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Dezember 2005
 

Cinemania 23:
Kinostart Winter 2005

Da der November nur vier Filme abwarf, denen nicht schon als „Wochenfilme“ Aufmerksamkeit geschenkt worden war, wurden diesmal zwei Monate zusammengefasst. Culture clash und Familienchaos, Verfilmungen semi-autobiographischer Schriften von Charles Bukowski und Jonathan Safran Foer - und gleich zwei mal Mark Ruffalo …



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Cinemania 23:
Kinostart Winter 2005

[Alle Rezensionen außer Die Familie Stone von Thomas Vorwerk]

Alles was ich an euch liebe
(Teresa de Pelegri & Dominic Harari)

Originaltitel: Seres queridos, Spanien / Argentinien / Portugal / UK 2004, Buch: Teresa de Pelegr, Dominic Harari, Kamera: Denny Cohen, Schnitt: Fernando Pardo, Musik: Charlie Mole, mit Norma Aleandro (Gloria), Guillermo Toledo (Rafi), María Botto (Tania), Marian Aguilera (Leni), Fernando Ramallo (David), Alba Molinero (Paula), Max Berliner (Dudu), Mario Martin (Ernesto), 89 Min., Kinostart: 1. Dezember 2005

Dem immer wieder verlässlichen Arsenal Filmverleih (nicht verwandt oder verschwägert mit dem Berliner Kino) ist es zu verdanken, daß dieser Film, der bereits beim diesjährigen Jewish Film Festival das Publikum verzückte, nun auch regulär in die Kinos kommt.
Seres queridos erzählt die Geschichte eines jüdischen Familienabends in Barcelona. Bei den Dalinskys wohnen vier Generationen unter einem Dach. Neben dem 82jährigen Opa Dudu vor allem Ernesto und Gloria sowie zwei der drei Kinder, der jüngste David (seit kurzem ein Sabbat-Fanatiker) und die älteste Leni, wobei die leicht nymphomanisch veranlagte Leni auch bereits eine sechsjährige Tochter (natürlich ohne dazugehörigen Vater) hat. Zu dieser bereits chaotischen Gesellschaft gesellen sich die mittlere Tochter Leni mit ihrem Verlobten Rafi, der der Familie vorgestellt werden soll. Und spätestens hier beginnen die wahren Probleme, denn die Information, daß Rafi trotz seines israelischen Passes eigentlich ein Palästinenser ist, soll der Familie während dieses Abends „schnonend“ beigebracht werden. Bei einer Aneinanderreihung von Tumulten scheint dies aber kaum möglich, insbesondere wenn Rafi sich damit abquält, die eingefrorene Erbsensuppe aus der Plastikschale herauszubekommen, und die Suppe dabei aus dem Fenster fliegt und einen vor dem Hochhaus spazierenden alten Mann erschlägt, bei dem es sich womöglich um den verspäteten Familienvater Ernesto handeln könnte. Wie soll man der Familie beibringen, daß eine Ehe mit einem Palästinenser keinen Kleinkrieg beschwören muß, wenn dieser gleich am ersten Abend unfreiwillig zum Totschläger wird?
Doch Leni steht ihrem Rafi bei, die Erbsensuppe wird wiederbesorgt, die Blutflecken fallen auch keinem auf und für den bewußtlosen Mann kommt ein Krankenwagen. Doch durch Rafis schlechtes Gewissen, seine Schweißausbrüche und sein daraus resultierendes seltsames Verhalten wird die Familie schnell argwöhnisch, und der Kriegsveteran Dudu hat natürlich in seinem Schrank ein geladenes Gewehr.
Seres queridos ist ein typisch jiddische Komödie, die sich in der letzten Einstellung sogar bei einem der besten Komödienregisseure der Filmgeschichte, Billy Wilder, bedient - und als Zuschauer empfindet man dies nicht etwa dreist, sondern angemessen: Billy Wilder hätte dieser Film sicher gefallen. Die verheirateten Drehbuchautoren und Regisseure kaschieren geschickt, daß ein Großteil des Films in der kleinen Wohnung der Dalinskys spielt, und schon die klug zusammengewürfelte Familie mit ihren diversen Spleens, Ticks und Vorurteilen garantiert einen denkwürdigen Kinoabend, bei dem die Lachmuskeln arg strapaziert werden.

Wo die Liebe hinfällt …
(Rob Reiner)

Originaltitel: Rumor has it, USA 2005, Buch: T. M. Griffin, Kamera: Peter Deming, Schnitt: Robert Leighton, Musik: Marc Shaiman, mit Jennifer Anniston (Sarah Huttinger), Kevin Costner (Beau Burroughs), Shirley MacLaine (Katherine Richelieu), Mark Ruffalo (Jeff Daly), Richard Jenkins (Earl Huttinger), Mena Suvari (Annie Huttinger), Christopher MacDonald (Roger McManus), Steve Sandvoss (Scott), Kathy Bates (Tante Mitsy), Mike Vogel (Blake Burroughs), Jennifer Tayler (Jocelyn Richelieu), Lyman Ward (Charity Dinner Guest), George Hamilton (Himself), 96 Min., Kinostart: 22. Dezember 2005

