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Februar 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

Matthew Barney: No Restraint
USA/F 2005

Regie:
Alison Chernick

Kamera:
Toshiaki Ozawa, Robert Leacock

Schnitt:
Aaron Lubarski, Helen Yum

mit
Matthew Barney, Björk u. v. a.

72 Min.
Drawing Restraint 9
USA / Japan 2005

Regie, Buch, Kostüme, Art Design:
Matthew Barney

Kamera:
Peter Strietmann

Schnitt:
Luis Alvarez y Alvarez, Matthew Barney Christopher Seguine, Peter Strietmann

Musik:
Björk

Darsteller:
Matthew Barney, Björk, 135 Min., Kinostart: 8. Juni 2006
Berlinale 2006

Matthew Barney:
No Restraint
Panorama

Durch den Cremaster Cycle erreichte der amerikanische Bildhauer und Konzeptkünstler Matthew Barney auch beim deutschen Kinopublikum einen gewissen Bekanntheitsgrad, als nächstes großes Projekt wurde ihm dann vom japanischen "Museum for Contemporary Art of the 21. Century" eine große Ausstellung angetragen, für die er sich aber auch konkret mit der japanischen Kultur befassen sollte. Bereits Ende der 1980er, als Barney noch als Kunststudent in Yale tätig war, begann er mit seiner Reihe Drawing Restraint, bei der er unter bestimmten Beschränkungen Zeichnungen anfertigte, und zumeist mit Hilfe von Hilfsmitteln wie einer Rampe oder einem Trampolin die Schwerkraft überwinden musste, um eine an der Decke befestigte Seite mit Strichen zu verzieren. Die Aktivität des früher unter anderem als American Football-Spieler tätigen "Athleten" Barney war hierbei wichtiger als das Endresultat, er begann erstmals, den Herstellungsprozeß per Videokamera aufzuzeichnen, worüber er dann immer mehr Gefallen am Medium Film fand.


Filmszene
Filmszene aus
Matthew Barney: No Restraint

Filmszene

Drawing Restraint 9

Filmszene


Filmszene Björk:
Drawing Restraint No.9

Soundtrack
Polydor (Universal) 2005


Drawing Restraint 9 war dann jenes Projekt, bei dem er endlich mit seiner Frau, der Sängerin Björk, zusammenarbeiten wollte. In Matthew Barney: No Restraint, einem Dokumentarfilm über das "Making Of", erfährt man nicht nur viel über den Künstler Barney und seine vorherigen Arbeiten, vor allem ist der Film von Alison Chernick, die sich in ihrem vorherigen Film Jeff Koons angenähert hatte, auch eine sehr gute Interpretationshilfe für den mitunter doch sehr rätselhaften DR9.

In Japan, einem Land, in dem man sogar Eiscreme mit Walgeschmack kaufen kann, ist die Jagd auf die gigantischen, vom Aussterben bedrohten Meeressäuger nach wie vor nicht gesetzlich verboten. Fast die gesamte Handlung von DSR (wenn auch nicht alle Dreharbeiten) spielen sich auf dem japanischen Walfang-"Fabrikschiff" Nisshin Maru ab, auf dessen Deck Barney eine riesige, aus 45.000 Pfund Petroleumgelee (der modernen Entsprechung des früher verwendeten Walöls) bestehende Skulptur auf See erstellt und bearbeitet. Im Dokumentarfilm sieht man beispielsweise, wie Barney zuvor in einer Halle in Brooklyn die Merkmale dieses Materials in "Probeläufen" erkundet, wenn auch klar ist, daß dies nur eine unzureichende Vorbereitung auf den "Ernstfall" ist, denn Schiffsbewegungen, Meeresluft und die Tatsache, daß Barney auf dem Schiff zwar geduldet ist, er aber auf die Wünsche des Kapitäns Rücksicht nehmen muß, lassen die Dreharbeiten schon früh wie ein Abenteuer erscheinen.

Alison Chernick, die Regisseurin des Dokumentarfilms, hat die Problematik des Walfangs ganz bewusst ausgespart (auch, um sich nicht zu verzetteln), und so wirken die Euphemismen, daß das "Forschungsschiff" nach den Dreharbeiten 440 Wale "fangen" werden wird, umso befremdlicher.

Der Museumsdirektor erklärt übrigens im Interview, daß ihm weder Matthew Barney noch Björk ein Begriff waren, ihm aber gesteckt wurde, da´es sich hierbei um einen prominenten Künstler handelt, dessen Ausstellung "lukrativ" sein würde. Barney wurde hierbei sogar mit Picasso verglichen, von dem der Direktor hingegen schon gehört hat. Ähnliches Unverständnis zeigt auch der Kapitän der Nisshin Maru, nachdem er den fertigen DR9 sehen durfte. "Ich war ehrlich überrascht darüber, daß man unsere Kultur in dieser Weise darstellen könnte."

Unter Zuhilfenahmen der in No Restraint gelieferten "Interpretationshilfen" will ich an dieser Stelle eine kurze Inhaltsangabe zu Drawing Restraint 9 versuchen:

Zunächst kann man beobachten, wie zwei Pakete in offensichtlich traditionell japanischer Weise (einiges erinnert an Origami) verpackt werden. Hier sieht man auch erstmals als Siegel der Pakete jene Form, die bereits in früheren Arbeiten Barneys auftauchte (zum Beispiel auf einem Football-Feld in einem der Cremaster-Filme), und die er selbst beim Q&A nach dem Film wie folgt erklärte: Die ovale Form steht für den Körper, das Rechteck für den Restraint, der auf ihn einwirkt. Bereits beim Verpackungsritual wird aber das rechteckige Mittelstück entfernt, und spätestens, wenn man beim Abspann des Film auf dem Oval einen gezeichneten Wal sieht (in der Version von Björks Soundtrack irgendwo auf dieser Seite zu sehen), während das Rechteck ganz in Rot gehalten ist, versteht man auch, was Drawing Restraint 9 mit den anderen Projekten der Reihe verbindet.

