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Februar 2006 | Thomas Vorwerk für satt.org | |
Lord of War
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Die Vorspannsequenz erinnert zunächst an Tim Burtons Charlie and the Chocolate Factory: Auch hier verfolgen wir den Produktionsablauf innerhalb einer Fabrik, von einem Fließband geht es zum nächsten, doch nicht eine Tafel Schokolade mit dem „goldenen Ticket“ ist die produzierte Ware, sondern eine Patrone, deren Weg wir schließlich bis in eine Holzkiste verfolgen, in die später kurz ein Russe hineinschaut, bevor sie in Afrika zuerst auf dem Fußboden, dann in einem Gewehrlauf und schließlich zwischen den Augen eines wahrscheinlich noch nicht einmal in der Pubertät steckenden jungen Mannes landet. So gesehen also auch ein goldenes Ticket - zur Hölle.
Die dritte Regiearbeit von Andrew Niccol (Gattaca) ist lange Zeit eine Art schwarze Komödie, bitterböse und zynisch bis an die Grenzen des guten Geschmacks. Niccol, der als Drehbuchautor auch für The Truman Show oder The Terminal zuständig war, legt hier ein Drehbuch vor, das man am liebsten in schriftlicher Form besitzen möchte - so viele gelungene Sätze folgen hier aufeinander. Nicht alle, aber schon viele werden Nicolas Cage in den Mund gelegt, der als Antiheld des Films eine seltsame Faszination ausübt. Er hat nicht nur für jede Situation die passende Verkaufsmotivation auf der Zunge, er besitzt auch ein unerschöpfliches Repertoire an Argumenten, seine Tätigkeit als Waffenhändler zu rechtfertigen. Er sieht sich als nichts anderes als einen Autoverkäufer oder Zigarettenhändler - und deren Produkte töten seiner Ansicht nach sogar mehr Menschen.
Der Film verfolgt die Karriere des aus der Ukraine stammenden Yuri, der zunächst im Restaurant seiner Eltern im Einwandererviertel „Little Odessa“arbeitet, bevor er realisiert, daß die Restaurantbranche zwar relativ krisenunabhängig ist, weil es „immer Leute geben wird, die essen wollen“, er aber aus ähnlichen Gründen aus dem mafiakontrollierten Background ins internationale Waffengeschäft einsteigen will. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Vitali (Jared Leto) verschachern die „brothers in arms“ zunächst gebrauchte gewehre zum Kilopreis, bis man auf der „Waffenmesse Berlin“ im Jahre 1983 (inszeniert wie eine Mischung aus Billy Wilders One, Two, Three und Stanley Kubricks Dr. Strangelove or: How I learned to stop worrying and love the bomb) den weltweit führenden Waffenhändler, den wortwörtlichen Big Shot Simeon Weisz (Ian Holm) anspricht, der aber mit den zwei Emporkömmlingen wenig anfangen kann.
Nach einem misslungenen Deal, bei dem die Brüder statt Geld nur eine stattliche Menge Kokain als Bezahlung bekommen (und Yuri angeschossen wird), zeigt sich, daß sein kleiner Bruder Vitali nicht die charakterliche Stärke (oder das fehlende Moralempfinden) für den Job hat - er landet in einer Entziehungsanstalt, sein ihn liebender Bruder spendiert ihm noch vor der Einlieferung eine eilig auf den Ledersitzen seiner Luxuslimousine gezogene Linie Koks.
Allein gelangt Yuri ans Ziel seiner Träume: Seine Produkte werden mittlerweile in acht der zehn wichtigsten Kriegsschauplätze der Welt verwendet. Finanziell so gestärkt, macht er sich auch daran, die Frau seiner Träume zu erobern, eine Einwanderin, deren Karriere er von der „Miss Long Island“ bis zum internationalen Supermodel verfolgt hat. Er arrangiert ein fingiertes Photo Shooting, das dann ausfällt, und schließlich sitzt Anne Fontaine (Bridget Moynahan) fest in einem Hotel, daß Yuri extra fürs Kennenlernen gekauft hat, und in dem er seltsamerweise neben Anne der einzige Gast ist. Nach der Rettung aus dem unterbelegten Hotel in Yuris Privat-Jet (die Farbe ist noch nicht ganz trocken) gibt es einen direkten Schnitt zu den Hochzeitsfeierlichkeiten, und schon bald erlebt die junge Mutter zusammen mit dem mal wieder entlassenen Vitali, wie der kleine Nicolai, ein Kind der Liebe, seine ersten Schritte macht. Doch Yuris Euphorie wird eher davon getragen, daß Michael Gorbatschow den kalten Krieg beendet und nunmehr in Yuris Heimat unzählige unterbezahlte Soldaten auf ganze Warenhäuser voller Kalashnikows, Granaten und Panzer aufpassen sollen, darunter auch Yuris diesbezüglich sehr entgegenkommender Onkel Dimitri - die Verdienstchancen sind immens.
Natürlich ist Yuris Höhenflug nicht unaufhaltsam, dafür sorgen neben dem Konkurrenten Weisz etwa ein sadistischer afrikanischer Diktator namens Andre Baptiste (“Africa - a gunrunner’s wet dream“) und ein eigens auf ihn angesetzter Interpol-Agent (Ethan Hawke), doch wie sich Yuri selbst mit Schiffsladungen und Flugzeugen voller Waffen immer wieder aus der Affäre zieht, ist trotz allem ebenso bewunderswert wie seine nach und nach folgenden Überschreitungen der letzten moralischen Grenzen bedenklich erscheint. Mitunter bleibt einem als Zuschauer auch mal das Lachen im Hals stecken, doch Yuri lässt sich auch von einer Helikopter-Verfolgung oder einem Versprechen an seine Frau nicht davon abbringen, was er am besten kann: Waffen verkaufen. Wie Onkel Dimitri es mal formuliert: Yuri ist der „luckiest man alive“.
Der Titel des Films stammt übrigens aus einer Diskussion mit dem afrikanischen Schlächter Andre Baptiste, den Yuri irgendwann sogar „Andy“ nennt, und dessen nicht immer lupenreines Englisch er hin und wieder sogar korrigiert - was gegenüber einem Massenmörder, der seine Untergebenen mitunter für kleinste Widersprüche hinrichten lässt, durchaus Chuzpe erfordert.
Baptiste: „No one can stop this bath of blood.“
Yuri: „It’s not ‘bath of blood’, it’s ‘bloodbath’.“
Baptiste: „Thank you, but I prefer it my way.“
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