Auch im Genre der Romantic Comedy werden Quasi-Remakes und -Sequels immer häufiger. Einer der erfolgreichsten Vertreter dieses Genres, When Harry met Sally, hat erst vor einigen Monaten eine seltsame „Modernisierung“ erfahren (A Lot like Love / So was wie Liebe), und von Rob Reiner, dem Harry & Sally-Regisseur, sah man in Deutschland zuletzt The Story of Us (An Deiner Seite), eine Art Sequel seines größten Erfolgs als Scheidungskomödie.
In Rumor has it bezieht man sich aber nicht auf Harry & Sally (vom Casablanca-Ball mal abgesehen …), sondern auf einen Klassiker der 1960er Jahre, The Graduate (Die Reifeprüfung), mit dem Dustin Hoffman seinerzeit berühmt wurde.
Sarah Huttinger (Jennifer Anniston) besucht zusammen mit ihrem Verlobten Jeff (Mark Ruffalo) die Hochzeit ihrer jüngeren Schwester Annie (Mena Suvaro), hält aber die eigene Verlobung vererst noch geheim, auch weil sie ein wenig Torschußpanik beschleicht. In der Heimat ihrer Kindheit, Pasadena, erfährt sie langsam von einem Familiengeheimnis. Ihre Mutter Jocelyn, die verstarb, als Sarah neun war, soll kurz vor der Hochzeit, mit irgendeinem Kerl für eine Woche nach Mexiko durchgebrannt sein, rein rechnerisch besteht auch die Möglichkeit, daß dieser Mann Sarahs leiblicher Vater sein könnte (mit ihrer eigentlichen Familie verbindet sie nämlich eher weniger).
Der mittlerweile als Internet-Millionär bekannte Beau Burroughs besuchte die selbe Uni wie Romanautor Charles Webb, der sich beim Verfassen seines bekanntesten Werks wohl an Tatsachen aus seiner Umgebung orientierte. Wenn aus Beau Burroughs der Schulabgänger Benjamin Braddock (in The Graduate Hoffman, in Rumor has it Costner) wurde, so würde Sarahs Großmutter Katherine Richelieu (Shirley MacLaine) die entsprechende „Mrs. Robinson“ (damals Anne Bancroft) sein, und sogar Sarahs Vater (Richard Jenkins) erinnert in seinem Erscheinungsbild nicht wenig an die Filmversion des zurückgelassenen Bräutigams (war zu faul, den Namen des unbekannten Schauspielers nachzuschauen). Nur mit dem Unterschied, daß Elaine Robinson (in The Graduate Katherine Ross, in Rumor has it Sarahs Mutter Jocelyn Richelieu) nach einer Woche zu diesem erfolgsversprechenderen Gatten zurückkehrte und mit ihm eine Familie aufbaute …
Soweit alles kapiert? Der Film - und mit ihm Jennifer Aniston - begibt sich sehr schnell auf eine Art Schnitzeljagd, die dem Originaltitel entspricht (“Wo die Liebe hinfällt …“ ist mal wieder dummdeutsche Hausmannskost für - laut Ansicht des Verleihs - minderbemittelte Ladenmädchen, die bei einem Titel wie „Es geht ein Gerücht …“ nicht kapieren könnten, daß dahinter eine Romantic Comedy „versteckt“ ist).
Schnell wird dem Zuschauer klar, daß zwei Fragen geklärt werden müssen:
1) Landet Sarah wie ihre Mutter und Großmutter im Bett des enigmatischen Schulabbrechers BB? (ein kleines Detail, das Charles Webb verändert hat -
The Drop-Out wäre wohl kein so guter Titel gewesen …)
2) Ist BB ihr leiblicher Vater?
Perfiderweise wäre eine doppelte Bejahung in jeder Hinsicht ein No-No, und man kann Rob Reiner soviel gesunden Menschenverstand unterstellen, seinen Film nicht zu einem Inzest-Drama verkommen zu lassen …
Die dauerverwirrte Jennifer Anniston agiert ganz passable, Kevin Costner ist überraschend erträglich und Shirley MacLaine arbeitet nach In her Shoes weiter an ihrem großen Comeback - in diesem Film hat sie klar die besten Dialogzeilen und Auftritte, inklusive des unvermeidlichen Wiedersehens von Mrs. Robinson und Benjamin Braddock:
MacLaine schaut aus dem Fenster, erblickt Costner: „That son of a bitch …“, schaut aber vor dem Verlassen des Hauses nochmal kurz in den Spiegel. Kameraeinstellung aus der Sicht Costners, MacLaine tritt mit Ennio Morricone-Begleitung vor’s Haus, Costner entfährt nur ein „Oh, Jesus!“ Wie’s weiter geht, erfährt man im Film.
Ziwschendurch vom Drehbuch fast vergessen, kommt Mark Ruffalo als Verlobter später auch wieder ins Spiel, und Regisseur Rob Reiner gelingt es, mit einer Variante des Schluß von Harry & Sally (seinerzeit auch schon bei Woody Allen geklaut) sogar Spannung aufkommen zu lassen - das Happy End ist diesmal nicht vorprogrammiert. Mark Ruffalo (“the thinking woman’s sex symbol“), der hierzulande noch eher unbekannt ist, hat nach Just Like Heaven in diesem Dezember bereits seine zweite Hauptrolle in einer Romantic Comedy, und sein Durchbruch wäre mehr als verdient, In jeder seiner Szenen in Rumor has it, in denen nicht zufällig auch Großmeisterin Shirley MacLaine zu sehen ist (“Go play with your dick, Jeff!“), beherrscht er die Leinwand, und er ist klar ein besserer Grund, sich diesen Film anzuschauen als etwa Jennifer Aniston.
Zu guter Letzt in diesem mal wieder sehr fragmentarischen Text (entspricht aber teilweise auch der Filmstory) noch der beste Insidergag des Films. Auf dem Kaminsims des Internet-Millionärs stehen Bilder, die ihn an der Seite prominenter Politiker wie Bill Clinton oder Fidel Castro zeigen. Wer aber genau hinschaut, sieht auch mal Rob Reiner neben Costner stehen …

Factotum
(Bent Hamer)

Norwegen / Deutschland / USA 2005, Buch: Bent Hamer, Jim Stark, Lit. Vorlage: Charles Bukowski, Kamera: John Christian Rosenlund, Schnitt: Pål Gengenbach, Musik: Kristin Asbjørnsen, Dadafon, mit Matt Dillon (Henry Chinaski), Lili Taylor (Jan), Marisa Tomei (Laura), Fisher Stevens (Manny), Didier Flamand (Pierre), Adrienne Shelley (Jerry), Karen Young (Grace), Tom Lyons (Tiny Endicott), 93 Min., Kinostart: 8. Dezember 2005