Bei einem weiteren japanischen Ritual ziehen tanzende kostümierte Japaner in einer Parade durch eine Fabrikanlage, ein eigentümlich geschmückter Tanker wird das Petroleumgelee zur Nisshin Maru bringen.

Bei der Einblendung des Titel wird dann bereits ein CGI-Wal halbiert und aus einer Art Blutballett bilden sich japanische Schriftzeichen. Matthew Barney und Björk werden von einem japanischen Gastgeber zu einer Teezeremonie eingeladen und einzeln mit Schiffen abgeholt. Sie stehen hierbei für Landessäugetiere, was man vor allem anhand der Kostüme nachvollziehen kann. Parallel dazu sehen wir japanische Taucherinnen, die sich durch eine Hyperventilationstaktik (die durch die Musik von Björk auf dem Soundtrack noch verstärkt wird) dafür widmen, auch in großen Teifen tauchen zu können. Doch zunächst finden sie dabei im Wasser ein eigenartiges Objekt, das man vielleicht noch am ehesten mit einem riesigen fossilisierten turd vergleichen könnte, von dem man aber im Dokumentarfilm erfährt, daß irgendwie mit erbrochenem eines Wals zusammenhängen soll (diesen Teil habe ich nicht mal annähernd verstanden …).

Matt und Björk sind mittlerweile als Gäste auf dem Schiff angekommen und werden separat auf die Teezeremonie vorbereitet. Björk badet dafür in einem Bassin, in dem Orangen schwimmen, die aufgrund ihrer Einschnitte wiederum an die mittlerweile auf dem Deck langsam Festigkeit erreichende Skulptur erinnern. Die Matrosen bekommen zwischendurch ein nicht sehr appetitlich anmutendes Mal, das auch an die walähnliche Skulptur erinnert (durch unterschiedliche Farbschichten noch verstärkt), und auf dem Teller von einer Bambuskette umgeben ist, die wiederum frühe Walfangmethoden symbolisieren soll. Matthew Barney wird rasiert (Annäherung an Meeressäuger), und auf Deck spielt man ein putziges Spielchen, bei dem eine über den Schiffsboden gezogene schwarze Mülltüte (mit Meeresfrüchten gefüllt und wie ein Wal angemalt) von Crewmitgliedern per Speerwurf "erlegt" werden soll. Hierzu wurde Barney von einem norwegischen Dokumentarfilm inspiriert (Blast Forut! von 1965), bei dem die Schiffscrew sich mit einer Art Bundesjugendspiele auf der langen Fahrt fit hält.

Während Matt schläft, wird ihm noch das restliche Kopfhaar entfernt, Björks Frisur wird auch mit allerlei Seegut ausgestattet, und es folgt die eigentümliche Matthew Barney-Version einer Teezeremonie, auf die das Publikum abhängig von der Tagesform und dem Schlafpensum unterschiedlich reagiert. Interessant hierbei, daß auf die japanischen Fragen des Gastgebers jeweils auf Englisch oder Isländisch geantwortet wird (im Dokumentarfilm sah man, wie Björk versuchte, ihre wenigen Textzeilen noch zu perfektionieren).

Was auf Deck mit der Skulptur passiert, will ich an dieser Stelle nicht im Detail verraten, im Teeraum vollzieht sich hingegen der Höhepunkt des Films, nachdem sich der Gastgeber zurückgezogen hat. Während einer rudimentär erklärten langsamen Überschwemmung des Raumes kommen sich Matt und Björk näher und beginnen das "Verstümmelungsritual", bei dem sie sich erst gegenseitig die Füsse abschneiden, bevor sie sich in einer Art Umarmung nach und nach die Beine in Walfangmanier mit senkrecht zueinander angebrachten Schnitten zersäbeln. Zwischendurch erinnert die "Musik" dann auch an Walgesänge, und ganz am Schluß des Films kann man bei einer Totalen zumindest erahnen, daß die beiden sich mittlerweile in Wale verwandelten Liebenden in Richtung Horizont verschwinden.

Seltsamerweise fand ich den Dokumentarfilm sehr viel interessanter als das fertige Produkt (auch, wenn mich in den 135 Minuten nie die Müdigkeit übermannte), was aber auch irgendwie dazu passt, daß ja auch Barney der Weg (Drawing Restraint 9 ist der zweite Teil einer Trilogie mit dem Titel The Path) wichtiger ist als das Ziel. Beim nicht eben kurzen Abspann von DR9 gähnte das Auditorium ungeniert in Anwesenheit des Künstlers, nicht wenige sahen das Ende des Film wohl als eine erledigte "Arbeit". Beim Abspann von Matthew Barney: No Restraint sah man hingegen, daß Barney während der Ausstellung in Japan bereits mit DR10 und 11 fortfuhr, wobei das Publikum noch ganz gebannt war. Einer der magischen Momente des Films kam dann, als der Projekttitel Drawing Restraint auch im Dokumentarfilm noch eine Entsprechung fand, denn in der letzten Einstellung von "Nr. 10" sieht man, wie der auf einem Rollstuhl geschobene Kameramann sich in einer Glasscheibe spiegelt. Alison Chernick ist es gelungen, aus ihren Beschränkungen (aufgrund des geringen Budgets) noch eine kreative Inspiration zu ziehen. Bei Matthew Barneys verschwederischem Projekt hatte man diesen Eindruck leider nicht immer.