womöglich all dieser Verkürzungen, als Mischung aus Sex and the City und Grüne Tomaten kann man die Zuschauer eher ins Kino locken. Diesen Eindruck verstärkte auch die Pressekonferenz, zu der nicht etwa Regisseur Curtis Hanson oder Schauspiellegende Shirley MacLaine geladen wurden, sondern Cameron Diaz und (nicht zu vergessen) Toni Colette, die dann besipielsweise Moritz Wonka, den „Kinderreporter von RTL-Exklusiv“ über sich ergehen lassen mussten, der unbedingt von Cameron Diaz wissen wollte: „How do you like Berlin und German?“
Sind sie abergläubisch, Frau Diaz? Wie läuft es so mit Justin? Was ist an dem Gerücht über eine große Party auf Hawaii? Man war schon positiv überrascht, wenn überhaupt mal auf den Film Bezug genommen wurde, und sei es nur, weil der Vertreter der Bild-Zeitung nach den Lieblingsschuhmarken der Darstellerinnen fragte.
Spannender als Cameron Diaz ist an In her Shoes beispielsweise das Drehbuch von Susannah Grant (Erin Brockovich), das nur so von bemerkenswerten Dialogzeilen sprüht (etwa „Middle-aged tramps aren’t cute - they’re pathetic!“ oder „Shoes like that shouldn’t be locked away in a closet - they should be living a life of scandal … getting screwed in an alleyway by a billionaire.“), selbst wenn vielleicht einige davon aus Jennifer Weiners Romanvorlage übernommen wurden.
Ironie des Schicksals: Curtis Hanson liefert seinen mit Abstand besten Film seit L. A. Confidential ab, aber alle Welt will nur wissen, warum Cameron Diaz Flip-Flops bevorzugt. Einerseits möchte ich nicht in den Schuhen des Regisseurs stecken, andererseits hat er selbst damit wahrscheinlich kein Problem, denn bei seinen zwei vorhergehenden Starvehikeln mit Michael Douglas und Eminem wird es auch nicht anders gelaufen sein …
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