Matt Dillon war mit seinen Auftritten in Herbie Fully Loaded und Crash im Filmjahr 2005 bereits überdurchschnittlich präsent, doch nun spielt er auch noch in einer Hauptrolle niemanden geringeren als Charles Bukowski, dessen bisher überzeugendste Darstellung auf der Kinoleinwand wohl von Mickey Rourke (noch jemand, der 2005 ein Comeback hatte) in Barfly (1987) lieferte. Verglichen mit Barbet Schröders / Mickey Rourkes fast selbstzerstörerischen Inszenierungs- / Darstellungsstil wirkt Factotum vom Norweger Bent Hamer (Kitchen Stories) teilweise fast harmlos. Zwar konnte man sich eine obligatorisch Filzlausszene nicht verkneifen, doch die Exzesse in Sachen Sex und Alkohol scheinen Bukowskis Leben vor Erscheinen seines zweiten Romanes Factotum vielleicht noch nicht so sehr bestimmt zu haben wie im Originaldrehbuch zu Barfly. Stattdessen überzeugt der Film mit einem lakonischen Humor, für den der skandinavische Regisseur die perfekte Wahl zu sein scheint. Schon der Filmtitel wird nicht etwa durch eine Übersetzung aus dem Lateinischen (wie in vielen Kritiken zum Film) erklärt, sondern lapidar als „a man who performs many jobs“. Und so verfolgen wie „Henry Chinaski“ (Bukowskis „Tarnname“ in diesem Werk), wie er etwa als Kurierfahrer zunächst vergisst den Stecker für Kühlaggregat abzuziehen, um sich kurz darauf mit offenstehender Hintertür (und herausplätscherndem Ex-Eis) vom Vorgestzten in der nächsten Kneipe erwischen zu lassen. Henry übernimmt jeden Job, sei es als Taxifahrer (trotz mehrfach wegen Trunkenheit eingezogenen Führerscheins), Akkordarbeiter in der Gurkenfabrik (für die Zigarettenpause muss aber Zeit bleiben) oder als Monteur in einem Ersatzteillager für Fahrräder (wo man immer ein bißchen vor dem Feierabend verschwinden muß, wenn man noch beim nahegelegenen Stadion seine Wetten abgeben will. Nebenbei schreibt er Kurzgeschichten über sein jämmerliches Dasein, die er jede Woche an ein offensichtlich nicht interessiertes Magazin schickt (der gut informierte Zuschauer ahnt hier natürlich eine Art Happy End), und am erstaunlichsten ist es, wie ein solcher Verlierertyp bei aller „Hand in den Mund“ sogar noch ganz gut leben kann (insbesondere, wenn die Pferdewetten laufen).
Mit Lili Taylor und Marisa Tomei bekommt Dillon auch noch zwei durchaus ansehnliche Gespielinnen, anhand derer ich mal den Bukowski-typischen Stil des Off-Kommentars demonstrieren kann: „And then I met Jan. I bought her a drink and she gave me her phone number. Three days later I moved in with her.“
Bukowski war nie politically correct und manch einer warf ihm vor, misogyn zu sein. Umso bemerkenswerter, wie es Hamer und Dillon hier gelingt, sogar Sätze wie „She was an excellent fuck“ tatsächlich wie ein Kompliment im Raum stehen zu lassen. Factotum ist als Komödie nicht ganz so harmlos-naiv wie Kitchen Stories, aber fast genauso liebenswert. Wenn sich jemand wie Henry mal aus eigenem Antrieb aufrafft, die Wohnung aufzuräumen, nur um dann von einer Furie von Freundin des Seitensprungs bezichtigt zu werden, ist dies eine fast tragische Ironie, wie sie in Norwegen oder Finnland öfter anzutreffen ist - Umso besser für uns, daß Hamer diesen Humor ins schäbige Amerika Bukowskis herüberretten konnte.

The Descent
Abgrund des Grauens
(Neil Marshall)

Originaltitel: The Descent, UK 2004, Buch: Neil Marshall, Kamera: Sam McCurdy, Schnitt: Jon Harris, Musik: David Julyan, Visual Effects: Leigh Took, mit Shauna Macdonald (Sarah), Natalie Mendoza (Juno), Alex Reid (Beth), Saskia Mulder (Rebecca), Nora Jane Noone (Holly), MyAnna Buring (Sam), Oliver Milburn (Paul), Molly Kayll (Jessica), Craig Conway, Les Simpson (Crawlers), 99 Min., Kinostart: 10. November 2005

Beim letzten Fantasy Filmfest wurde dieser britische Streifen vorwiegend positiv angenommen, entspricht er doch genau jener Art von gruseligem Popcorn-Kino, verfeinert mit einigen Twists. Regisseur und Drehbuchautor Neil Marshall versammelte für seinen letzten Film Dog Soldiers sechs Männer vor der Kamera, und zog nun mit einem Film nach, dessen Story oft liebevoll als „six chicks with picks“ zusammengefasst wird.
Ungeachtet der traumatischen Ereignisse am Ende der letztjährigen Rafting-Tour treffen sich sechs abenteuerlustige Frauen zu einer Höhlenbesichtigung mit Bergwerksausrüstung, im Englischen Caving genannt. Schon früh geht bei diesem Ausflug einiges schief: die todesmutige Organisatorin Juno (Natalie Mendoza) wählt eine bisher unerforschte Höhle und lässt nach einigen Bemerkungen einer weiteren Adrenalinverrückten, der punkigen Holly (Nora Jane Noone, zuletzt eine der Magdalene Sisters), daß die „Boreham Caves“ entsprechend ihres Namens ja langweilig und Kinderkram seien, einfach das Kartenmaterial im Auto liegen.
Vor den Frauen erstreckt sich ein dunkles Erdloch, das noch am ehesten den etwas dümmlich gewählten deutschen Titel „Abgrund des Grauens“ rechtfertigt. Die auftauchenden Fledermause werden zunächst noch in „Graf Zahl“-Manier ins Lächerliche gezogen, doch spätestens nachdem einer der engen, zu durchquerenden Gänge zusammenstürzt, und die traumatisierte Sarah gerade noch im letzten Moment einem vorzeitigen Begräbnis entkommen kann, machen sich die ersten Panikattacken breit, die auch nicht geringer werden, als klar wird, daß die Mädels nicht nur nicht wissen, wo (oder ob!) der nächste Ausgang zu finden ist, sondern es sich auch herausstellt, daß sie nicht allein sind.
Die sogenannten „crawlers“ erweisen sich als evolutionäre Nebenlinie des homo sapien, die gänzlich auf den unterirdischen Lebensraum spezialisiert sind und sich bevorzugt von Fleisch ernähren. Mehr will ich an dieser Stelle mal nicht ausplaudern. Nach einer ersten tödlichen Konfrontation stellt sich vor allem eines schnell heraus: Die Crawlers sind nicht nur in der Überzahl, sondern sehr viel teamfähiger als die überlebenden Mädchen, unter denen sich Misstrauen und Aggression breitmachen.
Der Rafting-Prolog mit seinem unverhergesehenen Ausgang ist zwar eine gelungene Einstimmung auf den folgenden Horror, doch die traumatische Verfolgung eines der Mädchen durch einen Traum mit einer Geburtstagstorte mit auszublasenden Kerzen und halluzinatorischen Stimmen in der Höhle überzeugt nicht immer, ganz wie auch das von langer Hand geplante Eifersuchtsdrama zu vorhersehbar bleibt. Doch The Descent überrascht auch mehrfach sehr positiv. Nicht nur sind die Crawlers von einigen CGI-Einstellungen abgesehen sehr überzeugend gelungen, auch gibt es nicht nur die üblichen Schocksequenzen, sondern auch einige wirklich gute Ideen, die den Film bis zur letzten Sekunde die Spannung aufrecht erhalten lassen. Ich persönliche hätte mir zwar eine drehbuchmäßige closure gewünscht, die durchaus möglich gewesen wäre (Geburtstagstorte …), aber auch so kann ich das Urteil des The Observer ohne weiteres unterstützen, daß The Descent einer der besten (wenn nicht der beste) britische Horrorfilme der letzten Jahre ist. Sehr viel dunkler, spannender, hinterhältiger und in jeder Hinsicht gelungener als beispielsweise Creep mit Franka Potente.

Elizabethtown
(Cameron Crowe)

USA 2005, Buch: Cameron Crowe, Kamera: John Toll, Schnitt: David Moritz, Musik: Nancy Wilson, Kostüme: Nancy Steiner, mit Orlando Bloom (Drew Baylor), Kirsten Dunst (Claire), Susan Sarandon (Hollie Baylor), Alec Baldwin (Phil), Bruce McGill (Bill Banyon), Judy Greer (Heather Baylor), Jessica Biel (Ellen), Paul Schneider (Jessie Baylor), 123 Min., Kinostart: 3. November 2005

Drew Baylor (Orlando Bloom) kennt den Unterschied zwischen Versagen und Fiasko. Ein Versagen kann man wegstecken, doch wenn man nacht acht Jahren Arbeit mit Späsmotica (der Name spricht Bände) den perfekten Turnschuh designt hat und die Erfolgsgeschichte plötzlich durch ganze LKW-Ladungen zurückgeschickter Späsmoticas zum Fiasko wird und die Firma 972 Mio. Dollar Verluste kostet (kann man eigentlich schon auf eine Milliarde aufrunden …), hat man keinen Platz mehr in dieser Firma - und vielleicht auch nicht unter den Lebenden …
Doch wer sich soviel Zeit wie Drew nimmt, aus einem Trimmdich-Gerät und einem Küchenmesser eine Selbstmordmaschine zu basteln, der hat es nicht verdient, bereits nach zwanzig fulminanten Minuten aus dem Film auszuscheiden. Und so gelingt es Regisseur und Drehbuchautor, mit einem rettenden Telefonanruf von Drews Schwester (Judy Greer) aus einer vermeintlichen - etwas melodramatisch übertriebenen - „life or death“-Situation eine wirkliche zu machen, denn Drews Vater ist gestorben und soll vom Erfolgsmensch Drew (dafür hält ihn bis zum Erscheinen seines Interviews in einer Newsweek-ähnlichen Wochenzeitschrift noch jeder) unter die Erde gebracht werden.
Bis zu diesem Zeitpunkt ist Elizabethtown ein filmisches Meisterwerk. Wie Orlando Bloom seine Dauerentgegnung „I’m fine“ langsam im Hals steckenbleibt, wie er von seiner ehemaligen Gespielin (Jessica Biel) zur Schlachtbank geführt wird, wie der innere Monolog Drews immer wieder ins reale Geschehen überlappt, wie das Design der Executive-Etage jedem Kubrick-Film zur Ehre gereicht, wie Alec Baldwin in einer weiteren Nebenrolle als Turnschuhmagnat versucht, mit dem Verlust klarzukommen (“our world life project has to be closed - we COULD have saved the world!“), bis hin zu seiner Zusammenfassung von Drews Fiasko „It may actually cause an entire generation to return to bare feet“ - dann der Selbstmordversuch mit den in Zeitlupe tanzenden Pennern - Elizabethtown hätte ein ganz großer Film werden können.
Doch dann kommt mit der etwas aufdringlichen Stewardess Claire (Kirsten Dunst) der love interest - und damit die Rettung - für Drew daher, doch weil man diese Geschichte schon allzu oft gesehen hat, und sich statt einer klassischen Screwball Comedy, bei der die energische Frau den lethargischen Mann „herumkriegen“ muss, nur eine etwas überdurchschnittliche Romantic Comedy entwickelt, die dann noch mit den teilweise sehr witzigen Bemühung einer Gedenkfeier für den verstorbenen Mitch Baylor verwoben wird, kann der Film nicht annähernd die Intensität und Innovation der ersten zwanzig Minuten aufrechterhalten.
Musik spielte in den Filmen von Cameron Crowe immer eine große Rolle. Man denke nur an Singles oder Almost Famous. Auch in Elizabethtown ist der Soundtrack gut ausgewählt, die liebevolle Erstellung von Mixtapes (bzw. -CDs) spielt auch in der Liebesgeschichte eine große Rolle, doch wie die meisten Mixtapes einen mit den ersten vier, fünf Songs verzaubern können, man noch voller Konzentration jede Liedzeile in sich aufnimmt und auf die eigene Situation überträgt, so scheitert Elizabethtown daran, daß selbst der verliebteste Profi-DJ es nicht schaffen wird, einen für 42 Stunden zu verzaubern. Der filmische Ausflug nach Elizabethtown dauert zwar nur etwas über zwei Stunden, doch an irgendeinem Punkt besteht die Gefahr, sich nicht mehr dafür zu interessieren, ob Drew und seine Stewardess sich kriegen, was Drews Mutter (Susan Sarandon) zu Ehren ihres verstorbenen Gatten in einer etwas langen Rede zu sagen hat, und auf welche Art und Weise Cameron Crowe seinem bereits zu Beginn seiner Filmkarriere verstorbenen Vater mit diesem Film ein Denkmal zu setzen versucht, bei dem dann irgendwann auch ein Wegweiser zu sehen ist, auf dem auch die Richtungen „success“ und „failure“ angegeben sind. Meines Erachtens ist Elizabethtown sicher kein Fiasko, aber von einem filmischen Erfolg ist der Streifen weit entfernt. Vielleicht wäre am Schnittpult noch etwas zu retten gewesen, über anderthalb Stunden hätte sich auch mein Interesse aufrecht erhalten können, but, alas …
Wer einen Cameron Crowe-Film sehen will, in dem ein erfolgsverwöhnter Yuppie nach seinem Karriere-Absturz zur großen Liebe findet, dem sei ein Film empfohlen, den Crowe im letzten Jahrzehnt drehte: Jerry Maguire. Wer von Tom Cruise und Renée Zellweger die Schnauze voll hat, und lieber Orlando Bloom und Kirsten Dunst sehen will, der (oder die) hat auch vielleicht bessere Chancen, diesen Film mit seiner (gähn) lebensbejahenden Message zu genießen - Immerhin ist diesmal das Kind nicht so penetrant niedlich, etwas hat Crowe doch dazugelernt.

Die Familie Stone
Verloben verboten!
(Thomas Bezucha)

[Rezension von Friederike Kapp]
Originaltitel: The Family Stone, USA 2005, Buch: Thomas Bezucha, Kamera: Jonathan Brown, Schnitt: Jeffrey Ford, mit Sarah Jessica Parker (Meredith Morton), Dermot Mulroney (Everett Stone), Diane Keaton (Sybil Stone), Rachel McAdams (Amy Stone), Luke Wilson (Ben Stone), Ty Giordano (Thad Stone), Elizabeth Reaser (Susannah Stone), Craig T. Nelson (Kelly Stone), Brian White (Patrick), Claire Danes (Julie Morton), 100 Min., Kinostart: 15. Dezember 2005


Weihnachten ist das Fest der Familie – im guten wie im schlechten. Ausgerechnet zu Weihnachten bringt Everett Stone (Dermot Mulroney) seine Verlobte zum Antrittsbesuch bei den zukünftigen Schwiegereltern mit. Damit ist der Rahmen abgesteckt: ein neues Tier kommt in den Käfig. Wie werden die anderen sich verhalten? Kommt die Hackordnung durcheinander? Wird der Neuling angenommen? Die Spannung, unter der Meredith (Sarah Jessica Parker) steht, ist mit Händen greifbar. Als ob unter an Weihnachten jeder Fauxpas doppelt zählt. Und Meredith möchte unter keinen Umständen einen Fehler machen.
Natürlich macht Meredith Fehler und wird dadurch noch verkrampfter. Ihr größter Fehler ist allerdings, der Familie nicht zu gefallen. Everett und Meredith treten als korrekte Business-People auf, die Familie hingegen gibt sich derart penetrant locker, daß schon diese Diskrepanz zum Ausgrenzungskriterium wird. Mutter Sybil (Diane Keaton), sonst reizend gegen jedes Familienmitglied einschließlich des Lebensgefährten ihres schwulen Sohnes Thad (Ty Giordano), begegnet Meredith mit Vorbehalten, die sich in kleinen schnippischen Bemerkungen manifestieren. Schwester Amy (Rachel McAdams) spart nicht mit giftigen Kommentaren. Thad und sein Partner Patrick (Brian White) erscheinen zurückhaltend-neutral, Ben (Luke Wilson) wiederum ist von unmotivierter Freundlichkeit, die immer mit spöttischer Ironie gepaart scheint und Meredith irritiert. Schon der erste Tag verläuft schlecht und endet mit Merediths Rückzug.
Zur Verstärkung bittet Meredith ihre Schwester Julie (Claire Danes) zu Besuch. Julie kommt und läuft mit ihrer lockeren Art ihrer Schwester im Handumdrehen den Rang ab. Schlägt bei der Familie ein wie eine Zuckerbombe, und Everett merkt binnen eines weiteren Tages, daß er die falsche Schwester kennengelernt hat.
Die Idee zu The Family Stone ist klasse – der Antrittsbesuch bei den zukünftigen Schwiegereltern ist schließlich auch heutzutage kein Besuch wie jeder andere. Der Film ist über weite Strecken sehenswert, kann sich jedoch nicht so recht entscheiden, in welchem Modus er sein Thema bearbeiten möchte, und schlingert etwas zwischen den Genres, zwischen komödiantisch, realistisch und melodramatisch. Einzelne Szenen sind jedoch sehr gelungen und stimmig. Zu den Highlights gehört für mich eine eher realistische Szene, in der Meredith angesichts der Erfolge, die ihre Schwester an der abendlichen Tafel erzielt, beschließt, auch etwas zur Konversation beizutragen, und bemerkt, keine Mutter wünsche sich einen schwulen Sohn. Als sie auf Widerstand stößt, insistiert sie. Es sei ja völlig in Ordnung, schwul zu sein, aber man wisse doch als Mutter, welche Schwierigkeiten Schwulen in der Gesellschaft begegneten, und deshalb könne sich ja wohl keine Mutter im Ernst ein schwules Kind wünschen. Die Diskussion wird hitziger, Meredith fühlt sich mißverstanden und erläutert: Genauso wie es einfach ein gesellschaftlicher Nachteil sei, schwarz zu sein. Der schwarze Patrick blickt ungläubig seinen Freund an, jetzt fühlen sich die beiden wirklich angegriffen.
Wenn die fröhliche Julie ihrem zukünftigen Schwager Everett beim Aussteigen aus dem Bus, von dem er sie abholen soll, vor die Füße fällt, sehen wir einen Ausschnitt aus einer Liebeskomödie, wenn Everett seinen Bruder Ben über Tische und Stühle verfolgt, um ihn zu verprügeln, Action-Klamauk.
Diane Keatons Auftritte lösen mehrmals ein Gefühl der Genervtheit unklarer Genese aus. Ist es die Schauspielerin, die mit verständnisinniger Augen-Zusammenkneif-Mimik neue Innerlichkeit verströmt, während die anderen Akteure in einer Familienkomödie mitspielen? Oder ist es die Figur der Mutter, die mit ihrer mütterlich-liberalen Kompetenz den Zuschauer penetriert, während die übrigen Familienmitglieder längst an Mutterns Macken gewohnt sind und sie nicht mehr wahrnehmen?
Auch Sarah Jessica Parker spielt, wie sie immer spielt. Wer sie aus Sex and the City kennt, wird verblüfft sein, wie paßgenau ihr immer leicht verkrampfter, bemüht heiterer Grundgestus die Rolle der Meredith ausfüllt.
Eine gewisse angenehme Tiefe gewinnt der Film durch ein breites Spektrum an Charakteren und Problemen, wie sie in der einen oder anderen Form für Familien üblich sind, ohne daß diese im Zentrum stehen. Eine gewisse Flachheit stellt sich ein durch die kilometerweit vorhersehbaren Wendungen der Handlung und Moral der Geschicht’. Denn kaum hat, in Gestalt von Julie, Miss Right den Schauplatz betreten, wird diese auch von der bis dato stutenbissigen Mutter herzlich aufgenommen. Ihr tritt sie gerne Großmutters Erbstück ab, den Verlobungsring mit dem titelgebenden Edelstein. Mother always knows best. Wen solche filmischen Gesamt-Aussagen nicht schrecken, der kann den Menscheleien in The Family Stone manches Positive, Amüsante, Unterhaltsame abgewinnen.

Solange Du da bist
(Mark Waters)

Originaltitel: Just like Heaven, USA 2005, Buch: Peter Tolan, Leslie Dixon, Lit. Vorlage: Marc Levy, Kamera: Daryn Okada, Schnitt: Bruce Green, Musik: Rolfe Kent, mit Mark Ruffalo (David), Reese Witherspoon (Elizabeth), Donal Logue (Jack Houriskey), Dina Waters (Abby Brody), Ben Shenkman (Brett Rushton), Jon Heder (Darryl), Ivana Milicevic (Katrina), Rosalind Chao (Fran), Chris Pflueger (Tom Brody), Kerris Dorsey (Zoe Brody), Alyssa Shafer (Lily Brody), Ron Canada (Dr. Walsh), 95 Min., Kinostart: 1. Dezember 2005

Als ich diesen Film sah, wusste ich noch nichts darüber, nur den Regisseur, die beiden Hauptdarsteller und den Originaltitel, bei dem ich sofort an den Song von The Cure denken musste. Auf der Einladung zur Pressevorführung hatte man den Inhalt perfiderweise als typische Romantic Comedy angekündigt, bei der ein Mann in seiner neuen Wohnung eine alte Mieterin findet, mit der er sich arrangieren muß.
Wenn man den Prolog des Films sieht - oder den Trailer - oder das Plakat, weiß man schon sehr viel mehr, denn die von Reese Witherspoon gespielte geschäftige Ärztin Elizabeth beendet den Prolog mit einem Autounfall, und so wundert es einen als Zuschauer weitaus weniger als Mark Ruffalo als Mitbewohner David, wenn die penible bis nörglerische , auf Wohnrecht beharrende Frau mitunter mal mitten in einem Tisch steht - offensichtlich ist sie ein Geist, was dem üblichen Gerüst einer Romantic Comedy nicht unbedingt entspricht. Und für einen Film vom Schlage Ghost oder City of Angels wird hier auch zu wenig auf die Tränendrüse gedrückt. Regisseur Mark Waters ist ein ausgeprägter Komödienspezialist (der das Kunststück vollbrachte, Lindsay „Herbie“ Lohans Filmographie um gleich zwei gelungene Filme zu erweitern: Freaky Friday und Mean Girls) und er entnimmt der Situation auch jeden möglichen Gag. Da der Film teilweise doch sehr auf die beiden Hauptdarsteller zugeschnitten ist, die bei ihren Wortgefechten zunächst die gemeinsame Wohnung auch kaum verlassen, wirkt das Ganze mitunter fast wie eine Sitcom, nur mit dem kleinen aber feinen Unterschied, daß die Lacher nicht aus der Konserve kommen, sondern live aus dem Kinopublikum.
Nach den anfänglichen Streitereien um fehlende Bierdeckel und sonstige Unsitten eines Junggesellen in „ihrer“ Wohnung gibt es so etwa Davids Erste-Hilfe-Eingriff in einem Restaurant (die nur für ihn sichtbare Ärztin gibt Anweisungen), der einen fast an Komödienklassiker wie All of Me erinnert, bevor dann der Versuch eines Happy Ends unternommen wird, bei dem die harmlos-biedere Bettszene noch etwas peinlich ist, man aber später merkt, daß die Drehbuchautoren immerhin wissen, wie man einen gelungenen pay-off einbaut.

Alles ist erleuchtet
Nichts ist normal
(Liev Schreiber)

Originaltitel: Everything is illuminated, USA 2005, Buch: Liev Schreiber, Lit. Vorlage: Jonathan Safran Foer, Kamera: Matthew Libatique, Schnitt: Craig McKay, Andrew Marcus, Musik: Paul Canteloni, Susan Jacobs, Songs: Gogol Bordello, Leningrad, The Con Artists, Production Design: David Geraghty, mit Elijah Wood (Jonathan Safran Foer), Eugene Hutz (Alex), Boris Leskin (Alex’ Großvater), Laryssa Lauret (Lista), Jana Hrabetová (Jonathans Großmutter), Mikki & Mouse (Sammy Davis Jr. Jr.), Jonathan Safran Foer (Cameo mit „Leafblower“ in der Friedhofsszene am Anfang), 106 Min., Kinostart: 15. Dezember 2005

Liev Schreiber, der mittlerweile durch The Manchurian Candidate oder seine Rolle als Cotton Weary in der Scream-Trilogie ein relativ bekannter Darsteller ist, wollte ursprünglich mal Schriftsteller werden. Während er an einem Drehbuch über seinen verstorbenen Großvater und die Ukraine arbeitete, stieß er im New Yorker auf eine Vorab-Teilveröffentlichung des mittlerweile berühmten Romans Everything is illuminated von Jonathan Safran Foer. Durch diese Verquickung seltsamer Zufälle und seine frühe Entdeckung des Autors Foer gelang es Schreiber, die Rechte an Foers zu jenem Zeitpunkt noch unveröffentlichtem Roman zu bekommen, der sich auch nicht unbedingt für eine Verfilmung anbietet.
Mit Elijah Wood konnte immerhin ein Star für den Film gewonnen werden, der dann auch Jonathan Safran Foer selbst darstellt (inwiefern das Buch autobiographisch ist, erscheint mir müßig). Mit einer seltsamen Flaschenbodenbrille wirkt er einerseits entstellt, andererseits aber auch enigmatisch, ein Detail, das man für das Filmplakat natürlich nicht unterdrückt. Doch der Film, für den die seltsam paradox klingenden Warner Independent Pictures verantwortlich zeichnen, dürfte den durchshcnittlichen Fans von „Frodo“ Wood wenig bieten: Statt nach Mittelerde zieht es den jungen Mann diesmal nach Russland, wo er das Geheimnis eines Fotos, das seinen verstorbenen Großvater zeigt, lösen will.
Dabei unterstützen ihn zwei Russen, die ihm ihr trabbiähnliches Gefährt zur Verfügung stellen, mit dem sie sich als jiddische „Heritage Tours“ und Leichenüberführer etwas dazuverdienen. Alex (Eugene Hutz) ist etwa gleichalt wie „Jonfen“ und hat sich seine mageren Englischkenntnisse aus einigen Hiphop-Songs zusammengeklaubt, was mitunter sehr amüsant ist. Sein Großvater ist der Pilot des Gefährts, das er nur fahren darf, weil er den Blindenhund Sammy Davis jr. jr. dabei hat. Schon sehr bald fühlt man sich an die Filme von Emir Kustorica erinnert, doch die witzigen Kommunikationsprobleme und die Odyssee durch Russland auf der Suche nach einem Shtetl, das keiner zu kennen scheint, nehmen den Zuschauer für den skurrilen Film ein.
Im Roman entwickelt sich die eigentliche Offenbarung der Geschichte, das Geheimnis hinter dem Foto, wahrscheinlich etwas subtiler aus dem Geschehen heraus - im Film fühlte ich mich allzusehr (und allzu schnell) an Dokumentationen über den auch in Russland allgegenwärtigen Holocaust erinnert (etwa Stimmen aus dem Wald), war durch den plötzlichen Bruch von skurriler Komik zu bedeutender Geschichte verwirrt - und auch die emotionale Bindung zu den (größtenteils längst verstorbenen) Figuren wollte sich nicht recht einstellen.
Trotzdem nimmt einen der Film mit seinen magischen Bildern mitunter gefangen, und beispielsweise die Schlußsequenz am Flughafen, bei der plötzlich viele bekannte Gesichter auftauchen, bleibt zwar geheimnisvoll (um nicht zu sagen unverständlich) - weckt aber immerhin den Wunsch, den Roman zu lesen.

Imaginary Heroes
(Dan Harris)

USA 2004, Buch: Dan Harris, Kamera: Tim Orr, Schnitt: James Lyons, Musik: John Ottman, Deborah Lurie, mit Emile Hirsch (Tim Travis), Sigourney Weaver (Sandy Travis), Jeff Daniels (Ben Travis), Kip Pardue (Matt Travis), Michelle Williams (Penny Travis), Deirdre O'Connell (Marge Dwyer), Ryan Donowho (Kyle Dwyer), Suzanne Santo (Steph), Jay Paulson (Vern), Luke Robertson (Jake Johnson), 111 Min., Kinostart: 10. November 2005

Die Parallelen sind offensichtlich. Es bedarf keiner Sigourney Weaver in der weiblichen Hauptrolle, um den Zuschauer bei Imaginary Heroes an Ang Lees The Ice Storm zu erinnern. An anderen Stellen scheint auch ein bißchen American Beauty durch, insbesondere bei der Figur des Vaters (Jeff Daniels) und der zumindest angedeuteten Idee, auch hier über eine Digitalkamera dem Film mehr Tiefe zu geben. Und es ist auch keineswegs so, als würde es diesem Film an Tiefe fehlen, eher an Schärfe.
Die Familientragödie, die sich bei The Ice Storm ganz allmählich und irgendwie unaufhaltbar entwickelt, steht in Imaginary Heroes ziemlich weit am Anfang. Man beginnt gerade, sich für das Leben von Matt Travis (Kip Pardue), ein potentielles Olympiatalent, das nichts mehr hasst als seinen Sport Schwimmen, zu interessieren, als dieses Leben bereits zuende ist. Fortan besteht der Vater (und Trainer) darauf, am Mittagstisch dennoch ein fünftes Gedeck bereitstehen zu lassen, die Probleme der Familie versteifen sich noch, und über Matts jüngeren Bruder Tim (Emile Hirsch aus Lords of Dogtown und The Girl Next Door) erhalten wir als Zuschauer langsam Einblicke in die Mechanismen, die zur Tragödie geführt haben mögen. Durch diese chronologische Umkehrung der Struktur von The Ice Storm hat Imaginary Heroes die Chance, gegen Ende etwas optimistischer zu wirken, doch ist diese Veränderung des Tons auch ein Merkmal dafür, daß der Film weniger gelungen ist und beim Zuschauer auch keinen vergleichbaren Eindruck hinterlässt.
Auch wenn Imaginary Heroes keineswegs ein schlechter Film ist, wird gerade beim (vielleicht unfairen) Vergleich mit The Ice Storm klar, was hier alles hätte besser sein können. Mit dem Cast von The Ice Storm können sich die wenigsten Filme messen, bei Imaginary Heroes wird vor allem klar, daß sowohl Sigourney Weaver als auch Jeff Daniels ihre besten Zeiten bereits hinter sich haben - und ob Emile Hirsch jemals zu einem richtigen Star werden wird, ist eher fraglich. Boch offensichtlicher sind aber die Schwächen des Drehbuchs und der Inszenierung, die sich natürlich insofern noch gegenseitig verstärken, als der Regisseur auch das Buch schrieb, und es ihm wahrscheinlich gar nicht auffiel, daß der Film an mehreren Stellen mehr so vor sich hinplätschert statt den Zuschauer mitzureißen.
An manchen Stellen kann man sehen, daß Imaginary Heroes durchaus die Anzeichen hatte, ein wirklich großer Film zu werden: Die Mutter-Sohn-Beziehung ist zum Beispiel sehr interessant - wenn Sigourney Weaver höchstpersönlich einen Schlägertypen aus der Schule ihres Sohnes aufsucht, um ihm zu sagen "you fuck with my kid again and I'll fuck with everything you hold dear" - in solchen Momenten sieht man das Potential des Films. Doch andererseits gibt es dann auch wieder solche Momente wie der Blick zu den Sternen und das lapidare "In 100 Jahren weiß keiner mehr wer wir waren, aber die Sterne sind immer noch dieselben", bei denen man sich ob soviel klischeehafter Redundanz schüttelt.
Die Rolle der Schwester (Michelle Williams) scheint ebenso verschenkt wie die kleine Privatfehde mit der Nachbarin, und letztendlich verpufft auch der Kernsatz des Films. Nicht jeder kann ein Held sein - auch diesem Film fehlt es an der nötigen Ambition, es zu mehr zu bringen.

Paradise Girls
(Fow Pyng Hu)

Niederlande / Deutschland 2004, Buch: Fow Pyng Hu, Kamera: Benito Strangio, Schnitt: Menno Boerema, Musik: Mick Witkamp, mit Kei Katayama (Miki), Eveline Wu (Pei Pei), Jo Koo (Shirley), Guido Pollemans (Benny), A. C. Chang (Pei Peis Vater), Cheng Cheung Lok (Tommy), 97 Min., Kinostart: 17. November 2005

Der Film beginnt mit tropischen Werbeaufnahmen am malerischen Strand von Bali. Wobei dieser Strand aber vorher noch gefegt werden muß, um wirklich hundertprozentig "malerisch" zu wirken. Am Strand warten drei exotische Schönheiten auf ihren Auftritt, Frauen, bei denen man den Eindruck bekommt, sie hätten keinerlei Sorgen (außer dem ungefegten Strand), doch in drei Rückblenden werden dann die drei Geschichten "hinter" diesen "Paradise Girls" erzählt.
Miki lebt glücklich mit ihrem holländischen Freund Benny in Tokio, bis dieser zurück nach Amsterdam fliegt, und Miki ihm nach einer Phase der emotionalen Leere, schließlich folgt, in seinem dortigen Leben aber nicht mehr ihren früheren Platz innehat.
Pei Pei arbeitet im Imbiß ihres Vaters in einer holländischen Kleinstadt. Da der Vater kein Holländisch spricht, muß sie viele Dinge für ihn übernehmen, nach einem Unfall bei einem Friseurbesuch soll sie etwa von der Friseurin Schadenersatz fordern, ducrh die auch sehr unterschiedlichen Mentalitäten gerät sie immer wieder mit ihrem Vater in Konflikte, bis dieser sich entschließt, zurück nach China zu fahren …
Shirley lebt mit ihrem zweijährigen Sohn Lok Lok in Hong Kong, Bei ihr erkennt man als Zuschauer als erstes die Verbindung zum Pro- / Epilog am Strand, denn sie besucht immerhin Castings von Fotoshoots, wofür sie allerdings ihren Sohn vernachlässigen muß, bei dem dann ein Herzfehler festgestellt wird, der nur durch eine kostspielige Operation (50.000 $ für eine 40%ige Erfolgschance) korrigiert werden kann.
So wie die drei Hauptfiguren gleich jung, gleich gutaussehend und auf drei asiatische Herkunftsländer verteilt wurden, ähneln sich auch deren Probleme, denn in jedem Fall werden die Pläne und der Lebensentwurf durch ein männliches Wesen durcheinandergebracht, sei es nun der Freund, der Vater oder der Sohn. Um der Künstlichkeit dieser am Reißbrett entworfenen Prämisse zu entkommen, fehlt dem Film aber der nötige Drive, keine der Episoden reißt wirklich mit, eher wird es hin und wieder eine Spur zu öde. Etwa bei einer langen Einstellung von Bennys Wohnung, ehe es zur voraussehbaren Sexszene kommt, die nur noch wie inszenatorisches Pflichtprogramm wirkt.
Eine besondere Beziehung zu den Figuren aufzubauen, fällt nicht leicht, weil die Inszenierung allzu viel Abstand hält, wie bei einem klinischen Laborversuch oft nur zu beobachten scheint, aber keine Aussage bereithält. Dies mag den Film auf seine Weise auch auszeichnen, aber ein wenig mehr (sei es ironische Schärfe, sozialkritische message, narrative Dichte oder schlichtweg human interest) hätte dem Streifen sicher nicht geschadet.